Theater der Zeit

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Auftritt

Bayerische Staatsoper: Zarin mit Martini

„Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai Rimski-Korsakow nach der gleichnamigen Erzählung von Nikolai Gogol – Musikalische Leitung Vladimir Jurowski, Inszenierung Barrie Kosky, Bühne und Licht Klaus Grünberg, Kostüme Klaus Bruns, Choreographie Otto Pichler

von Teresa Pieschacón Raphael

Assoziationen: Bayern Theaterkritiken Musiktheater Barrie Kosky Bayerische Staatsoper München

Bloß nicht mit zu viel Psychoanalyse aufladen: „Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai Rimski-Korsakow nach  Nikolai Gogol in der Regie von Barrie Kosky an der Bayerischen Staatsoper.
Bloß nicht mit zu viel Psychoanalyse aufladen: „Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai Rimski-Korsakow nach Nikolai Gogol in der Regie von Barrie Kosky an der Bayerischen Staatsoper.Foto: Geoffroy Schied

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Weihnachten einmal anders, dürfte sich die Bayerische Staatsoper gedacht haben, als sie nun eine Rarität auf den Spielplan setzte: Nikolai A. Rimski-Korsakows „Die Nacht vor Weihnachten“ von 1895 nach der gleichnamigen Geschichte von Nikolaj Gogol. Selten wird das Stück gespielt, womöglich, weil es nicht so leicht einzuordnen ist. Ein Musical? Die gab es damals noch nicht. Eine Oper? Zu wenig Arien, zu viel Geplapper, zu viel Tanz. Eine „Mischung aus Weltendrama und Dorfkomödie“, findet Dirigent Vladimir Jurowski. Ein „Familienstück“, sagt Regisseur Barry Kosky, perfekt „für jüngere Zuschauer. Es gibt ständige Wechsel, es ist immer was los“.

Besonders bei der zwielichtigen Dorfhexe Solocha, von Ekaterina Semenchuk mit viel Verdi-Power dargestellt. Mit unübersehbarem Dekolleté (Kostüm: Klaus Bruns) lockt sie ihre schmerbäuchigen Liebhaber, um sie dann in orangenen Kohlesäcken zu entsorgen, wie etwa den lüsternen Dorfvorsteher (Sergei Leiferkus) und den nicht ganz so frommen Diakon (Vsevolod Grivnov) und manch andere skurrile Dorf-Gestalt. Herrlich, wie hier Klerus und kommunale Obrigkeit veräppelt werden! Auch mit dem Teufel hat sie sich eingelassen, der hier weder Mephisto noch Satan ist. Eher Typ Schlawiner (teuflisch gut: Tansel Akzeybek) in Frack und Zylinder, roten Hörnerspitzen und roten Handschuhen, der das ganze Dorf durch die Manege treibt. Solochas Sohn, der biedere Schmied Wakula (Sergey Skorokhodov: beherzt einfach, ohne tenorales Edelmetall) wird ihn brauchen, um die silbernen Schuhe der Zarin (unschlagbar: Violeta Urmana ) zu ergattern, die seine eitle Angebetete, die Kosakentochter Oksana (Elena Tsallagova: dramatisch exaltiert, doch wenig Charme), so begehrt.

In Rimski-Korsakows „Die Nacht vor Weihnachten“ werden Märchen und Mythen der ukrainischen Folklore verwoben. Vitale, farbige Bilder bräuchte es dazu. Stattdessen spielt sich die Handlung vor einem graubraunen Bühnengerüst (Bühne: Klaus Grünberg) ab. Biedere Secondhand-Klamotten für die Dorfbewohner. Musikalisch herrlich illustriert, mit „gluckgluckgluck“ im Orchester wird das wodkaselige Geplapper von Solochas Liebhaber – im Wechsel zwischen Russisch und Ukrainisch. Großes Lob für die sorgfältig erarbeitete Diktion! Dennoch kommt das Ganze nicht in Schwung. Nach der Pause sind etliche Plätze frei.

Kosky, normalerweise ein Garant für großes Spektakel, hat sich dieses wohl für die zweite Hälfte aufgehoben. Tatsächlich: Zu strahlenden Orchesterklängen tanzen nun die Sterne, springen blutige Köche mit Totenmasken aus großen Töpfen und eine Oksana-Doppelgängerin wird wie ein Spanferkel über offenem Feuer am Spieß gedreht und gebraten, umgeifert von der Menge (Bayerischer Staatsopernchor, Einstudierung Christoph Heil), wie einst bei den Hexenverbrennungen. Schließlich der Auftritt der Zarin, jener Figur, die vor der Uraufführung 1895 im Sankt Petersburger Mariinski-Theater dem Komponisten Scherereien mit der Zensurbehörde bescherte. Zar oder Zarin durften seinerzeit nicht auf der Bühnen dargestellt werden und so ersetzte der Komponist die (Mezzossopran-)Zarin durch einen (Bariton-)Großfürsten in Frauenkleidern, auch wenn es mit der Schuhgeschichte dann nicht mehr so ganz passte. Logik war noch nie die Stärke der Oper. Angeblich meinten damals in der Hauptprobe in St. Petersburg zwei Großfürsten ihre Großmutter Zarin Katharina die Große in der Karikatur erkannt zu haben, weshalb die Uraufführung erneut verboten wurde…

Wie auch immer: In München schwebt die famose Violeta Urmana als stimmgewaltige Zarin im weißen glitzernden Prachtgewand mit russischem doppelköpfigen Reichsadler, Martiniglas und Zigarette vom Bühnenhimmel herab. An ihren Füßen die begehrten Glitzerpumps, die ihr sofort abgenommen werden, indem man beide Beine gleich ganz abschraubt. Großartig! Mehr davon will man haben, von diesen surreal-fantastischen Momenten! Ohne „Regie-Faust“ hätte er inszeniert, sagt Kosky. Die Geschichte sei verrückt genug, deshalb dürfe man sie nicht überinterpretieren und mit Bedeutung oder Psychoanalyse aufladen. Für Vladimir Jurowski am Pult des Bayerischen Staatsorchesters schlug die große Stunde. Aus dem Vollen konnte er schöpfen, in den rauschhaften Klängen der meisterhaft instrumentierten Partitur schwelgen, die einzelnen Leitmotive herausarbeiten und die 16 ukrainischen Koljadki-Lieder, die Rimski-Korsakow verwendete, deren Notenbeispiele übrigens im Programmheft abgedruckt sind. Dazu revueartige Ballettnummern, mal Cancan, mal Kasatschok. Und schwindelerregende Akrobatik aus dem Varieté (Choreografie Otto Pichler). Frohe Weihnachten! С Рождеством! Веселого Різдва!

Erschienen am 3.12.2025

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