Theater der Zeit

Gespräch

Jede Arbeit beginnt bei null

von Burghart Klaußner und Thomas Irmer

Erschienen in: backstage: KLAUSSNER (09/2019)

Assoziationen: Schauspiel

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In die andere Richtung gedacht, also die Vorbereitung einer Rolle: Benutzen Sie da viel, was Sie vorher schon mal gemacht haben?

Nein, so arbeite ich überhaupt nicht. Ich arbeite nicht retrospektiv, das ist mir völlig fremd. Ich guck mir auch meine Arbeiten im Film und Fernsehen nicht nochmal an, vielleicht nach zwanzig Jahren mal einen Ausschnitt und denke dann, aha, gar nicht sooo schlecht! Aber meistens erträgt man das schwer, weil man natürlich altert und das Jugendliche als das Erledigte betrachtet – also umgekehrt, als man denken könnte. Dass man der Jugend nachtrauert, ist überhaupt nicht der Fall, es dreht sich eher um und man denkt, mein Gott, war ich unerfahren. Deshalb lohnt sich das schon mal nicht. Und die Arbeit an einer Figur fürs Theater oder an einem Theaterstück geht für mich auf jeden Fall immer erst über die Figur, die ich zu spielen habe … in welchem Kosmos steht die und in welchem Zusammenhang ist sie entstanden, was will das Stück erzählen, wie muss die Figur aussehen, damit sie nicht nur selber eine Entität darstellt, sondern auch im Zusammenhang mit dem Stück befördernd wirkt. Dann kommt der Schritt, wo man sagt, die und die Erfahrungen müssen in die Figur einfließen, aber das sind eher Lebenserfahrungen als Rollenerfahrungen. Ich wüsste ad hoc keinen Fall zu nennen, wo ich sagen konnte, das hab ich doch schon mal so ähnlich gespielt, da brauch ich ja bloß … – also vollkommen ausgeschlossen. Vollkommen unmöglich, ganz undenkbar. Ganz undenkbar schon allein, weil das fast ein Postulat ist, zu sagen, jede Arbeit beginnt bei null. Jedenfalls ist das insofern ein positives Postulat, weil es bedeutet, dass ich die Welt neu erfinde, jedes Mal. Ich will eine neue Welt schaffen und keine wiederholen. Vorbereitung ist ein enorm spannendes Feld, Vorbereitung heißt ganz viel, Vorbereitung heißt auch, eine richtige Lebensweise zu wählen. Nicht dauernd betrunken zu sein, nicht dauernd bekifft zu sein, nicht dauernd mit dem Handy zu spielen, wenn eine konzentrative Übung ansteht oder eine Leseprobe oder auch nur eine Wiederaufnahmeprobe. Was ist Konzentration? Wie muss ein Schauspieler leben? Bei Sängern halten wir es für selbstverständlich, dass sie eine bestimmte Disziplin an den Tag legen, besonders auch vor Vorstellungen. Bei Schauspielern wird so getan, als sei es vor allem die Nonchalance, die gefordert ist. Das ist leider vollkommen falsch.

Damit ist unser Bild vom Schauspieler immer verbunden, das ist aus der Romantik: der liederliche Bohemien, der dann aber auf seinem besonderen Gebiet eine besondere Leistung vollbringt.

Es ist falsch, es ist ne Eintagsfliege. Ich glaube, diese Art von Vorbereitung ist wichtig, damit meine ich, auf Konzentration hinzuarbeiten, Geduld zu haben und vor allem – das ist etwas vom Schwierigsten, glaube ich – Gnade mit sich selbst zu haben. Dass man sich selbst nicht permanent kritisiert, zensiert und unter Druck setzt. Es sind sehr viele Punkte, die in der Vorbereitung eines Abends und dann auch in der Exekution einer Rolle auf der Bühne wichtig sind, denn es ist ja nichts anderes als das Leben selbst. Und das will ja auch von vielen, vielen verschiedenen Aspekten her genau gelebt sein.

Was bedeutet Partnerschaft mit dem Regisseur in dem Zusammenhang? Was passiert dabei? Sie haben mit dem 25 Jahre jüngeren Roger Vontobel gearbeitet, mit Haneke, mit Breloer … also mit Leuten, die schon für etwas ganz Bestimmtes stehen, was sie mit ihrem Gesamtwerk erreichen wollen, und Sie kommen mit der eigenen Vorbereitung da rein. Ist die Arbeit dann eher partnerschaftlich, führt das auch zu Konflikten oder entsteht etwas noch Besseres aus der Reibung?

Im besten Fall entsteht unbedingt was noch Besseres. Ich würde mir ein bisschen blöd vorkommen, wenn ich einem Regisseur unvorbereitet entgegenträte, denn ich muss die Sache auch ohne ihn vertreten können. Es gibt keine richtige Arbeit, wenn ich sie nicht auch alleine zustande brächte. Sie kann nur angereichert werden, in ganz wenigen schlimmen Fällen – das kann passieren – wird sie vernichtet durch den Regisseur. Es kommt ja vor. Es gibt Menschen am Theater, die sind in ihrer negativen Energie unüberbietbar, oder unüberbrückbar auch, dann wird’s schwierig. In den meisten Fällen aber geht es natürlich darum, Ansichten des Regisseurs, die überraschend sind – sie müssen gar nicht konträr sein, es reicht schon, wenn sie überraschend sind –, zu integrieren in das bereits bestehende Bild. Und sie eben als Bereicherung, als Zusatz, als Ansporn oder als Perspektiverweiterung sehen. Dass man sich nicht eingeengt fühlt von Vorschlägen eines Regisseurs, sondern sich selbst in die Lage versetzt, das als Genuss zu betrachten, so viel wie möglich zu erfahren.

Ensemble oder allein?

Sie sind ein Schauspieler, der heute in den großen Häusern in Düsseldorf, Hamburg, Wien als besonderer Gast auftritt und der die erste Hälfte seines Berufslebens in Ensembles verbracht und da auch eine andere Art von Kollegialität erlebt hat. Was hat der Wechsel bedeutet? Löst man sich da aus sozialen Beziehungen und Freundschaften, oder wird man auch zu sehr beneidet als Jet-Set-Schauspieler außerhalb der in Deutschland für typisch gehaltenen Ensemble-Kultur?

Vor allem, wenn man jung ist, fühlt man sich in einem Ensemble unglaublich geborgen. Man sucht Allianzen und man findet sie auch, man findet auch Liebschaften, das Theater ist ja eine Brutstätte der Beziehungskultur und ist auch gegenüber allen anderen Genres oder Bereichen dieses Berufs heimatbildend, weil es ein Haus hat, weil es unter einem Dach eine Gemeinschaft bildet, das kann man beim Film so nicht finden. Da gibt es auch keine Ensembles dieser Art.

Wenn du jetzt als Gast ausschwärmst, ist der erste Gedanke, warum man das tut, natürlich Überregionalität. Also rauszukommen aus dem kleineren Kreis des Ortes, in dem man im Ensemble ist. Dann klar, auch ganz wichtig, die Vermischung mit Film- und Fernseharbeit, denn nur außerhalb des festen Engagements wird man Herr seiner eigenen Termine. Man muss sich seine Termine nicht vorschreiben lassen, sondern kann mitbestimmen; anders ist eine unabhängige Arbeit ja gar nicht denkbar. Aber der eigentliche Punkt ist, wie arbeitet es sich konstruktiver. Ist es überhaupt möglich, mit ständig wechselnden Mannschaften die gleiche Intensität in der Arbeit, gerade auch in Zweierrollen, herzustellen – ich glaube ja! Ich bin da inzwischen weit weg von jeder Romantik. Ich war früher sehr stark der Meinung, es wäre gut, wenn Schauspieler unkündbar sind, weil sie dann die Sicherheit hätten, sich alles zu trauen. Sie hätten einen festen Rahmen, sie bräuchten keine Angst zu haben rauszufliegen, sie könnten alles ausprobieren, sie wären wirklich frei. Der Gedanke klingt logisch und attraktiv, hat aber den Pferdefuß, dass dann der Ansporn fehlt. Der Ansporn nämlich, immer besser zu sein, um sich den Vertrag zu erhalten und auch die Zusammenarbeit mit den anderen zu festigen. Nun ist natürlich mein Charakter ohnehin einzelgängerisch und kommt dieser Partikulierer-Idee eher entgegen. Ich muss nicht immer jeden Abend mit allen zusammenhocken und permanent alles ausdiskutieren. Das war aber mal so und das war auch ne gute Erfahrung und war auch eine gute Zeit, hat aber in vielem auch vollkommen in die Irre geführt. Denn der Glaube an die Fähigkeit zur gemeinsamen Sache war einfach übergroß, diese Möglichkeit einer Gemeinschaft hab ich grundsätzlich überschätzt. Eine Zeit lang kann man am selben Strang ziehen, dann gewinnen aber wieder Einzelinteressen die Oberhand. Aber man muss es beides mal gemacht haben.

Wie viele Vorstellungen spielen Sie heute etwa im Monat?

Das schwankt natürlich, aber sagen wir mal im Durchschnitt sind es jetzt drei Vorstellungen, vier höchstens. Sagen wir vier im Monat, also einmal die Woche, weil es aktuell nur noch zwei Stücke sind. Aber es hat Zeiten gegeben, wo ich an vier Theatern gleichzeitig beschäftigt war und vielleicht 6 bis 7 Stücke hatte und immer im Kreis gefahren bin zwischen Bremen, Zürich, Hamburg und Berlin. Das war nun wirklich der wahre Zirkus und ganz schwer zu disponieren und zu handeln, wie man sich denken kann. Aber jetzt ist es begrenzt, dafür gibt es eben andere Arbeit dazu. Natürlich die schriftstellerische Arbeit, dann die Arbeit an Hörbüchern, an anderen Lesungen … da kommt eben viel zusammen. Dazu Dreharbeiten, die wiederum jenseits vom Theater stattfinden. Es kommt einiges zusammen an Arbeitstagen. Sehr viel einiges sogar.

Prominenter Gast und Ensemble

In Düsseldorf sind Sie regelmäßiger Gast am Schauspielhaus. Durch die Besetzung dort kommen besondere Sachen zum Tragen. Jetzt im Fall von Shylock der Außenseiter. So ist das ja teilweise auch choreografiert auf der Bühne, der Einzelne, gegenüber diesem Gesamt-Ensemble, das ja sonst fast jeden Tag zusammen spielt. Kann man das als Energie oder als Konstellation nutzen?

Das kann man auch mit nutzen, aber das hat auch negative Konnotationen. Es erfordert schon einen etwas erhöhten Energiepegel, fremd zu sein. Ich erinnere mich an die Dreigroschenoper in Bremen, da war die Atmosphäre geradezu abenteuerlich feindselig, weil alle den Mackie Messer spielen wollten und der Intendant mich holte. Die waren alle frisch von der Ernst-Busch-Schule gekommen und waren empört – und das in Bremen –, dass das einer aus dem Westen spielt. Dabei waren sie selber im Westen, also es war eine abenteuerliche Situation.

Wann ist die Erkenntnis gekommen, dass Sie diese Ensemblekultur überschätzen, diese romantisierte Gemeinschaft, in der man aufgehoben und geborgen ist, in der zusammen gewartet wird, dass ein Regisseur von außen kommt und sie beglückt und dabei noch alle gerecht behandelt?

Es ging sehr schleichend, es war ein Erosionsprozess. Ich muss sagen, ich hab es deshalb auch erst spät erkannt, weil ich es auf keinen Fall wollte. Ich wollte, dass die Welt anders ist, als sie ist – auch die Theaterwelt. Und natürlich gibt es so viele leuchtende Beispiele, an denen ich zum Teil auch beteiligt war: ob es das Mitbestimmungsjahr in Frankfurt am Main unter Palitzsch war, ob das die Schaubühne am Halleschen Ufer war, mit ihrer großen Aufbruchsstimmung und künstlerischen Energie, ob das Ensembles waren, die sich über andere Punkte definiert haben … ich hab da in der Hinsicht einiges erlebt, aber am Ende bleibst du gerade in diesem Beruf ein Einzelgänger. Man speist sich als Schauspieler nicht nur – das sag ich einschränkend – nicht nur aus der Energie des Ensembles. Auch. Das soll und muss auch so sein. Aber dafür ist am Ende doch auch jeder dem anderen ein Konkurrent, das darf man nicht übersehen. Jede Besetzung ist ein Wettlauf um die Macht.

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