Gespräch
Was macht das Theater, Yana Salakhova?
von Tom Mustroph und Yana Salakhova
Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)
Assoziationen: Akteure Europa Dossier: Ukraine Dossier: Was macht das Theater...?

Yana Salakhova, wie ist die Situation vor Ort, ist überhaupt an Theateraktivitäten zu denken? Haben Ihre Landsleute Zeit, Muße und Interesse dafür?
Die Lage ist natürlich nicht einfach. In Kyjiw haben wir gegenwärtig mit Stromausfällen zu kämpfen. Wir widerstehen aber der Politik von Terror und Angst mit den Mitteln des Theaters und der Gemeinschaft, die sich über Theateraktivitäten herstellen lässt. In Zhytomir haben wir kürzlich einen Workshop des Theaters der Unterdrückten mit Binnenvertriebenen vor Ort unter dem Titel „Hope during War“ durchgeführt. Wir erhalten Anfragen aus vielen Städten von zivilgesellschaftlichen Institutionen, dort Workshops zu organisieren. Im September führte eine Kollegin von mir in Winnyzja einen Workshop und eine Performance unter dem Titel „Träumer“ durch. Es ging um die Träume, die man in einer kleinen Stadt haben kann, darum, welche Wünsche und Sehnsüchte man hat.
Wer nahm daran teil? Und welche Träume einer Stadt wurden artikuliert?
Es war eine große Bandbreite von Personen. Einer kam vom Militär, ein anderer von einem Friseurgeschäft, auch Psycholog:innen und Aktivist:innen waren dabei. Und die meisten Träume drehten sich natürlich um ein Leben in Frieden. Eine ganz starke Botschaft aus der Ukraine ist gegenwärtig, dass das Leben gewinnen wird. In all der Zerstörung, die wir jeden Tag erleben, spüre ich, dass die Ukrainer:innen das Leben am intensivsten spüren, lieben und wertschätzen. Und die Mittel des Theaters können das noch verstärken.
Welche Theatermethoden haben sich als besonders geeignet erwiesen?
Uns ist aufgefallen, dass man, wenn man sich mitten in einer Verunsicherung oder in einer traumatischen Situation befindet, sich emotional oft entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft verortet. Sehr selten fühlt man sich im Hier und Heute, sehr selten beachtet man auch, was der Körper im Hier und Heute fühlt. Deshalb starten wir meist mit Körperarbeit. Wir versuchen herauszufinden, wie sich der Körper fühlt und was er fühlt, welche Gedanken und Wahrnehmungen damit verbunden sind. Denn wenn man sich dessen bewusst wird, kann man auch eine Verbindung zur Gegenwart herstellen und versuchen, eine Kontrolle über die Situation zu gewinnen. Häufig greifen wir daher auf die Methode des Bildertheaters zurück. Sie ist wirkungsvoll, weil es sooft leichter ist, als mit Worten das Erlebte und Erlittene auszudrücken. Mit dem eigenen Körper Bilder zu entwerfen gibt mehr Freiheit. Und als Zuschauer:in erfasst man sehr schnell den emotionalen Gehalt.
Das klingt alles sehr logisch und nachvollziehbar, geradezu einfach. Wo aber nahmen Sie die Kraft und die Courage her, mitten im Angriffskrieg damit zu beginnen?
Anfangs waren auch wir einfach paralysiert, überwältigt von dem, was alles an Nachrichten auf uns einströmte. Wir sahen auch, dass die Situation vor Ort sehr unterschiedlich sein konnte. Manche Gebiete sind okkupiert, andere sind sicherer, manche sind voll von Menschen, die aus den Kriegszonen geflohen sind. Und viele Menschen sind auch im Ausland. Wir haben uns dann überlegt, eine Verbindung herzustellen zwischen denen, die im Ausland sind, und denen, die unter unterschiedlichsten Bedingungen im Land geblieben sind. So sind wir zunächst auf Online-Workshops gekommen. Wir nutzen dazu das Zeitungstheater, eine Methode des Theaters der Unterdrückten, die Augusto Boal in Brasilien entwickelt hatte, um zur Zeit des damaligen Militärregimes die Zensur zu umgehen.
Das ist ja ursprünglich eine analoge Theatertechnik. Wie haben Sie die auf Online umgestellt?
Mit Online-Varianten hatten wir bereits während der Pandemie Erfahrungen gesammelt. Über das Zoom-Fenster sieht man zumindest den Raum, in dem sich die anderen befinden, und kann damit interagieren. Beim Zeitungstheater gibt es zwölf verschiedene Techniken, von denen wir einige eingesetzt haben. Man kann beim Lesen von Texten die Betonung ändern, sie langsamer oder schneller und in verschiedenen Arten vorlesen. Man kann Nachrichtenszenen theatral darstellen. All das dient dazu, diese Nachrichten zu befragen und sich darüber auszutauschen. Wir begannen im April damit. Und sehr schnell haben wir gemerkt, wie wichtig es ist, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen sich austauschen können, sich in all dieser Unsicherheit und Bedrohung überhaupt erst wieder als menschliche Wesen wahrnehmen können, in all ihrer Verletzlichkeit auch, und wie wertvoll es ist, den Geschichten der anderen zuzuhören und sich als eine Gemeinschaft zu fühlen. //