Auftritt
Bremen: Körperliche Exerzitien
Theater Bremen: „Nathan der Weise. Ein Weichmacher für den Glaubenspanzer“ nach G. E. Lessing von Gintersdorfer / Klaßen. Regie M. Gintersdorfer, Ausstattung K. Klaßen, Kostüme M. Aschenbrenner
von Jens Fischer
Erschienen in: Theater der Zeit: Nino Haratischwili: Fürchtet den Frieden (10/2018)
Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Bremen Theater Bremen
Schon wieder? Noch immer steht landauf, landab die vernunfthell Frieden stiften wollende Blankversfabel „Nathan der Weise“ auf den Theaterspielplänen. Das Thema scheint in der Ära der Kreuzzüge, zu der Lessings Stück spielt, genauso dringlich gewesen zu sein wie in unserer Zeit, die von islamistischem Terror, unverhohlen wieder zu Wort kommendem Antisemitismus, rassistisch infiltrierten Geflüchtetendebatten, AfD-Wahlerfolgen und Islamophobie geprägt ist. Ja, wie schön ist es da zu hören: Liebe Juden, Christen und Moslems, ihr seid keine Feinde, sondern gleichberechtigte Kinder einer Urreligion, deren Wahrheit ihr in der ethisch hochwertigen Anwendung eures Glaubens zeigt. Ja, wie naiv ist es denn, ein dramatisches Gedicht mit dieser Botschaft vom Blatt zu spielen, scheinen hingegen die Theatermacher Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen zu denken. Sie fragen anhand des „Nathan“-Stoffes am Theater Bremen, warum der interreligiöse Dialog immer wieder neu scheitert an Definitionen des identitätsstiftend Eigenen und dem auszugrenzenden Anderen.
Vier Wochen der Probenzeit sitzt das Gintersdorfer/Klaßen-Team mit drei Dramaturgen zusammen, holt Gastreferenten dazu, liest Sekundärliteratur kreuz und quer, diskutiert das Stück und forscht nach Möglichkeiten, mit mehr als nur einem Humanismus-Appell als „Weichmacher für den Glaubenspanzer“ zu fungieren. Vorläufige Ergebnisse und sich widersprechende Sichtweisen werden in zwei Wochen dann noch fix in eine dramatische Form gebracht. Premiere! Schauspieler des Theaters, externe Performer, ivorische Tänzer sowie ein Musiker geben sich dabei eher privat als rollenspielerisch, verweigern also die Illusionsträchtigkeit des Theaters für seine Rückbindung ans reale Leben: den ergebnisoffenen interreligiösen Austausch. Zwischen Deutsch und Französisch hin und her übersetzte Kurzreferate sollen das Publikum ins Mitdenken verwickeln. Nur wenige O-Töne Lessings schaffen es in die Aufführung und kommen gesungen auf Ted Gaiers Beats daher. Die „Nathan“-Handlung wird grob nacherzählt, allerdings im Plauderjargon, die eine und andere Szene auch mal angespielt. Nathan (Gotta Depri) agiert mit tänzerischen und pantomimischen Mitteln. Die Frage, welcher Glaube ihm am meisten eingeleuchtet habe, versetzt seinen Körper in flirrende Spannung, er windet sich geschmeidig und präsentiert mit stolzem Lächeln einen Zeigefingertanz. Eingesprochen werden dramentheoretische Erklärungen zur gerade ausgebrüteten Ringparabel.
Manchmal sitzt das Ensemble auch im Stuhlkreis und spricht beispielsweise darüber, dass die Assimilation der Juden in den 1920er Jahren Auschwitz nicht verhindert habe. Also schütze Integration in eine Leitkultur auch nicht vor Pogromen? Moderator Hauke Heumann betont, Toleranz fange dort an, wo es wehtue, weil etwas zugelassen werden müsse, was einem fremd sei. Zur Illustration treten Darsteller in Schuhen aus Eis auf, schmerzhaft kalt, oder animieren die Zuschauer, sie mit Schuhen zu bewerfen – tut weh. Vor allem aber werden Lese- und Gedankenfrüchte zum Besten gegeben sowie private Erlebnisse ausgetauscht. Franck Edmond Yao, Katholik aus der Elfenbeinküste, erzählt von einer Muslima, in die er sich daheim verliebt hatte. Ausgehen durfte er aber nicht mit ihr, weil der Vater verlangt habe, er müsse erst einmal gen Mekka beten lernen. Daraufhin verspürte Yao Aversionen gegen alle Muslime in seinem Lebensumfeld.
Wenn nun die Sprache auf des Tempelherren Heldentat kommt, Nathans Adoptivtochter Recha aus einem Feuer zu retten, heißt es: Diese junge, muskulös maskuline, schöne christliche Figur war im 18. Jahrhundert und ist heute immer noch eine Identifikationsfigur für das weiße deutsche Publikum – im Gegensatz zu den orientalischen Figuren des Stücks. Oder im Gegensatz zu Mesut Özil, der mit hängenden Schultern und verweigertem Nationalhymnengesang kürzlich zum Fußball-WM-Buhmann avancierte. So kommt die Performance vom Hölzchen aufs Stöckchen. Als Zuschauer meint man, einem Dramaturgengeplauder am Kneipennachbartisch zu lauschen, wo beiläufig auch Elementares über Gesellschaft, Politik, Religion zur Sprache kommt. Anregend und überfordernd. Denn Gedanken werden nur angerissen, nie in den Diskurs überführt. Das gelingt nur auf physischer Ebene. Die Körpersprachen der kulturell sehr unterschiedlich geprägten Spieler spiegeln sich in den choreografierten „Nathan“-Szenen nicht als permanente Differenzbehauptungen, sondern wachsen über die eigenen Grenzen hinaus und nähern sich an – bringen die vorgeführten Gegensätze also miteinander ins Spiel und zum Tanzen. Dann tut Toleranz auch gar nicht mehr so weh. //