Auftritt
Schwerin: Meta-Film
Mecklenburgisches Staatstheater: „Solo Sunny“ von Wolfgang Kohlhaase. Regie Sebastian Kreyer, Bühne und Kostüme Matthias Nebel
von Juliane Voigt
Erschienen in: Theater der Zeit: Was soll das Theater jetzt tun? – Eine Umfrage (05/2022)
Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin

„She is Sunny. They will say. Some day.“ Das ist Sunny, werden sie eines Tages sagen. So heißt es in Sunnys Solo, auf das alle immer warten bei „Solo Sunny“. Bei der Filmpremiere 1980 ließ sich der die Zeiten überdauernde Erfolg des Streifens nicht orakeln. Aber, ja, das ist Sunny. Wir sind in Zeiten von „eines Tages“ angekommen. Konrad Wolfs Film um das Mädchen Ingrid Sommer, beziehungsweise Renate Krößner in ihrer Mädchenrolle, ist Kult. Und jetzt auch als Theaterstück zu sehen.
Crivitz hat kein Theater. Für die Produktion von „Solo Sunny“ ist das Mecklenburgische Staatstheater in das dortige Kulturhaus verzogen. Das spart jede Menge Ausstattung. Sprelacart-Vertäfelung, Bestuhlung, Vorhänge – alles in der gleichen Nichtfarbe. Konservierte Geschmacksverirrung hat schon wieder Charakter. Das Publikum sitzt drin, im Bühnenraum, sozusagen, der muffelnden Gemütlichkeit eines Kulturhauses der 80er, Getränke gibt’s an der Bar, Zigarettenqualm kommt aus der Nebelmaschine (Bühne und Kostüme von Matthias Nebel). Da kann man als Zuschauer schon mal durcheinanderkommen. Bin ich jetzt in einem Theaterstück? Oder in der Tingeltangel-Kleinkunst-Bühnenshow, in der Benno Bohne gerade zum wiederholten Mal den Witz mit den Schuhen erzählt und dann „die schönsten Männer der Welt“ von den „Tornados“ mit einem launigen „Haut Rein!“ anfeuert?
„Solo Sunny“ – das ist die Geschichte einer jungen Frau. Sie hat ihre Arbeit in der sozialistischen Produktion geschmissen, wohnt in einem Berliner Abrisshaus und singt in einer Combo. Mit einem immergleichen Kleinkunst-Programm tingelt die Truppe durch Provinz-Kulturhäuser. Bald gibt es Ärger in der Zwangsfamilie. Sunny macht, was ihr gefällt, sagt, was sie denkt, und schläft, mit wem sie will. Sie kämpft um die große Liebe und den großen Durchbruch als Sängerin. Es ist die Geschichte eines Ausbruchs aus der DDR-Norm-Biografie, einer vorgeschriebenen Laufbahn aus Arbeiten, Heiraten, Kinder kriegen. Sunnys Geschichte handelt von Scheitern und Absturz, von Aufstehen und Weitermachen. Im heutigen Deutsch: von der Suche nach sich selbst.
Der Film wird zum Glück in der Schweriner Inszenierung nicht stumpf nacherzählt. Regisseur Sebastian Kreyer inszeniert den Ausbruch. Es wechselt rasant zwischen mindestens drei Spielebenen. So wie das Publikum manchmal nicht genau weiß, ob sie jetzt nur Zuschauer sind oder als Kulturhausbesucher mitspielen, ist das auch auf der Bühne. An drei Ecken sind da die drei Handlungsorte installiert, Sunnys Wohnung, die Wohnung des Philosophen und die Künstlergarderobe eines Kulturhauses. „Ich soll hier am Anfang mal was sagen“, sagt die Schauspielerin Julia Keiling und erzählt die Geschichte der wahren Sunny, denn der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase hatte Sunny nicht erfunden, es gab eine lebendige Vorlage. Dann setzt sie sich eine Perücke auf, und es geht los: Auftritt Sunny. Schlüsselszenen des Films werden haargenau kopiert, Wort für Wort. „Is’ ohne Frühstück“ kommt natürlich auch vor. Aber dann verlassen sie das Stück einfach wieder und driften völlig ab. Gehen durch die vierte Wand, Sunny wird wieder zu Julia Keiling, die dem Publikum im Szenenraffer mit Filmverweisen, die als Video eingespielt werden, die Handlung erklärt „Und dann habe ich die ganze Wohnung blau gemalt, und im Film dann kommt die berühmte Szene, wo man Alexander Lang sieht, mit seiner geilen Unterhose.“ Und dann sieht man im Filmausschnitt, wie Alexander Lang, der im Film den Ralph gespielt hat, versucht, sich die blaue Farbe vom Hintern zu wischen. Jochen Fahr als Benno Bohne mit dem ewig flachen Schuh-Witz wird anfallartig zur Witzmaschine, zusammenhanglos lässt er einen Brüller nach dem anderen los. Rasant wechseln die Schauspieler die Zeiten, die Figuren, sogar die Geschlechter. Wenn sie den Film spielen, spielen sie so überdeutlich, als würden sie spielen, dass sie spielen. Keine Angst vor platten Witzen. Es geht alles auf, komisch, witzig, klug. Es kommt zu absurden Dialogen. Einmal fragt Sunny den Mann in ihrem Bett: „Wer bist du denn?“ Und er sagt: „Christoph (Götz), ich spiele hier den Ralph.“ Auch die Videowand macht Nebenschauplätze auf. Eine Talkshow, in der Nina Hagen und Angela Merkel 1992 über Drogen diskutieren. Helga Hahnemann im Interview, Ostberlin früher, eine DDR-Fabrik, in der Plüschtiere produziert werden. Der Film-Blick aus Ralphs Wohnung in der Gleimstraße, im Hintergrund wird mal wieder ein Haus gesprengt.
„Solo Sunny“ erzählt eigentlich auch die Geschichte eines verlorenen Mädchens, das als ehemaliges Heimkind nach Halt sucht. So tief geht das Stück nicht. Muss es auch nicht. In diesen Zeiten braucht keiner die Seelenschau einer wackligen Existenz. Sunny hat überlebt, bis heute, darauf kommts an. //