Gespräch
Erfahrungsraum
Von weitreichenden Assoziationen und intensiven Eindrücken: Katrin Brack erfindet atmosphärisch aufgeladene Bühnenräume
von Anja Nioduschewski und Katrin Brack
Erschienen in: Arbeitsbuch: Bild der Bühne, Vol. 2 / Setting the Stage, Vol. 2 – 17 Bühnenbildner:innen im Porträt (06/2015)
Assoziationen: Akteure Kostüm und Bühne

Katrin, deine Bühnen sind berühmt dafür, wie sie Licht, Luft und Zeit in Materialität verdichten. Ist das, was bei dir zu einer Raumidee führt, eine Idee im engeren Sinne? Spielt sich das zuvor ausschließlich im Kopf ab?
Alles, was ich sehe, erlebe, lese, denke oder von anderen erzählt bekomme, ist Inspiration für mich und bildet das Material, mit dem ich zu arbeiten beginne. Natürlich mache ich auch Zeichnungen, Skizzen und notiere mir konkrete Überlegungen. Am Anfang stehen aber immer viele Ideen und Möglichkeiten. Wenn ich dann zu überlegen beginne, ob ich einzelne Ideen auf der Bühne verwirklicht sehen will, reduziert sich das Ganze, bis schlussendlich die eigentliche Idee übrig bleibt.
Wie kommt man von einem Stück wie „Kampf des Negers und der Hunde“ von Bernard-Marie Koltès zu einer Inszenierung, in der schließlich ununterbrochen Konfetti auf den Bühnenboden regnet?
Der „Kampf des Negers und der Hunde“ spielt auf einer französischen Baustelle in Afrika. Ich dachte zuerst an ein Land, in das wir Weiße in den Urlaub fahren, eine gute Zeit haben, uns nehmen, was wir wollen, und den Müll zurücklassen. Dann habe ich lauter Begriffe, die mir zu Afrika einfielen, aufgeschrieben: flirrendes Licht, Hitze, schöne Menschen, wunderbare Landschaften, Musik, Krankheit, Armut, wilde Tiere, Mückenschwärme, Krieg, koloniale Ausbeutung, Slums. Daraus habe ich versucht ein Bild zu entwickeln, das alle mir wichtigen Aspekte versammelt. So bin ich auf das permanent rieselnde Konfetti gekommen. Es vereint die Farben dieses Kontinents, spiegelt koloniale Arroganz und ein anderes, uns inzwischen fremdes Zeitgefühl wider. – Die Zuschauer betreten den Zuschauerraum, da rieselt das Konfetti schon auf die Bühne, und so bleibt es, bis nach dem Schlussapplaus die Türen des nun wieder leeren Zuschauerraums geschlossen werden.
Deine größten Erfolge hast du mit atmosphärischen, fast leeren Bühnen gefeiert, in denen du die Schauspieler einem vierstündigen Schneetreiben oder einem Dauerregen ausgesetzt hast. Es gab aber auch schon Räume, die weitaus architektonischer waren. Kannst du solche Phasen beschreiben?
Selbst meine ganz frühen Arbeiten waren bereits durch die Reduktion der Mittel geprägt. Architektonische Elemente und Requisiten reichten meist aus, um eine bestimmte Raumvorstellung zu erzeugen. Mich interessierten auf der Bühne immer Veränderungen, die man mit relativ unaufwendigen oder bereits vorhandenen Mitteln erreichen kann: Requisiten und Einbauten während des Ablaufs eines Stückes oder die Konzentration auf die wesentlichen Merkmale eines angestrebten Ereignisses. Wobei ich Licht und Ton als gleichwertiges Material der Raumgestaltung begreife. Bei meinen Überlegungen stellt sich immer die Frage, wie man Konstruktionen, Materialien oder Gegenstände aus ihren spezifischen Kontexten und den sich aus diesen ergebenden Zuschreibungen löst und in die Produktion sinnvoll integriert. Verkürzt könnte man sagen: Es ging bei mir immer auch darum, einen Bühnenraum zu gestalten, der trotz aller vorgenommenen Veränderungen nicht vorgibt, etwas anderes zu sein als eben ein Theaterraum.
Ich habe den Eindruck, dass du anfangs mehr die Begrenzungen des Raums definiert oder mit einzelnen Elementen die Leere um diese herum dynamisiert hast. Später hast du vorwiegend das Raumvolumen gestaltet, seine Aggregatzustände: Nebel, Regen, Schaum und Schnee; dann die künstliche Übersetzung in Konfetti und schließlich die Übersetzung in Licht, das an Glitzergirlanden durch den Raum flirrt oder sich an Lichterketten verknotet. Ist diese Ordnung der Dinge meine Außensicht?
Grundsätzlich ist eine meiner wichtigsten Intentionen die Erstellung eines atmosphärisch aufgeladenen Bühnenraumes, der im besten Fall prägnante und weitreichende Assoziationen ermöglicht und auch körperlich intensive Eindrücke hinterlässt.
Interessant ist bei diesen Assoziationen auch immer die Materialdialektik von Natürlichem und Künstlichem, etwa wenn man im Konfetti bei „Kampf des Negers und der Hunde“ einen Insektenschwarm zu sehen scheint. Bei „Molière“ war deine Idee, dem Kreatürlichen der Hauptfigur etwas Natürliches und Künstliches zugleich entgegenzusetzen. Das war dann Kunstschnee, der von der Decke rieselte. Was ist für dich in Bezug auf deine Arbeiten natürlich, was künstlich?
Künstlich oder inszeniert ist ja eigentlich alles, was auf der Bühne passiert. Selbst wenn man auf einer Theaterbühne kein Theater spielen wollte, würde dies nicht gelingen. Das hat mit dem Kontext der Institution und der Erwartungshaltung des Publikums zu tun. Das verwendete „Material“ bleibt aber immer das, was es ist. Theaterschnee bleibt immer weiß, auch nach vier Stunden auf dem Boden. Eine Ausnahme war nur der Baum in „L. King of Pain“, der sollte beides von sich behaupten. Was ist echt, was ist künstlich, und wie rezipieren das die Theaterbesucher? Das war eigentlich auch der Grundgedanke beim Schneefall in „Molière“. Etwas anderes habe ich bei den echten Pflanzen für „Tod eines Handlungsreisenden“ versucht: Diese werden von den sichtbaren Natriumdampflampen beleuchtet und somit am Leben erhalten; während der Handlungsreisende stirbt, wächst der Pflanzendschungel weiter.
In meiner Wahrnehmung tritt eher eine Art (meta-)physische Vergrößerung ein. Zum Beispiel in „Anatol“ oder „Büchner/Leipzig/Revolte“. Da hast du als singuläres Material eine Glitzergirlande gewählt, dadurch gerät sie in einen anderen Zustand, wächst ins Metaphorische. Willst Du statt eines Sujets immer die ganze Welt erzählen?
Na ja, die ganze Welt erzählen zu wollen wäre etwas vermessen, oder? Ich bin aber durchaus davon überzeugt, dass durch die Reduktion auf wenige Stilmittel diese wenigen an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig wird meine Arbeit dadurch aber nicht einfacher, im Gegenteil, je weniger auf der Bühne zu sehen ist, desto präziser müssen Form und Funktion überlegt sein. Da ich eine Theaterproduktion als etwas Ganzheitliches begreife, ist während des gesamten Entstehungsprozesses für mich immer die Überlegung präsent, welche Möglichkeiten sich für den Regisseur oder die Schauspieler bieten. Aber auch, welche Projektionsflächen sich für die Lichtregie ergeben, welche Konsequenzen meine Arbeit für die Akustik und/oder die Musik hat, beschäftigt mich.
Die Schauspieler verschwinden in deinen Bühnen oft in Girlandenwäldern, im Blendlicht von Glühbirnen oder Scheinwerfern, sie verlieren ihre Kontur im Nebel und werden im Regen unscharf. Eine wundervolle Willkür des Auftauchens und Verschwindens entsteht. Worum geht es dabei?
Viele Schauspieler stehen gerne im Scheinwerferlicht. Das schafft ein Zentrum auf der Bühne und konzentriert den Blick des Zuschauers meist auf den vorderen, verständlicherweise besonders begehrten Teil der Bühne. Meine Vorstellung war es, den gesamten Bühnenraum als Zentrum zu definieren. Dadurch bekommt die Präsenz eines Schauspielers, der – aus einem entfernten Bereich der Bühne kommend, möglicherweise verdeckt durch Girlanden oder Nebel – nun langsam oder überraschend sichtbar wird, eine größere Bedeutung.
In deinen Bühnenräumen erfahren die Schauspieler auch, im wahrsten Sinne des Wortes, einen Raumwiderstand. Ist Widerstand auch ein Wort, um zu beschreiben, wie du dich gegenüber dem Stoff und den Erwartungen des Regisseurs verhältst?
Mir geht es bei meinen Arbeiten eher darum, die Schauspieler mit Bühnensituationen zu konfrontieren, in denen sie neue Erfahrungen machen können und in denen sie neue Spielformen entwickeln können. Manchmal ist es für alle Beteiligten eine Herausforderung, mit meinen Bühnen umzugehen. Tatsächlich ist es so, dass gerade im Regen, wie bei „Prinz Friedrich von Homburg“, die Arbeit des Schauspielers erst einmal keinen Spaß macht. Bereits das Gehen oder Laufen auf einer schrägen Fläche hat etwas Anstrengendes und mitunter auch Gefährliches. Soll man deshalb auf diese Herausforderung verzichten?
Auf die Frage, ob deine Bühnenräume Kunst sind, hast du einmal geantwortet: „Meine Räume denken nicht darüber nach, ob sie Kunst sind.“ Warum behauptest du diese Distanz so vehement?
Weil ich ein Bühnenbild nicht als autonomes Werk betrachte, sondern weil meine Arbeiten nur im Zusammenspiel mit den anderen Akteuren einer Produktion Sinn machen und ihre Wirkung entfalten können.
Mir fällt auf, dass du dich wiederholt auf bestimmte geometrische Formen beziehen. Zum Beispiel auf den Kreis: In „Aars!“ ist es eine kreisförmige Wasserfläche mit Lichtkranz darüber, bei „Der Zerrissene“ ein Karussell, bei „L’Orfeo“ gibt es einen runden Deckel und das Loch zum Hades. Oder die senkrechte Linie: die Schaukeln beim „Selbstmörder“, die Girlanden bei „Anatol“ und „Büchner/Leipzig/Revolte“. Reden wir über Geometrie?
Nein, denn das ist nie mein primärer Ansatz. Der Kreis, die Ellipse oder andere Formen sind Elemente, die bereits die Bühne oder die Einrichtung vorgeben. Der kreisrunde oder elliptische Lichtkegel der Scheinwerfer beispielsweise verlangt ja geradezu nach einer kreisförmigen Spielfläche. Es ist eher so, dass sich mein Formenvokabular aus der Architektur und der Technik des Bühnenraumes entwickelt hat.
In der Regel sucht und findet ein Regisseur „seinen“ Bühnenbildner. Wie würdest du den Regisseur beschreiben, den du brauchst?
Es sollte ein Regisseur sein, der Lust auf ein Bühnenbild hat, das ihm vielleicht erst einmal fremd ist, dem er sich annähern muss, und der neugierig darauf ist, was diese Bühne ihm ermöglicht. //