Mobilität, transnationale Vernetzung und Zäsuren
von För Künkel und Mirjam Hildbrand
Erschienen in: Zirkuskunst in Berlin um 1900 – Einblicke in eine vergessene Praxis (02/2025)
Direkt nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 berichtete das Programm von deutschen Artist:innen, die fluchtartig eines der „feindlichen Länder“ verlassen mussten und „mittellos mit den letzten Zügen und ohne Gepäck oder Requisiten“ im Deutschen Reich angekommen seien; von wehrpflichtigen deutschen Artisten, die im Ausland bereits in Kriegsgefangenschaft geraten seien; von Kollegen, die sich zum Kriegsdienst verabschiedet hätten; von russischen und französischen Artist:innen, die nicht wüssten, wie sie ausreisen sollen oder „in Verdacht der Spionage geraten sind“ und „in Schutzhaft genommen werden sollen“ (Das Programm, 9. August 1914, o. S.). Alles schien sich beinahe über Nacht verändert zu haben. Und auch das Programm veränderte sich: So wurde die Zeitschrift mit Beginn des Kriegs und in seinem weiteren Verlauf durch die allgemeine Ressourcenknappheit deutlich dünner und teurer. Zudem erschien die bisher – dem internationalistischen Selbstverständnis der Artist:innenschaft entsprechend – mehrsprachige Zeitschrift ab dem Sommer 1914 nur noch auf Deutsch.
Nicht nur auf die Mehrsprachigkeit des Berufsfelds und auf das Identitätsverständnis der Artist:innen wirkten sich die Kriegsjahre verheerend aus, sondern auch auf die internationale Mobilität sowie die länderübergreifenden Bündnisse und Netzwerke. Im Programm war 1917 zu lesen, dass der Zugang zum internationalen Arbeitsmarkt für deutsche Artist:innen nach dem...