Inszenierte Körper
von Barbara Gronau
Provozierende Körperlichkeit
In seinen Erinnerungen an Tschechow erzählt der russische Theatermacher Wladimir Nemirowitsch-Dantschenko von einem Theaterskandal im Jahr 1897. Als Auftakt einer neuen Moskauer Spielstätte engagierte die Intendantin den bekannten Schriftsteller Pjotr Boborykin, der mit zahlreichen eigens engagierten Darsteller:innen ein umfangreiches Repertoire einstudieren sollte. Schon nach 23 Tagen warf der Schriftsteller das Handtuch und verließ das Haus. Anlass war ein Streit mit einer Schauspielerin, die sich weigerte, in einem klassischen Stück den ihr bestimmten Rollentext zu sagen. Der für sie unaussprechliche Satz lautete: „Ich habe geschwitzt.“1
Diese Anekdote ließe sich als historischer Fall für ein – heute veraltet wirkendes – Schauspielverständnis abtun, wenn er nicht auf exemplarische Weise von den Herausforderungen eines Subjekts im künstlerischen Umgang mit dem eigenen Körper erzählen würde. Darin stehen sich ein weibliches Selbstverständnis und ein männlicher Regieblick gegenüber und ein zu interpretierender Rollentext dazwischen. Für die Schauspielerin war die explizite Thematisierung der eigenen Physis „unanständig und derb“2 – für den Regisseur hingegen ein klassisches Sujet und kein Anlass zum Streichen. Die Auseinandersetzung der beiden Personen wurde von (unausgesprochenen) konträren Geschlechterbildern und Kunstverständnissen, Spieltraditionen und Deutungshoheiten bestimmt. Von jeher – so können wir feststellen – agieren Körper auf der Bühne entlang normativer Grenzen und...