Adornos Brecht
Erschienen in: Recherchen 123: Brecht lesen (06/2016)
Assoziationen: Wissenschaft Theatergeschichte Dossier: Bertolt Brecht Bertolt Brecht
Ein Zufall des Alphabets macht die Namen Adorno, Brecht, Celan zu einem ABC des Nachdenkens über den Stand von Kunst in der Gegenwart. Wir lassen uns von diesem Zufall leiten und reflektieren Adornos Kritik an Brecht auf einem Umweg, nämlich im Spiegel eines kleinen Gedichts von Paul Celan „für“ Brecht. Es lautet:
EIN BLATT, baumlos,
Für Bertolt Brecht:
Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch
beinah ein Verbrechen ist,
weil es so viel Gesagtes
Das „Blatt“ ist Brecht zu-geschrieben, und natürlich handelt es sich um eine „Antwort“, um einen Dialog mit einer berühmten Stelle aus Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!2
In Brechts Gedicht ist oder scheint doch eindeutig, was es „sagen will“. Es bewahrt die Form eines geschriebenen Anrufs und Ausrufs, mit Ausrufungszeichen, an eine größere Öffentlichkeit, ist Adresse an die „Nachgeborenen“, Ansprache, die die Stimme im Schweigen der Schrift aufbewahren will. Brecht färbt aber dadurch zugleich das „Gesagte“, das, was einfach eine „Aussage“ zu sein scheint, in einer Weise, die Beachtung verdient, mit einer kleinen performativen Drehung in einen Ausruf um:...