Herr Welzer, hat Zukunft heute noch Konjunktur oder gilt das Motiv als verstaubt?
Wenn man Leute darauf aufmerksam macht, dass Zukunft gegenwärtig kaum noch vorkommt, aber bis vor ein, zwei Jahrzehnten ein zentrales Motiv sowohl von individuellen Leben als auch von politischen Projekten gewesen ist, stutzen sie und sagen: „Tatsächlich ist uns die Zukunft abhandengekommen, ohne dass wir das so richtig gemerkt haben!“ Schon erwacht das Interesse. Nur traut niemand mehr den traditionellen Konzepten von Wachstum und Experten, die eine kompetente Politik flankieren etc. Vielmehr ist das Gefühl verbreitet, dass die Zukunft eher schlechter sein wird als die Gegenwart. Dieses diffuse Unbehagen findet aber noch keine Form. Die frühere Zukunftsgewissheit ist verloren. Stattdessen misstraut man dem Fortschrittsversprechen, dem Glücksversprechen einer besseren Zukunft, kann sich aber auf nichts anderes als die schiere Gegenwart beziehen.
Der gangbare Weg in eine Welt ohne Wachstum scheint auch noch nicht gefunden.
Vor allem findet diese Option keinen Widerhall in der Politik. Von links bis konservativ wird weiter auf die traditionellen Rezepte gesetzt. Das Wahlergebnis der Bundestagswahl dokumentiert diese Ignoranz. Dieser verblüffende Vertrauensbonus für Frau Merkel bildet sehr genau das steigende Sicherheitsbedürfnis ab. Wenn wir schon nicht wissen, was die Zukunft bringt, wollen wir uns umso...