Bericht
Let’s play: first aid kit for kids
Ein (vorläufiger) Erfahrungsbericht über ein theatrales Erste-Hilfe-Paket
„Let‘s play!“, schreit die Hand der Puppenspielerin Gony Paz. Mit auf Heftpflastern aufgeklebten Augen schaut sie in die Kamera und spuckt eine Klopapierrolle aus. So startet ein 5-minütiger Film mit unzähligen Papprollen und Händen – aus denen man offenbar fast alles machen kann, von Kronen über Armbanduhren und Hasengesichtern bis hin zu Schreihälsen. Florian Feisel war in das israelisch-deutsche Projekt „Band-Aid“ (amerik. für Heftpflaster) involviert. Er berichtet über die Spielfreude beim Erschaffen einer Welt aus dem Nichts, aber auch über den wenig spaßigen Hintergrund dieses theatralen Hilfsprojekts.
von Florian Feisel
Erschienen in: double 43: Barrieren | frei – Zugänge zum Figurentheater (04/2021)
Assoziationen: Asien Puppen-, Figuren- & Objekttheater Debatte
Im Jahr 2018 brachte das in Jerusalem ansässige Train Theater in Kooperation mit dem dortigen Goethe-Institut Puppenspieler*innen aus Israel und Deutschland – Antje Töpfer, Florian Feisel, Gony Paz, Shay Persil und Sarah Chaudon – mit zwei Filmschaffenden – Yair Moss und Yoav Cohen – vor Ort zusammen. In einer dreitägigen Hau-Ruck-Aktion wurden zwei Filme produziert, mit Klopapierrollen und Heftpflastern. Ein Jahr später kam das Team erneut in Jerusalem zusammen, um drei weitere Filme aufzunehmen, die sich jeweils einem von drei Materialien widmen: Spülschwämmen, Plastikflaschen und Papier – allesamt Dinge, die einfach zu finden oder zu beschaffen sind und die nichts oder wenig kosten. So verspielt und anarchisch diese fünf Filme daherkommen, so ernst ist der Anlass ihrer Produktion: Eltern und Einrichtungen, die sich nicht kümmern – oder kümmern können – und Kinder, die darunter leiden.
Digitale Handarbeit aus der Not heraus
Bereits 2017 hatte Wolf Iro, damaliger Leiter des Goethe-Instituts in Israel, zusammen mit seiner Kollegin Yael Goldman die oben beschriebene Initiative aufgrund von alarmierenden Zuständen in privaten Betreuungseinrichtungen in Tel Aviv gestartet. Bis dato existierte dort, trotz großen Bedarfs, keine staatlich organisierte Kinderbetreuung für unter Vierjährige. Dieser Mangel betraf auch geflüchtete Familien, die aus dem Sudan über die ägyptische Grenze nach Israel gekommen waren und dort ohne rechtlichen Status leben. Da die Eltern meist schlecht bezahlten Arbeiten, oft auf dem Schwarzmarkt, nachgehen, müssen die Kinder zum Teil von 7 bis 20 Uhr versorgt werden. Dies geschieht in privatwirtschaftlichen Einrichtungen, genannt „Babysitter“. Es sind zweckentfremdete Wohnungen, in denen sich oft nur zwei Erwachsene um bis zu 50 Kinder kümmern, vom Kleinkind bis zum Sechsjährigen.
Nachdem die katastrophalen Bedingungen in den „Babysittern“ – z. B., dass es dort auch Vier- bis Fünfjährige gab, die noch nicht sprechen konnten – an die Öffentlichkeit kamen, hat sich die Situation dort deutlich gebessert und inzwischen lassen einige dieser Einrichtungen den Besuch von ehrenamtlichen Helfer*innen zu. Diese Volontär*innen kommen aus den unterschiedlichsten Berufen und sind hochmotiviert, sich mit den Kindern zu beschäftigen. Oft fehlen ihnen jedoch Mittel und Methoden dafür. Das führte unser Team zu der Idee, filmische Anregungen zu produzieren, die den Betreuer*innen helfen können, die Kinder spielerisch zu erreichen.
Immaterielle Barrieren
Als die ersten Filme „im Kasten“ waren, schien es, als wäre die Arbeit geschafft – ähnlich wie nach einem Live-Auftritt klopften wir uns auf die Schultern. Jedoch hatte es bisher noch keine Zuschauer*innen gegeben. Mit einer gewissen Naivität waren wir davon ausgegangen, dass wir mit diesen Filmen digitale Tools produziert hatten, die andere Menschen fast automatisch zu Multiplikator*innen machen würden – sollten sie doch dazu inspirieren, selbst als Puppenspieler*in aktiv zu werden. Leider ist dieser Plan bislang noch nicht aufgegangen. Die Filme zu produzieren war erst der Anfang der Arbeit. Der künstlerische Leiter des Train Theaters, Shahar Marom, brachte es auf den Punkt: „Mittlerweile sind alle der digitalen Angebote überdrüssig. Es nützt nichts, mehr Information bereitzustellen – es geht darum, Aufmerksamkeit für diese Informationen zu schaffen.“
Die Kurzfilme von „Band-Aid“ sollen wahrgenommen und vor allem genutzt werden, sollen dazu inspirieren, selbst Material in die Hand zu nehmen, ins Spiel zu kommen. Was muss getan werden, damit die Ideen hinter den Filmen den Weg von den Bildschirmen ins „echte“ Leben finden?
Drei Ansätze von digital zu analog
Das Train Theater gibt die Filme an interessierte Volontär*innen und Erzieher*innen weiter, wenn diese sich dafür auf ihrer Website anmelden – denn so kann die Arbeit begleitet und auch ausgewertet werden. Diese virtuelle Barriere des Einschreibens (subscribe) bewirkt zwar eine gewisse Verbindlichkeit, hält aber vermutlich gerade dadurch auch potenzielle Nutzer*innen ab. So wurden auf diesem Wege bisher nicht sehr viele Menschen erreicht.
Auf einem anderen Weg hätte es das Train Theater vor rund einem Jahr fast geschafft, das Projekt mit einem Schlag bekannter zu machen: Die Kunst- und Theaterabteilung des israelischen Ministeriums für Erziehung hatte zugesagt, im Juni 2020 „Band-Aid“ ganz offiziell allen Kindergärten des Landes zugänglich zu machen. Doch dann kam das Corona-Virus …
Ein weiterer Ansatz die Filme anzuwenden, erfolgt in einem online-live Format. Shay Persil, eine der beteiligten Puppenspielerinnen, spielt per Videokonferenz mit den Drei- bis Sechsjährigen und deren Eltern – unsere Filme sind dazu ein Türöffner. Dabei regen die vorproduzierten Aufzeichnungen zu Spielvorgängen an, die interaktiv und live stattfinden – das Prinzip des Agierens vor der Kamera bleibt also erhalten.
„Kreative Superspreader“ gesucht
Beim Projektstart bekamen wir als Team einen Einblick in die katastrophale Situation der „Babysitter“ – so sehr sie mich persönlich schockierte, so fern schien sie mir aber auch von meinem eigenen Lebensumfeld zu sein. Ein Jahr Pandemie hat mein Bewusstsein dafür verändert: In jeder Nachbarschaft können Kinder einsam sein. Keine neue Erkenntnis, aber sie führt zu einer dringlichen Frage: Auf welchen Wegen können wir Kinder in ihrer Isolation erreichen?
Können unsere Filme dabei hilfreich sein? Und wenn ja, auf welchen Plattformen sollten sie präsentiert werden, wie können sie aktiv verbreitet werden?
Denn die Aufgabe, dieses Angebot bekannter zu machen, scheint dringender denn je. Um alle fünf Filme einfacher zugänglich zu machen, sind sie zunächst auf meiner Homepage abrufbar – langfristig suchen wir aber auch hierzulande eine institutionelle Anbindung und jemanden, der sich aktiv um die Verbreitung der Filme kümmert (Ideen und Anregungen dazu sind herzlich willkommen). Es wäre zu hoffen, dass der nächste Run auf Klopapier der Beschaffung von Bastelmaterial dient. –
www.traintheater.co.il/en/project/bandaid / www.florianfeisel.de/band-aid