Auftritt
Deutsche Oper Berlin: Plakativer Wahnsinn
„Macbeth“ von Giuseppe Verdi, Dichtung von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei nach William Shakespeare – Musikalische Leitung Enrique Mazzola, Inszenierung Marie-Ève Signeyrole, Bühne Fabien Teigné, Kostüme Yashi, Video Artis Dzerve, Chorleitung Jeremy Bines
Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Musiktheater Deutsche Oper Berlin
Eine Oper „senza amore“, ohne Liebesgeschichte, ist Verdis „Macbeth“. Ohne schmachtenden Tenor in der Hauptrolle. Und ohne patriotische Gesinnung. Stattdessen psychopathische Geister und Hexen, Terror und Paranoia. Shakespeare at its best. Die Uraufführung 1847 in Florenz wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Schließlich empfanden einige im damals vorrevolutionären Italien, dass Verdi eher den „Schmerz der Italiener“ hätte zum Ausdruck bringen sollen, statt sich mit Shakespeares Drama von 1606 um den Aufstieg und Fall des schottischen Generals Macbeth, der im 11. Jahrhundert König Duncan tötete und sich selbst zum König kürte, zu beschäftigen. Verdi erwiderte: „Hätten wir nur einen Dichter, der imstande wäre, so ein Drama zu schaffen.“ Er sei quasi gezwungen gewesen, „zu unserer Schande nach fremder Literatur“ zu greifen. An der Deutschen Oper wurde nun Verdis zweite, erweiterte Pariser Fassung von 1865 aufgeführt.
Regisseurin Marie-Ève Signeyrole teilt die vieraktige „Macbeth“-Handlung in fünf Episoden auf: 1. Krieg und Frieden, 2. Lang lebe der König!, 3. Der leere Stuhl, 4. Blutsaaten und 5. Schachmatt. Das ist eine gute Idee. Weniger gut die Idee, zu Beginn und in der Mitte der Oper über Großvideoschalte die Oberhexe als Krypto-Supercallgirl (Schauspielerin Dana Marie Esch) einzuspielen. Ihr KI/IT-Kauderwelsch und ihr salbadernder Monolog über Big Data und Fake News, die Ausbeutung von Öl- und Gasressourcen, das Artensterben, der Kapitalismus und – fast hätten wir es vergessen – das Patriarchat gingen dem Publikum an den Nerv. Zu viel auf einmal. „Aufhören!“, bzw. „Endlich anfangen!“, hieß es aus den mittleren Reihen. Plakativ auch die Idee, Shakespeares Hexen, die sich in Macbeths düsterem Gemüt einnisten und seine Macht- und Mordgier schüren, als „skrupellose Lobbyisten, die die Interessen von Investmentgesellschaften vertreten“, darzustellen. Die Investmentgesellschaft ist, na klar, Blackrock, bei der der zukünftige Kanzlerkandidat der CDU Friedrich Merz bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Abteilung des Unternehmens war. Mordskritisch möchte man da nur ironisch sagen, wenn es nicht so albern wäre: dieses krampfhafte Bemühen, alles ins Heute zu versetzen, um die Allgemeingültigkeit der Handlung zu unterstreichen. Vieles wirkt dabei nicht nur aufgesetzt, sondern geht vor allem völlig an der Kunst Shakespeares vorbei. „Es ist mir wichtiger, dass du dem Dichter mehr dienst als dem Komponisten“, hatte der große Shakespeare-Verehrer Verdi mehreren seiner Librettisten eingebläut.
„Shakespeare schuf mit diesem beispiellosen Paar einen Organismus mit zwei Gesichtern und zwei Herzen, bewaffnet mit zwei Messern“, charakterisiert Marie-Ève Signeyrole im Programmheft das kinderlose Ehepaar Macbeth: „Eine menschliche Bestie, die zu zweit operiert. Die Frau gibt vor, der Mann handelt. Er schlägt zu, sie verwischt die Spuren. Er fällt, sie richtet ihn auf. Er wird heimgesucht, sie rationalisiert. So gleiten sie in einen Strudel der Grausamkeit ab, die immer mehr Grausamkeit fordert – Blut kann nur mit Blut abgewaschen werden.“ Viel Theaterblut wird tatsächlich im Stück vergossen, nach dem Prinzip: der Zweck heiligt die Mittel. Zentrale Triebfeder des Dramas ist die Unfruchtbarkeit des Ehepaares Macbeth. Eine ihrer wichtigsten Pflichten als regierendes Paar können sie nicht erfüllen: für Nachkommenschaft zu sorgen, die den Fortbestand der Dynastie sichern und ihre eigene Herrschaft legitimieren würde. Dieses dynastische Prinzip gilt bis heute in den Monarchien. Das Prinzip kannten bereits Shakespeare und Verdi, auch wenn sie keine Historiker waren. Demzufolge ermorden die Macbeths, die selbst keine Kinder bekommen können, die Kinder ihrer Rivalen. Sie müssen es regelrecht. Um Moral geht es nicht. Marie-Ève Signeyrole aber handelt diesen Konflikt auf dem Niveau einer familientherapeutischen Sitzung ab – inklusive Fehlgeburten und Potenzstörungen – und kommentiert dies mit Sätzen wie „Statt den Schmerz von innen heraus zu stillen, kehren sie (die Macbeths) ihn nach außen“ (siehe Programmheft). Das ist nicht nur unerträglich moralisierend und bieder gedacht, sondern verkennt historische Realitäten.
Auch das austauschbare Bühnenbild von Fabien Teigné mit seinen beweglichen, in Schwarz und Grau getünchten Raumteilern und die schlichten Kostüme (Yashi) konnten nicht überzeugen. Gespannt war man auf die musikalische Charakterzeichnung des „doppelköpfigen Monsters“. Optisch mögen Felicia Moore als Lady Macbeth und Roman Burdenko als Macbeth nicht zusammengepasst haben. Musikalisch aber machten sie einiges damit wett. Burdenko mimt den wahnsinnigen Macbeth mit kraftvollem, energetisch aufgeladenem Bariton. Moore durchlebt die Extrempartie mit körperlicher Wucht und einer Stimme, die hell und vibrierend ist. Die „raue, erstickte [soffocata], dumpfe [cupa] Stimme“, die sich Verdi für seine Lady wünschte, hat Moore allerdings nicht. Auch das Diabolische geht ihr ab. Dennoch eine respektable Leistung, besonders bei ihren unangestrengten Spitzentönen, die mit viel Applaus belohnt wurde. Lyrische Akzente setzte Attilio Glaser als Macduff. Marko Mimica als Banquo, der Rivale von Macbeth, glänzte mit grundtiefschwarzem, sonorem Bass. Fahles Grauen wusste Enrique Mazzola am Dirigentenpult der Deutschen Oper zu verbreiten: Düstere Molltonarten, schrille Dissonanzen, stakkatohafte Chöre, nervös-hektische Orchesterfiguren und irre Finali. Applaus-Kaskaden für Ensemble, Orchester und den von Jeremy Bines geleiteten Chor. Die (zumindest in Berlin) bisher relativ erfolgreiche französische Regisseurin Marie-Ève Signeyrole wurde diesmal gnadenlos vom Publikum ausgebuht.
Erschienen am 27.11.2024