Auftritt
Schwedt: Aller Seelen
Uckermärkische Bühnen Schwedt: „Nacht“ von Andrzej Stasiuk. Regie Jan Jochymski, Ausstattung Sophie Lenglachner
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Thema Ukraine: Serhij Zhadan „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ (04/2022)
Assoziationen: Theaterkritiken Sprechtheater Brandenburg Uckermärkische Bühnen Schwedt
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Als Andrzej Stasiuks erstes Stück 2005 in Krakau und Düsseldorf in Koproduktion uraufgeführt wurde, standen die komischen Aspekte dieser „slawo-germanisch medizinischen Tragikfarce“ im Vordergrund. Der Autor, vom literarischen Naturell her kein Dramatiker, aber ein sarkastischer Beobachter der post-sozialistischen Umbrüche und dafür ein hinreißender Reise-Essayist, hatte für „Nacht“ die originelle Idee, dass nach einem verunglückten Einbruch bei einem deutschen Juwelier diesem das Herz eines polnischen Autodiebs eingepflanzt wird. Der Schmuckhändler erschoss den ausnahmsweise mal das Fach wechselnden Einbrecher und erlitt dabei einen tödlichen Herzinfarkt, Letzterer stand nun gleich als Organspender zur Verfügung. Nach erfolgreicher Transplantation empört sich der Deutsche über die ihm unbekannte, aber durchaus verdächtige Herkunft seines neuen Herzens. Die Ärzte versuchen, ihn zu beruhigen, der Mann habe ja immerhin deutsche Literatur studiert. Es gab viel zu lachen über deutsch-polnische Klischees, obwohl Mikolaj Grabowskis Inszenierung den von Stasiuk thematisierten Organhandel im Ost-West-Transfer keinesfalls unterschlug. Das Stück geriet in Vergessenheit, Stasiuk freilich nicht.
Nun, in Schwedt, ein paar Hundert Meter von der Grenze zu Polen, wurde das Stück wiederentdeckt. Dort waren Autodiebe lange ein großes Thema, reiche Juweliere wohl eher nicht. Aber die deutsch-polnische Nachbarschaft und deren wechselseitige Wahrnehmung ist in dieser Gegend Alltag, und man durfte vermuten, dass Stasiuks geniale Groteske von der operativen Verbindung einer slawischen Seele mit einem deutschen Biedermann eine andere, vielleicht aktuellere Interpretation erfährt.
Jan Jochymski konzentriert einerseits auf den präzise, aber auch komisch erzählten medizinischen Handlungsstrang mit den beiden Ärzten (Ines Venus Heinrich und Bernhard Schnepf) am Bett des Transplantationspatienten, der in Gestalt und Habitus von Udo Schneider nicht wie ein Juwelier von der Düsseldorfer Königsallee wirkt, sondern tatsächlich eher wie der Chef einer Firma für Innenausbau im Brandenburgischen, die ihn voller Sorgen überfordert hat. Die Ärzte rufen immer wieder „Brave Heart!“, als wär’s ein Erkennungszeichen, und der Regisseur macht klar, dass hier auch ein bisschen Klamotte steckt, über die man lachen kann. Der Dieb in der Darstellung von Fabian Ranglack läuft vor allem in den poetisch konternden Szenen mit seiner eigenen Seele (Adele Schlichter) zu großer Form auf – womit sich über die einfachen Klischees hinaus das Stück zu seinem eigentlichen Thema entwickelt, nämlich was von Westlichem und Östlichem sich gerade an der Oder zusammenfügen lässt.
Dazwischen werden die von Stasiuk als Weitung der Perspektive geschriebenen Chorszenen von dem ganzen Fünfer-Ensemble in der Dopplung mit lebensgroßen weißen Puppen als Publikumsansprache über Totes und Lebendiges, Ost und West, Organe und Konsum deklamiert. Das wirkt zwar etwas steif und die Komik bremsend, aber Jochymski öffnet hier damit auch die eigentliche Dimension, die Stasiuk dem Stück als Problem von Europa mit eingeschrieben hat. Geht es nur um einen Tausch, Seele gegen Wert und Nützlichkeit der Dinge, oder schlimmer noch, Organe geben für den materiellen Erhalt einer spirituellen Verfasstheit? Die Premiere ein paar Tage vor der Invasion hat Jochymskis dafür sensible Inszenierung zumindest so sehen lassen. Am Ende liegen der Mann mit dem neuen Herzen und sein Retter, der mit seiner Seele kraftvoll verbunden bleibt, in einem Bett. Das ist eine nicht nur in Schwedt gute Perspektive für die Wiederentdeckung von Stasiuks Drama-Debüt. //