Auftritt
Schauspielhaus Graz: Berauschender Abschied von Graz
„Das Ende vom Lied. Ein rauschender Abgesang“ von Sandy Lopičić und Hannah Zufall - Regie & Musik Sandy Lopičić, Text Hannah Zufall, Bühne Vibeke Andersen, Kostüme Christin Treunert, Licht Viktor Fellegi, Dramaturgie Karla Mäder und Elisabeth Tropper
von Stefanie Stocker
Assoziationen: Österreich Theaterkritiken Elisabeth Tropper Karla Mäder Hannah Zufall Sandy Lopičić Schauspielhaus Graz

Alles dreht sich um das Ende. Am Ende der acht Jahre, in denen Iris Laufenberg das Schauspielhaus Graz als Intendantin überaus erfolgreich geleitet hat, versammeln Regisseur und Musiker Sandy Lopičić und Autorin Hanna Zufall Spieler:innen und Musiker:innen für eine eigens entwickelte Abschiedsproduktion auf der großen Bühne des Hauses. Figuren, Szenen, Texte, und Musik sind dem Ensemble auf den Leib geschrieben, das in dieser Konstellation ein letztes Mal als 19-köpfige Band eines performativen Trauerkonzerts auftritt, das ein großes „Ja“ zum Leben ist.
„Das Ende vom Lied“ ist eine Verabschiedung auf mehreren Ebenen: von Menschen, Dingen und Ideen, vom Schauspielhaus Graz und von Kolleg:innen. So startet das Stück mit dem Begräbnismarsch „Marš funebre“. Ein Trauerzug kommt auf die Bühne. Alle Schauspielerspieler:innen sind Schwarz gekleidet - wie soll es anders sein? Ein Moment der Stille, der Vorhang geht auf und ein riesiger runder Gartenpavillon aus Metall in edler Antik-Optik steht auf der Drehbühne. Die Trauernden sind im Garten einer Villa versammelt. Der Anlass – metaphorisch naheliegend – ist eine Beerdigung. Beschriftete Umzugskartons, Stühle, ein Klavier und leere Weingläser weisen auf eine Haushaltsauflösung hin, die ins Stocken geraten ist. Susanne Constanze Weber beginnt „Shine On You Crazy Diamond“ zu singen, das gesamte Ensemble steigt peu à peu mit ein - das Publikum wird in die Stimmung der Trauergemeinschaft gezogen. Zum Titel „Our House“ werden Fotoalben durchgeblättert und schöne Erinnerungen an gemeinsame Zeiten wach. „Trink ma jetzt no oan? Oder pack ma’s an?“ ist eine Zeile aus dem Musiktitel „Gemma Hoam“. Auftritt Maximiliane Haß: Sie will gar nichts anpacken! Mit ihr tauchen wir in die Phase der Trauer ein, in der man sich von bestimmten Dingen einfach nicht trennen will. So sollen die Umzugskartons doch noch etwas länger liegen bleiben, und die Erinnerungsstücke nicht so schnell weggeräumt werden. „Überhaupt könnte man die Toten doch auch einfach mal liegen lassen!“ Trauer braucht ihre Zeit, Trauer hat unterschiedliche Gesichter, Zu-und Ausgänge, sowie Traditionen, und Geschichten. Fritz (Franz Solar) sagt:„Kintsugi! Wisst ihr, was das bedeutet? Kintsugi? So nennt man in Japan das Reparieren mit Gold! Ich klebe das Porzellan, das zerbrochen ist, und fülle die Bruchlinien mit Gold. Diese Narben im Porzellan bilden auf der Tasse eine neue Landschaft. Und diese Narben haben einen eigenen Wert. Die Schönheit steckt hier im Fehlerhaften, im Vergänglichen, im Alten und im Kleinen.“ Mit viel Weisheit und österreichischem Charme, kurzen Anekdoten, Monologen oder Dialogen zwischen den Musiktiteln werden Tod und Trauer verhandelt.
Treibende Kraft und Hauptakteur ist die Musik selbst. All Time Classics wie „I Just Don’t Know What To Do With Myself“, „Hit The Road Jack“ oder Austropop-Klassiker wie „Kalt und Kälter“ führen durch diese große Trauerzeremonie. Jazzige Sounds und lebensfrohe Balkanmusik von Sandy Lopičić und Band (Altsaxophon und Klarinette von Miloš Milojević erinnern an Ennio Morricone) lassen selbst Moll-Tonarten fröhlich erklingen, bringen die Figuren zum Leuchten und das Publikum zum Mitsummen. Das Leben geht weiter: Gedscho (Geht schon).
Oliver Chomik besingt eine ausgestopfte Antilope im offenen Schaukasten und mit einer schnell darauffolgenden Rede über die Scham wird die vierte Wand durchbrochen. Fragende Gesichter im Publikum. Schnell wird klar: Ab jetzt ist alles offen. Die Schauspieler:innen treten in Kontakt mit dem Publikum und laufen durch die Reihen des Saals während Rudi Widerhofer in höchst komödiantischer Weise erzählt, wie Fritz als Reiseleiter „Pornoheftln“ in die DDR und Zigaretten von Griechenland nach Dänemark schmuggelte. Das Publikum ist hellauf begeistert.
Nun ist aber Schluss mit Lustig: Auftritt Gerhard Balluch. Mit seinen Worten weist er darauf hin, dass es früher mal Regeln und einen Ablauf für eine Verabschiedung gab, und nicht „diese dahingeklatschte Flüchtigkeit.“ Sollte das etwa eine Abschiedsfeier sein? „Aber in Wirklichkeit dauert es so lange, bis die Toten und die Lebenden eine tragfähige Beziehung miteinander haben.“
Die Lichtstimmung wechselt, die Bühne dreht sich. Ein einzigartig sinnliches Bühnenbild zeigt sich: Zwischen Licht und Schatten ist Sarah Sophia Meyer in einem schwarzen viktorianischen Kostüm mit weißer Halskrause und breitem Reifrock zu sehen. Hinter ihr ein edler hoher Luster, der warmes Kerzenlicht spendet, neben ihr in einigem Abstand Sandy Lopičić am schwarzen Flügel – mit dem Rücken zum Publikum. Er begleitet Sarah Sophia Meyer zu „The Show Must Go On“. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Vibeke Andersen (Bühnenbild), Christin Treunert (Kostüm) und Viktor Fellegi (Licht) zusammen mit Sandy Lopičić, Hanna Zufall und den Schauspieler:innen ein eingespieltes Team sind.
Wenig später sehen wir Maximiliane Haß an der Schreibmaschine zwischen zwei dicken Baumstämmen. Sie betrauert mit dem Song „Der Baum, mein Freund“ den Tod eines geliebten Baumes, an dessen Stelle nun graue Mauern hochgezogen werden. Die Bühne dreht sich erneut und wir befinden uns wieder an der Ausgangsposition im Gartenpavillon: Lisa Birke Balzer singt für ihre Freundin das gewünschte Abschiedslied „Feeling Good“ und verzaubert das Publikum mit ihrer wunderbaren Stimmkraft. Mit „Hurra, wir leben noch“ und einem Tango finale im Rahmen einer wilden Bauhaus Party kehrt die Stimmung endgültig zur Lebensfreude zurück. Pure Freude am Sein versprüht auch die Performance von Susanne Konstanze Weber, die nach und nach ihr enges Kostüm ablegt, und mit ihm alte Wunden und Unsicherheiten. Sie nimmt die Perücke ab, lacht, öffnet ihren Dutt, und tänzelt leichten Schrittes gegen die Drehrichtung der Bühne. Ein Akt der Befreiung und eine Rückkehr zu sich selbst: „Ich lass meine mentalen Verrenkungen zurück und die Verspannungen im Nacken. Ich lass die Blasen zurück, die an meinen Füßen und die, in denen ich mich sozial bewege. Ich nehme die Falten mit und vertiefe sie mit einem Lachen.“
Mit den Titeln „Lied ans Leben“, „Aber schön war es doch“ und „Gemma Hoam“ schließt der berauschende Theaterabend ab. Standing Ovations. Das Publikum verlangt nach einer Zugabe. Das Ensemble schenkt uns „Mensch“ von Herbert Grönemeyer und „Odlazi cirkus (Der Zirkus)“. Am Ende bedankt sich Sandy Lopičić mit den Worten: „Es war uns eine Freude, uns für Sie zum Affen zu machen, all diese Jahre. Ich hoffe, wir sehen uns wieder, begegnen uns…in einer anderen Stadt, einer anderen Vorstellung, in einem anderen...Zirkus!“
Erschienen am 15.5.2023