3.4 Rhythmus und Zeiterfahrungen in der Oper
von Clemens Risi
Erschienen in: Recherchen 133: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (08/2017)
Assoziationen: Musiktheater
Die „andere“ Zeit der Opernaufführung
Wenn es beim Performativen insbesondere um Ereignishaftigkeit, Prozessualität, Vollzüge und Handlungen geht, dann ist eigentlich die Zeit die entscheidende Dimension, die das Performative auszeichnet. Doch wie lässt sich diese für die Künste Musik und Theater sowie für das Performative entscheidende Dimension begrifflich und analytisch fassen? Wenn in der Opernforschung über das Problem der Zeit verhandelt wird, so geht es in der Regel entweder um die Unterscheidung von dargestellter Zeit und Darstellungszeit (in Anlehnung an die in der Erzählforschung unterschiedenen Ebenen erzählte Zeit und Erzählzeit) oder um das Drei-Zeiten-Modell einer Inszenierung, nach dem in einer Opernaufführung immer drei Zeitschichten gleichzeitig aktiv sind, und zwar die Epoche der Handlung, die Epoche der Entstehung (also die Historizität des Textes und der Musik) und der Zeitpunkt der Aufführung. Interessiert man sich jedoch insbesondere für die performative, also die Aufführungsdimension von Oper, verschiebt sich der Fokus notwendig auf die Erlebniszeit – ein Aspekt, der in der Opernforschung für gewöhnlich außer Acht gelassen wird.
Bereits der für seine spitze Zunge bekannte Theaterkritiker Alfred Kerr wies mit seinem berühmten Bonmot auf dieses Phänomen bei der Beschäftigung mit Zeiterfahrung in Musik und Theater hin – auf die Differenz von objektiver, der sogenannten chronometrischen...