Meinung
Kritisches Puppenspiel
Über die Freiheit im Uneindeutigen
von manufaktor
Erschienen in: double 41: Puppe* – Figurentheater und Geschlecht (04/2020)
Assoziationen: Performance Berlin Puppen-, Figuren- & Objekttheater Schaubude Berlin
Gender ist ein Prozess, ein soziales Konstrukt, eine Performance. Wie lässt sich Gender im Figurentheater spielen und leben? Wir sind das Figurentheaterkollektiv manufaktor und beschäftigen uns zunehmend mit queerfeministischen Themen. Drei von uns, Frieder, Gilda und Mathias, haben sich im Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS Ernst Busch kennengelernt. Yasmine hat eher eine postmigrantische und autodidaktische Theater-Erfahrung.
Am Puppenspiel interessiert uns die Freiheit der Formen: Alles kann zur Figur werden – es sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, Objekte zu „subjektivieren“. Wir haben alle schon die Erfahrung mit dem Vorwurf gemacht, auf der Bühne nicht „weiblich“ oder „männlich“ genug zu performen. Aber was heißt das? Wer beurteilt das, warum? Das Figurentheater bietet uns eine Form, um den Körper neu zu denken: nicht auf die eigene Biologie reduziert zu sein, sondern sich mit vielen Körpern auszudrücken. Doch sind die Figuren im klassischen Puppenspiel meist sehr grob gezeichnet, z. B. bei einer weiblichen Puppenfigur durch eine höhere Stimmlage, eine dümmliche oder naive Charakterisierung, tänzerische Bewegungen. Natürlich liegt dies oft auch an den Vorlagen, in denen es kaum starke weibliche, geschweige denn queere Rollen gibt. Ecken und Kanten werden im Figurentheater besonders häufig durch klischeehaftes Chargieren glatt geschliffen oder bis ins Lächerliche übertrieben. Warum geht es immer wieder um eindeutige Lesbarkeit? Führt das nicht eher zu einer Objektifizierung von Subjekten? Wie lässt sich das Figurentheater als Möglichkeitsraum des Uneindeutigen denken? Im Studium wie auch in der Praxis sollte die Chance ergriffen werden, Gender als Prozess und nicht als Ergebnis zu zeigen, da die Gemachtheit von Bedeutungen und Objekten sich im Spiel offenlegen lässt.
Natürlich reicht es nicht, die Repräsentation von Gender allein auf der Bühne zu hinterfragen. Die Strukturen müssen sich ändern und die Räume sich für vielfältigere Erfahrungen und Körper öffnen, die nicht den herrschenden patriarchalen, weißen, kapitalistischen und ableistischen Normen entsprechen. Damit geht auch einher, dass überkommene Arbeitsweisen neu gedacht werden, in denen es oft darum geht, wer am ehesten ernst genommen wird, sich am besten durchsetzt, am wenigsten Unsicherheit zeigt, am besten vernetzt ist, die dominanten Sprachen und Codes der Theaterszene beherrscht.
Daher versuchen wir in unserem neuen Projekt unsere Arbeitsweisen zu hinterfragen und Modelle für eine kollektive Stückentwicklung zu viert als Teil eines größeren Teams mit multiperspektivischem Bezug zu unserem Thema anzuwenden. In „1/0/1 robots – hacking the binary code“ begeben wir uns auf die Suche nach einer queerfeministischen Utopie, in der Menschen, Roboter und Technik emanzipatorische Imaginationen hervorbringen. In unserem Stück sind die Roboter nicht humanoid, sondern eröffnen einen Möglichkeitsraum, der den binären und dominanzbasierten Kategorisierungen des Menschseins entgegengesetzt wird. Wir möchten das Potenzial eines kritischen Puppenspiels testen, das die Vielfalt und Wandelbarkeit der Formen, die Transparenz von Bedeutungen und letztlich die Befreiung von der binären Objektifizierung zum Ziel hat.
„1/0/1 robots – hacking the binary code“ – Premiere am 4. September 2020, Schaubude Berlin – www.manufaktor.eu