Seit einem Jahr sieht man die alten und jüngeren Klassiker anders, zumal dann, wenn sie sich mit historischen Kriegsstoffen befassen. Plötzlich klingt dann auch Heiner Müllers 1985 begonnenes fünfteiliges Poem drängend neu und zugleich ursprünglicher. Bezieht es doch seinen Ausgangsstoff aus dem Großen Vaterländischen Krieg, wie in Russland der Krieg eben jenes Sowjetrusslands gegen Hitlerdeutschland bezeichnet wird, das nun einen Weltkrieg, einen Krieg gegen die westlicheWelt begonnen hat. Allein schon die wiederkehrenden Panzermotive in den Videos der Inszenierung des Dresdner Staatsschauspiels assoziieren nicht nur die symbolisch aufgeladene aktuelle Diskussion um Panzerlieferungen an die Ukraine. Sie fügen Müllers Ausgangsmotiv einen Epilog hinzu, ein Kapitel alarmierender Ambiguität. Der russische Krieg verhinderte auch die geplante zweisprachige Inszenierung in Kooperation mit dem Moskauer Wachtangow-Theater und dem dortigen Goethe-Institut.
Sowjetische Panzer, die 1941/42 auf der titelgebenden Wolokolamsker Chaussee spät den unaufhaltsam scheinenden deutschen Vormarsch auf das nur 120 Kilometer entfernte Moskau stoppen konnten, retteten 1953 in der DDR und 1968 in Prag sowjetischen Vasallenregimen die Herrschaft. Drei Jahre vor deren Ende schrieb Müller erklärtermaßen dann schon sein „Requiem auf den sozialistischen Block“. Heute schießen im Donbass T-72-Panzer auf T-72-Panzer. Stringent führt auch die Dresdner Inszenierung von Josua Rösing den Weg von der Verteidigung zur Pervertierung...