Auftritt
Serie: Blickwechsel #03
Lars Ey-Digga?
Ein Schauspieler – zwei Blicke: In der Serie „Blickwechsel“ schreiben zwei Kritiker:innen über einen Kinofilm.
von Thomas Irmer und Cecilia Hussinger
Assoziationen: Kritiken Akteure Dossier: Bühne & Film Reiner Holzemer Lars Eidinger Salzburger Festspiele

Dokumentarfilm: „Lars Eidinger. Sein oder nicht Sein“ – Regie, Kamera und Drehbuch Reiner Holzemer
Kurzkritik von Thomas Irmer:
Ist Lars Eidinger tatsächlich der egomane Super-Allesüberrumpler oder spielt er ihn immer nur? Auch so könnte man den zweiten Teil des Titels lesen.
Der Film von Reiner Holzemer basiert auf dem Privileg, den Schauspieler über längere Zeit bei der Arbeit begleitet zu haben. Konkret sind es die Proben zu „Jedermann“ letztes Jahr in Salzburg, den Eidinger erstmals spielt, in der Regie von Michael Sturminger, inmitten eines hochrangig besetzten Ensembles, mit Verena Altenberger, Angela Winkler und Edith Clever. Darin eingestreut sind Rückblenden in Filme (darunter Vadim Perelmans „Persischstunden“ mit Eidingers wahrscheinlich bislang bester Filmrolle) und natürlich seine großen Shakespeare-Auftritte in der Regie von Thomas Ostermeier.
Aber es geht noch weiter zurück, bis zum Studium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, wo ein Lehrer sich an seinen Abschluss-Monolog als Franz Moor erinnert, den Eidinger mit einer großen Schale Bonbons neben sich und daraus erstmal einen Bonbon lutschend gestaltet hat. Ein paar Jahre später (nicht im Film) fiel er mir das erste Mal in Roland Schimmelpfennigs „Push Up 1-3“ in einer seiner ersten Rollen an der Schaubühne auf, wo er als Frank einen Schokoriegel nach dem anderen futterte – was die Figur noch unsympathischer machte. Seither verfolge ich seine Sachen als Schauspieler. Und spätestens seit „Hamlet“ dazu auch, wie um die Person und damit um die Marke Eidinger gestritten wird.
„Es ist der Theater-Eidinger, dem ich hier näherkomme und über dessen Selbstverständnis ich hier einiges erfahre. Den Eidinger der kritischen Zuschreibungen kenne ich ja schon. “
Im Film betont Lars Eidinger, wie sehr er ein Gegenüber braucht. Das kann eine andere Figur in Gestalt einer Kollegin sein, aber vor allem wird es wohl das Publikum sein. Insofern bekennt Eidinger nicht allein das Gesehen-werden-wollen, sondern auch die Abhängigkeit von dieser Konstellation. Aber noch interessanter ist ein anderes Phänomen, das seit Diderot, also seit Jahrhunderten, als das Paradox des Schauspielers diskutiert wird. Eidinger treibt es auf die Spitze unserer Zeit, wenn er suggeriert, dass er nur in der Rolle anderer Lars Eidinger sein könne. Der Film, der verabredungsgemäß das Private konsequent auslässt, seziert das Eidinger- Paradox und verstärkt es dabei. Auf einer weiteren Ebene, mit einem Kommentar zum Film im Rahmen eines 3sat-Kulturzeit-Beitrags, bekräftigte Eidinger: „Ich werd‘ auf der Bühne ich selbst.“ Anders gesagt: Es gibt überhaupt nur einen künstlich erspielten Lars Eidinger, denn Bühne ist ja für ihn überall. Selbstverständlich auch, wenn er das in einem Kulturzeit-Beitrag als Kommentar zum Film über ihn selbst sagt.
Thomas Ostermeier meint: „Wenn ich ihn nur durch die Medien kennen würde, ginge es nicht.“ Also probt er mit weiteren (authentischeren?) Variationen von Eidingers Spiel und lässt ihm als Hamlet und Richard III. genug Spielraum für Selbst-Entwürfe. Die einen sehen Eidingers große Schauspielkunst als Ausdruck einer Gegenwart, in der Identitäten unfest und gleichzeitig marktgängig sein müssen. Die anderen wollen gerade das – aus den verschiedensten Gründen – nicht anerkennen. Es ist paradox. Aber gerade das macht diesen Film so sehenswert. Denn es ist der Theater-Eidinger, dem ich hier näherkomme und über dessen Selbstverständnis ich hier einiges erfahre. Den Eidinger der kritischen Zuschreibungen kenne ich ja schon.
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Kurzkritik von Cecilia Hussinger:
Mit 17 war ich selbst dem Lars Eidinger Hype verfallen: Auf der Schultoilette mitten im Unterricht fieberte ich darauf hin, endlich eine der direkt ausverkauften Karten für seinen berühmten Hamlet an der Schaubühne zu ergattern. Mit meinen Freund:innen war ich zum Tanz in den Mai bei der „Autistic Disco“, in der sich Lars mit zugestickerter Visage lässig als DJ Lars Prada Eidinger inszenierte. Mittlerweile ist diese Faszination in Wut umgeschwungen – die 93 Minuten mit Lars Eidinger haben mir erneut gezeigt, warum das so ist.
In einer Probe zu „Jedermann“ wird Regisseur Michael Sturminger von Lars minutenlang aufs Heftigste angebrüllt, weil er Lars eine Sekunde lang nicht seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Oder wie es Lars in einem ZDF-Interview formuliert: „er sich aus der Verbindung des Gegenübers gelöst hat“, die für ihn als Schauspieler so wichtig sei.
Die Kolleg:innen Edith Clever, Angela Winkler und Verena Altenberger müssen gleichzeitig beobachten, wie Lars wortlos, in seinem männlichen Ego gekränkt, die Probebühne verlässt. Lars müsse immer „Dreh und Angelpunkt“ sein, merkt seine Schauspielkollegin Verena Altenberger in einer Interviewszene an. Der Wechsel zwischen Interviewsequenzen, Begleitung der Proben, Alltagsszenen und Pressekonferenzen wird zur Struktur des Films.
Auf den Brettern der Welt zu Toben, zu Brüllen, Rotz und Wasser zu heulen, sich Würstchen in den Arsch zu stecken – eine Szene, die sich in diesem Film glücklicherweise nicht wiederholen musste – oder melancholisch zu monologisieren ist nichts Neues für Lars. Auf der Bühne immer wieder in einem Fatsuit zu stehen, leider auch nicht.
„Lars nimmt sich fortlaufend Raum – im Theater, im Film, in Talkshows – einen Raum der umgestaltet und von Menschen besetzt werden könnte, die viel zu oft ungesehen bleiben. Durch seine permanente Selbstinszenierung macht er diese Räume für betroffene Menschen unzugänglich. “
Seit Jahren kritisieren Aktivist:innen und Theaterschaffende, dass mehrgewichtige Körper kein Kostüm und auch kein stilistisches Mittel sind. Während diese für mehr Intersektionalität im Theater kämpfen, steht Lars nicht nur im Fatsuit im Rampenlicht der gefeierten Schaubühne, sondern porträtiert als nicht-behinderter Schauspieler humpelnd, in gebückter Haltung oder mit verrenkten Gliedmaßen, den saddistischen Richard III – ein prominentes Beispiel für Cripping up.1 Dabei eignet er sich als nicht-behinderter Mann die Deutungshoheit darüber an, wie Menschen mit Behinderungen porträtiert und rezipiert werden – nämlich als Projektionsfläche für ableistische Narrative. Und zieht daraus noch Profit für sich selbst: Nicht nur finanziell, sondern auch, weil diese Aneignung von Identitäten ihn vermeintlich zu einem guten Schauspieler macht. Lars nimmt sich fortlaufend Raum – im Theater, im Film, in Talkshows – einen Raum der umgestaltet und von Menschen besetzt werden könnte, die viel zu oft ungesehen bleiben. Durch seine permanente Selbstinszenierung macht er diese Räume für betroffene Menschen unzugänglich.
Das im Film wohl am meisten vorkommende Wort ist „missverstanden“. Mit seiner Designer Aldi-Bag für 550 Euro, deren Werbefotos er ungefragt vor wohnungslosen Menschen fotografierte, wollte er doch eigentlich nur „Liebe in die Welt tragen“. Stattdessen erntete er einen Shitstorm. Während dieses so gar nicht ergreifenden Monologs, den er mit weinerlicher Stimme bei der Pressekonferenz der Berlinale 2020 hielt, rollten ihm dann „dicke weiße Krokodilstränen“ (taz) die Wangen herunter. Dass ihm diese nicht alle abgekauft haben, zeigen Tweets wie „The White privileged Prada DJ“ oder „Da tut sich aber jemand selber Leid“, die in der nächsten Szene mit dramatischer Musik eingeblendet werden.
Das in Szene gesetzte In-Tränen-Ausbrechen zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film. Zwischendurch zeigen uns Intimität erzeugende Filmclips wie Lars’ Monologe mit reichlich viel künstlichen Pausen hält, in denen er versucht Mitgefühl zu erzeugen. Untermalt ist das Ganze von melancholischer Musik und atmosphärischem Licht. Die Kameraführung zwingt die Zuschauenden praktisch, Lars permanent hinterherzulaufen. Wie Isabelle Huppert in einer Interview-Sequenz formuliert: „You can’t take your eyes off him!“.
„Filmisch wird versucht, nicht nur Lars’ unterschiedliche Facetten als Schauspieler in Film Theater, als Designer und DJ zu porträtieren, sondern auch einen Blick hinter den sonst verschlossenen Backstage des Theaters zu ermöglichen. Wie es hinter den Bühnen der etablierten Staatstheater, die von patrirachalen Strukturen triefen – abseits von Lars – aussieht, thematisiert der Dokumentarfilm leider nicht. “
Dass sein Auftreten „white privileged cis-Verhalten in seiner Reinform“ sei, versteht Lars dann doch nicht so ganz und entgegnet: „Ja [lange künstliche Pause], ABER früher wolltet ihr ja noch, dass ich als Mann auch mal Gefühle zeige“. Dass Lars sich auch mal traut zu weinen, dekonstruiert aber werder seine toxische Männlichkeit, noch ist es Ersatz für das Anerkennen der eigenen Machtposition. Um diese zu verstehen muss Lars vielleicht noch mehr innere Monologe halten, in denen er Bonbons lutscht und damit ganz von alleine Chancen erhält, um seinen Narzissmus in Deutschland oder Österreich zu inszenieren. Filmisch wird versucht, nicht nur Lars’ unterschiedliche Facetten als Schauspieler in Film Theater, als Designer und DJ zu porträtieren, sondern auch einen Blick hinter den sonst verschlossenen Backstage des Theaters zu ermöglichen. Wie es hinter den Bühnen der etablierten Staatstheater, die von patrirachalen Strukturen triefen – abseits von Lars – aussieht, thematisiert der Dokumentarfilm leider nicht.
Ohne ein ihn ins Rampenlicht stellendes Publikum, oder ihm hinterherdackelnden Filmkameras, würde Lars Eidinger sicher nicht der gesamten deutschsprachigen Theaterlandschaft auf die Nerven gehen. Lars sagt selbst: „Wenn keiner zuschaut, weiß ich gar nicht, was ich tun soll“. Dass er mit seiner Omnipräsenz wiederum zu einem unausweichlichem Maßstab für Erfolg in der Theater-, Film- und Kulturbranche wird, kurbelt diesen Eidinger-Kult einfach nur weiter an. Junge Menschen, die ihren Platz im Theater suchen stehen vor der Wahl: Sich neue Strukturen aufzubauen oder sich die von Theatermackern reinzuziehn.
Alles was bleibt ist dann Lars Eidinger in Dauerschleife: LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARS LARSLARS LARS LARS LARS – Applaus Applaus …
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1 Mit „cripping up“ wird die Verkörperung eines behinderten Charakters durch einen nicht-behinderten Schauspieler bezeichnet.
Erschienen am 2.5.2023