Protagonisten
Traum und Kritik
Das Saarländische Staatstheater in Saarbrücken sucht unter dem neuen Intendanten Bodo Busse noch nach echten Akzenten
von Björn Hayer
Erschienen in: Theater der Zeit: Zur Sache, Schatz! – Über Lohnunterschiede und Lolita-Klischees (03/2018)
Assoziationen: Akteure Sprechtheater Saarland Theaterkritiken Saarländisches Staatstheater
Was kann das Theater am besten? Traumszenerien entwerfen und der Wirklichkeit ins Auge sehen. Auf der einen Seite zur Imagination und zum Entgleiten aus den Fängen des Alltags verführen, auf der anderen gesellschaftliche Verkrustungen aufsprengen. Das Miteinander beider Tendenzen scheint die Signatur der neuen Intendanz am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken zu sein. Der 48-jährige und in Stuttgart geborene Bodo Busse, der zuvor als kreativer Kopf dem Theater Coburg vorstand, übernahm mit Beginn dieser Spielzeit ein Haus, an dem bereits in den vergangenen Jahren konsequent an einem Miteinander der vier Sparten gearbeitet wurde. Die Messlatte liegt recht hoch. Denn die bisherige Generalintendantin, Dagmar Schlingmann, die ihrerseits nach vielen Jahren im Südwesten in dieser Spielzeit nach Braunschweig wechselte, hat mit ihrer ausgewogenen Mixtur aus Klassikern und fordernden Gegenwartsstücken respektive Uraufführungen dem Staatstheater zu hoher Anerkennung verholfen.
Auch Busse bleibt, was die Zusammenstellung des Repertoires anbetrifft, erst einmal in der Spur. Wie Schlingmann schafft auch er übergreifende Narrative, welche die Schauspiel-, Opernund Ballettpremieren in einen thematischen Rahmen einbetten. Gleichwohl setzt er nuanciert neue Akzente. Mit „Dornröschen“, einem Ballett von Stijn Celis zu Tschaikowskys Musik, Otfried Preußlers „Kleiner Hexe“ (Regie Jonas Knecht) oder auch der hinreißend inszenierten „My Fair Lady“ führt uns diese Intendanz in das Innerste unserer Vorstellungswelten, in das (mitunter auch dunkle) Reich der Märchen oder eben in das 19. Jahrhundert.
An vergangene Zeiten anzuknüpfen schließt im Programm Busses, der selbst der Musiktheatersparte entstammt, ebenso ein, durchaus auch selten gespielte Stücke auf die Bühne zu bringen, darunter etwa Gioachino Rossinis Oper „Guillaume Tell“ (Regie Roland Schwab) über den insbesondere durch Friedrich Schiller prominent gewordenen Schweizer Freiheitskämpfer. Und auch Klassiker wie Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ (Regie Maik Priebe) und Büchners „Dantons Tod“ (Regie Christoph Mehler) dürfen natürlich nicht fehlen.
Was die Zusammenstellung im Schauspiel anbetrifft, setzt der Intendant dezidiert auf politische Texte und Autoren. Mit Mark Ravenhills episodischen Szenen in „Wir sind die Guten (Shoot / Get Treasure / Repeat)“ hinterfragt Regisseurin und Schauspielchefin Bettina Bruinier den Alarmismus und die Sicherheitsideologie der westlichen Demokratien. Mit „Jenseits von Fukuyama“ aus der Feder des Klimatheater-Autors Thomas Köck entlarvt Thorsten Köhler die Hoffnungslosigkeit hinter der verzweifelten Glückssuche der spätmodernen Gesellschaft. Dass auch eine Variation von Lessings „Nathan der Weise“ (Regie Bettina Bruinier) in einer Epoche sich verstärkender kulturell-religiöser Konflikte in Saarbrücken zu sehen ist, vollendet das Porträt einer komplexen und schwierig zu fassenden Gegenwart.
Wer darf in einem solchen Ensemble keinesfalls fehlen? Natürlich die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, deren radikale Stücke am hiesigen Staatstheater inzwischen schon traditionellerweise auf dem Spielplan stehen. Doch nachdem bereits in der Vergangenheit die meisten Zugriffe auf Jelineks postdramatische Diskursgebilde missglückten, gelingt auch Matthias Rippert mit „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“ leider kein überwältigender Erfolg. Akteure mit eng anliegenden, hautfarbenen Faserstoffen erweisen sich in der Inszenierung als Verkörperungen von Konsum- und Kaufsucht. Um sich permanent zu erneuern und letztlich auch die innere Leere zu kaschieren, halten die berauschten Shopper die Augen insbesondere nach den neuesten Modetrends offen. Wenn das Marketing stimmt, lässt sich auch mal ein langer Bart als der letzte Schrei der Bikinisaison verkaufen. Immer wieder schlagen in den Reden der Figuren das eigene Unvermögen wie auch die globalen Folgen eines ungebändigten Raubtierkapitalismus durch, von dem der in hygienischem Weiß gehaltene, kubische Bühnenraum nichts erahnen lässt. Den Schmutz und das Leiden fernöstlicher Textilarbeiterinnen gibt es nur außerhalb. Stattdessen liefert die Kulisse den Laufsteg für Models, schöne Menschen und all jene, die sich dafür halten. In einer Welt, in der Gott abgedankt hat, kommt dabei das letzte Leuchten einzig noch aus dem Kamerakasten. Die Szenenwechsel werden daher stets von einem gewaltigen, das Publikum immer wieder erschreckenden Blitzlicht von der rechten Seite begleitet. Klagen kann man über diese Inszenierung nicht, allerdings mangelt es dem Regisseur sichtlich an genügend Einfällen, den wuchtigen Text adäquat zu bebildern. Damit Jelinek wirkt, muss man sie eben bilderreich, sicherlich auch ein wenig über die Stränge schlagend aufführen.
Fällt der Eindruck von dieser Realisierung immerhin noch medioker aus, muss man die Inszenierung von Dario Fos Komödie „Bezahlt wird nicht“ durch Johanna Wehner als ein Debakel auf ganzer Linie bezeichnen. Hauptsächlich ist die Malaise schon in dem stumpfsinnigen Text angelegt: Zwei Frauen aus der Unterschicht klauen Supermarktartikel, wobei eine von ihnen darum bemüht ist, die Tat vor ihrem Ehemann, einem echten Tugendwächter, geheim zu halten. Daher stopft sie die Warentüten ihrer Freundin unter die Kleider, die fortan die Schwangere geben muss. Es kommt zu verschiedenen Verwicklungen, es wird viel geredet und endloser Slapstick auf Schenkelklopferniveau geboten. Selten hat man ein derart schlechtes Stück gesehen. Einzig das Bühnenbild mag noch überzeugen: Veraltetes Mobiliar, ein Spielautomat und zusammengewürfeltes Allerlei vom Herd bis zur Schaufensterpuppe erzeugen eine skurril-anrüchige Atmosphäre, die sich in den wie Untote geschminkten Gesichtern widerspiegelt. Aber wenn weder die Dialoge noch das Handlungsgerüst oder die Figuren mitreißen, kann die Einrichtung auch nichts mehr retten.
Zumindest in Bezug auf diese Inszenierungen gibt es im Schauspiel also qualitativ noch Luft nach oben. Und da ja Busse nunmehr das Amt erst übernommen hat, wird sich erst in den kommenden Spielzeiten abzeichnen, welche inhaltlichen und ästhetischen Schwerpunkte er weiterhin setzen wird. Nicht ganz unwichtig dürfte zukünftig die Frage sein, wie er mit der besonderen Situation des Hauses umgehen wird. Schlingmann gelang es etwa, durch internationale Festivals dem Saarländischen Staatstheater zur Aufmerksamkeit zu verhelfen – trotz seiner geografisch bedingten Abgelegenheit! Vor allem die enge Verbindung zu Frankreich und Belgien trägt die Handschrift der ehemaligen Intendantin. Damit Busse dem Saarbrücker Kreativkraftwerk überregional weiterhin ein wenig Bedeutung verschaffen kann, bedarf es entweder herausragender Inszenierungen, kluger Gesamtprogramme oder weitreichender Kooperationen. Am ehesten verspricht allerdings die Kombination aller drei Faktoren Erfolg. Vernetzungsbereitschaft und kreativer Weitblick zählen daher zu jenen Eigenschaften, die man Bodo Busse für die kommenden Jahre zweifelsohne wünscht. //