Theater der Zeit

Auftritt

Bamberg: Ein Anti-Theatertext

ETA Hoffmann Theater: „Der endlos tippende Affe“ von Björn SC Deigner (UA). Regie Mirjam Loibl, Ausstatter Thilo Ullrich

von Michael Helbing

Erschienen in: Theater der Zeit: Henry Hübchen (02/2022)

Assoziationen: Theaterkritiken Sprechtheater Bayern E T A Hoffmann Theater

Ein recht werkgetreues Gedankenspiel: „Der endlos tippende Affe“ von Björn SC Deigner, in einer Inszenierung von Mirjam Loibl am ETA Hoffmann Theater in Bamberg. Foto Martin Kaufhold
Ein recht werkgetreues Gedankenspiel: „Der endlos tippende Affe“ von Björn SC Deigner, in einer Inszenierung von Mirjam Loibl am ETA Hoffmann Theater in Bamberg.Foto: Martin Kaufhold

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Drei Schauspieler hinter Glas: hineingestellt in die eingefrorene Szene einer historistischen „Hamlet“-Aufführung, ausgestellt wie im Museum. „O schmölze doch dies allzu feste Fleisch“, könnte jemand rufen; das führte zur schönen Bedeutungsverschiebung bei Shakespeare. Stattdessen meldet sich, mit Konsonantenschwäche, „tie teutsche Theatertirektion“ über die Sprechanlage; das ist auch lustig. Es werde, heißt es tief bedauernd, „keine Geschichte im klassisch-bür­gerlichen, bürgerlich-klassischen, bürgerlich-bürgerlichen oder klassisch-klassischen Sinne aufgeführt“.

Dafür geht es, fügen wir hinzu, recht werkgetreu zu. Anders als vor vier Jahren am Deutschen Theater Berlin: Dort provozierte Sebastian Hartmann einen Skandal, als er Björn SC Deigners Stück „In Stanniolpapier“ über Missbrauchs- und Gewalterfahrungen vergewaltigte, höchstens ein Fünftel des Textes überleben ließ und man ihm das Label Uraufführung entzog.

Seitdem besorgte Bambergs ETA Hoffmann Theater drei Deigner-Uraufführungen binnen zwei Jahren: Auf „Der Reichskanzler von Atlantis“ und „Die Polizey“ (nach Schiller) folgte nun „Der endlos tippende Affe“. Sie haben kaum was gestrichen und spielen beinahe vom Blatt; Mirjam Loibl inszeniert das gewissermaßen musikalisch, wie ein ­szenisches Konzert.

Der endlos tippende Affe ist ein Gedankenspiel. Er brächte demnach, drückte er bis in alle Ewigkeit sinnlos auf einer Schreibmaschine herum, irgendwann zum Beispiel sämtliche Shakespeare-Werke hervor. Ein Theorem der Wahrscheinlichkeit. „Der endlos tippende Affe“ von Deigner ist ein vergleichsweise unwahrscheinlicher Theatertext, ein Anti-Theatertext, kein Antitheater-Text, in dem, um daraus zu zitieren, „der Gegen­entwurf der Wahrheit letzter Schluss ist“.

Das führt uns komödiantisch und auch ein bisschen dadaistisch tief hinein ins Labyrinth des Denkens, wo alle Logik zur Verzweiflung treibt und hinter jeder Nonsens-Hecke ein Sinn ebenso lauert wie auf der Bananenschale, auf der einer ausrutscht. Bevor sie dorthin vorangehen, haben Antonia Bockelmann, Marie-Paulina Schendel und Anton Dreger bei vorbereitendem Stimmtraining ihre Shakespeare-Kleider mit bequemen Alltagsklamotten derart vertauscht, dass unklar bleibt, was hier Kostüm war oder ist. Kommen sie vom Auftritt, stehen sie kurz davor?

Sie sind drei Figuren im Erzähltheater über das Erzählen: Kurt Schwepper, Lina und der Roman; Letzteren lesen wir als Gattungsbegriff und Allegorie, hören ihn aber als Männernamen. In ihrem Nummernprogramm verhandeln sie das Verhältnis Mensch und Tier, die Zubereitung von Kartoffeln und die ­Arbeitswelt (Absicht menschlicher Arbeit: Feierabend) – sowie letztlich den Umstand, dass und wie wir uns zum Affen machen.

Thilo Ullrich hat dafür eine schöne Entsprechung gefunden: eine hohe Vitrine mit getöntem Glas, worin wir uns spiegeln. Drinnen: mehrere Kameras. Darüber: Monitore für drei Perspektiven. Und diesem kompakten munteren Abend ist es ständig um Perspektivwechsel zu tun: Wo ist die Bühne, wer spielt für wen, wer hat welche Erwartungs­haltung, …? Das Leben nicht im, sondern als Käfig. Ein jeder gefangen in sich selbst, doch Drinnen und Draußen sind verhandelbar.

Die Inszenierung begibt sich in diesen Käfig und wagt keine Ausbruchversuche. Man könnte mit dem Text mehr spielen – jenseits des Textes auch. Er böte Gelegenheiten, ihn zu zelebrieren und verschiedene Formen ­auszuprobieren. Hier folgt er einer strengen Choreografie ohne Tempolimit. Es gibt eine einzige beinahe klassische Szene im Stück: verteilte Rollen, konkrete Regieanweisungen, der Text besteht aus lauter S-Lauten. Daraus machen sie, warum auch immer, einen säuselnden und zischenden Song, nach Bonnie Tylers „Total Eclipse of the Heart“. An entscheidender Stelle verlassen sie die Theatererzählung.

Sie spielen dieses famose Stück Theater jedoch an entscheidender Stelle jener Sinnfrage einer Institution, die der Soziologe Hartmut Rosa zuletzt so in die (Pandemie)-Debatte warf: „Vielleicht ist der Nutzen der Kultur, dass sie gerade keinen Nutzen hat.“ //

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