Theater der Zeit

Dramatische Form und Revolution

in Georg Büchners DANTONSTOD und Heiner Müllers DERAUFTRAG

von Hans-Thies Lehmann

Erschienen in: Recherchen 12: Das Politische Schreiben – Essays zu Theatertexten (10/2012)

1. Der dramatische Blick

Um nach dem Verhältnis von Drama und Geschichte zu fragen, eignet sich die französische Revolution besonders, denn keiner wie ihr eignet unter den bürgerlichen Revolutionen Theatralik:

»Camille Desmoulins, Danton, Robespierre, St-Just, Napoleon, die Helden wie die Parteien und die Masse der alten französischen Revolution, vollbrachten in dem römischen Kostüme und mit römischen Phrasen die Aufgabe ihrer Zeit … Die Totenerweckungen in jenen Revolutionen dienten … dazu, … die gegebene Aufgabe in der Phantasie zu übertreiben … den Geist der Revolution wiederzufinden.«2

Nicht erst Marx, schon die Zeitgenossen glaubten, ein Drama in der Wirklichkeit mit anzusehen: vom Ballhaussaal über den 14. Juli und die Hinrichtung des Königs auf die Peripetie zu: den Konflikt Danton-Robespierre, Jakobinerherrschaft und Thermidor. Danach in absteigender Linie der Rückzug und zugleich die Konsolidierung, nachdem der bürgerlichen Gesellschaft der Weg gebahnt ist. Aus freilich anderem Blickwinkel sieht auch Adolphe Thiers am Vorgang das Erhabene, dessen Theorie das ausgehende 18. Jahrhundert vervollkommnet hatte:

»Man sieht wie in diesem großen und fürchterlichen Jahre [1793] Europa die Revolution mit aller Kraft bedrängte, wie es sie ihre ersten Siege von 92 büßen läßt, ihre Armeen zurückschlägt, alle Grenzen auf einmal überschreitet, und wie ein Theil von Frankreich...

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