Kommentar
Spielpläne im Virensturm
Flächendeckend sagen die Bühnen Vorstellungen und Premieren wegen der vielen Infektionen ab
von Stefan Keim
Erschienen in: Theater der Zeit: Was soll das Theater jetzt tun? – Eine Umfrage (05/2022)
Assoziationen: Debatte Dossier: Corona Schauspielhaus Bochum

Das Schauspielhaus Bochum hat im gesamten März kaum einmal im großen Haus gespielt. Ob Aufführungen an den deutschsprachigen Theatern stattfinden, ist zu einer Art Lotterie geworden. Nicht nur Schauspielhäuser, besonders Opernensembles und Ballettkompagnien sind betroffen. Je größer ein Ensemble ist, umso mehr wächst die Gefahr, dass sich Infektionen ausbreiten. Die Oper Bonn wollte schon vor Wochen Giacomo Meyerbeers völlig unbekanntes Singspiel „Ein Feldlager in Schlesien“ der Vergessenheit entreißen. Die ersten vier Premierenversuche mussten abgesagt werden.
„Das ist auf jeden Fall die chaotischste Phase dieser ganzen Pandemie“, sagt Bonns Generalintendant Bernhard Helmich, „und die, die für uns alle mit ganz großem Abstand am anstrengendsten ist.“ Die Geschäftsführerin des Deutschen Bühnenvereins Claudia Schmitz bestätigt: „Die Absage von Vorstellungen und das Verschieben von Premieren betrifft die Bühnen derzeit tatsächlich deutschlandweit. Für die Bühnen bedeutet das eine massive Beeinträchtigung ihrer Arbeit. Sie müssen nicht nur täglich, sondern zum Teil stündlich neu disponieren. Kann die Vorstellung heute stattfinden? Kann ich etwas anderes spielen? Muss ich die Vorstellung komplett absagen?“
In den Betriebsbüros glühen die Telefone, weil sie versuchen, für positiv getestete Sängerinnen und Sänger noch schnell Ersatz zu finden. In den Schauspielensembles ist Einspringen über Nacht fast schon zum Alltag geworden. Sollte man vielleicht dazu übergehen, für jede Vorstellung gleich ein Ersatzstück mitzuplanen, um das Publikum nicht wegschicken zu müssen? Bernhard Helmich verweist darauf, dass das Virus nicht nur Menschen erwischt, die auf der Bühne stehen: „Wenn alle Bühnenmeister positiv getestet sind, da können Sie, was den Spielplan betrifft, so flexibel sein wie Sie wollen, dann geht einfach nichts mehr.“
Natürlich trifft es auch kleine Bühnen und die Privattheater, die einen großen Teil ihres Etats an der Abendkasse einspielen. René Heinersdorff. Sprecher der Privattheater im Deutschen Bühnenverein, bringt es auf den Punkt: „Vor Corona sind Schauspieler todkrank auf die Bühne gegangen. Mit Corona bleiben sie kerngesund zu Hause.“
Tests gibt es in den Theatern vor jeder Vorstellung. Dann warten alle auf die Ergebnisse, die manchmal erst kurz vor der Vorstellung eintrudeln. Wenn überhaupt, es häufen sich Geschichten aus den Orchestern und Ensembles von Menschen, die während der laufenden Vorstellung auf ihre Ergebnisse warten und im Zweifelsfall nicht auftreten dürfen.
René Heinersdorff fordert: „Ganz klar, keine Testungen mehr, wenn keine Symptome da sind. Wenn Symptome da sind, testen und im positiven Fall es der Eigenverantwortung der Direktion und dem Ensemble überlassen, ob man trotzdem spielt.“ Mehr Eigenverantwortung im Umgang mit der Pandemie läge auf einer Linie mit dem neuen Infektionsschutzgesetz, das kaum noch Schutzmaßnahmen vorschreibt. Doch Claudia Schmitz vom Bühnenverein steht zu den Tests der Bühnenbeschäftigten: „Das hat damit zu tun“, sagt sie, „dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verpflichtet sind, ihre Beschäftigten zu schützen. Dazu dienen Testkonzepte, die für die Beschäftigten gelten, die bei ihrer Tätigkeit keine Abstände einhalten können und auch keine Maske tragen können.“
Die städtischen Bühnen und Landestheater scheinen die finanziellen Verluste im Moment wegstecken zu können. Allerdings erwarten sie in den nächsten Jahren harte Etatverhandlungen, wenn es keine Sonderhaushalte mehr gibt, um die Kosten von Krieg und Katastrophen aufzufangen. „Über den Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen“, erklärt Claudia Schmitz, „können Bühnen, Privattheater und geförderte Bühnen bei der Absage einer Vorstellung bis zu 90 Prozent der tatsächlich entstandenen, veranstaltungsbezogenen Kosten erstattet bekommen. Hier versuchen wir, uns als Bühnenverein einzubringen, um sicherzustellen, dass diese Gelder auch bei den Bühnen landen.“
Das gilt anscheinend nicht für die Tourneetheater, Joachim Landgraf, Geschäftsführer der 1945 gegründeten Konzertdirektion, schreibt in einer E-Mail: „Die derzeitigen Absagen treffen uns härter als die gesamten Absagen während des Lockdowns. Da wir diejenigen sind, die die Vorstellungen aus Krankheitsgründen der Schauspieler absagen müssen und somit keinen Ausgleich von den Kommunen, dem Bund oder dem Fonds Neustart Kultur erhalten.“
Bonns Intendant Bernhard Helmich klang bisher selten ratlos. In Anbetracht der Lage ist er es: „Alle unsere Überlegungen, was wir da tun können, um unser Publikum weniger zu enttäuschen als wir es im Moment leider tun müssen, schlagen derzeit fehl.“ Die Hoffnung liegt auf sinkenden Inzidenzen im Sommer und dass sich die Lage im Herbst trotz fehlender Impfflicht nicht wieder verschärft. Die meisten Expert:innen befürchten allerdings genau das. //