Landvermessung: der Norden
Welt am Draht
Am Oldenburgischen Staatstheater konzentriert sich „Dantons Tod“ auf die beklemmende Mechanik kalter Puppenexistenz
von Mirka Döring
Erschienen in: Theater der Zeit: Wölfin im Schafspelz – Die Schauspielerin Constanze Becker (05/2013)
Assoziationen: Niedersachsen Theaterkritiken Oldenburgisches Staatstheater
Danton, Ihre Stimme ist erschöpft, Sie sind zu heftig bewegt.“ Die Worte vom Präsidenten des Revolutionstribunals lassen sich als ein ironischer Metakommentar dazu verstehen, dass es Anna Steffens zur Oldenburger Premiere von Georg Büchners „Dantons Tod“ durch eine Stimmbandentzündung die Sprache verschlagen hat. Der Schauspielerin blieb nichts anderes übrig, als sich – als einer von drei Dantons – wacker durch die Vorstellung zu pantomimen. Dass der Regisseur K.D. Schmidt ihren Text aus dem Off einspricht, wirkt dabei aber interessanterweise nicht gänzlich unfreiwillig komisch – schließlich entrückt das Voice over die Gedankenwelt der Dantonin in ein inneres Exil gegen das physische Draußen. Das hätte zwar besser mit der Haltung des zuerst auftretenden Dantons (Hartmut Schories) korrespondiert, passt aber zur Grundanlage der Inszenierung insgesamt. Schories Danton nämlich, hineinmanövriert in ein trotziges Burn-out-Syndrom, zieht sich nicht etwa, wie es Büchner noch entwarf, in einen sinnenfrohen Lebensgenuss abseits politischer Aktivitäten zurück, sondern vergräbt sich in seinem seelischen Interieur. Über die Revolution hinaus alt geworden, werden ihm die äußeren Geschehnisse angesichts der eigenen Ziellosigkeit ein befremdlicher Automatismus; das mantraartig wiederholte „Sie werden’s nicht wagen“ hallt nur noch als billige Selbstberuhigung nach. Als wisse er längst, dass man ihn als Revolutionsreliquie in die Gosse werfen wird.
Dantons fatalistische Prägung findet ihr Bild in der Bühne: eine unmissverständliche „Welt am Draht“, in der die Mechanik der Bewegung die Figuren zu Marionetten verkommen lässt, die sich mit der an Seilzügen hängenden Plattform willkürlich mal in die eine, mal in die andere Richtung neigen. Die Zahlenfolgen, die zu Beginn auf dem eisernen Vorhang durch eine Matrix rattern, sind ein wenig subtiler Verweis auf den gleichnamigen Film: Die Endzeit ist vorprogrammiert. Wenn sich der Vorhang hebt, liegt die Revolution schon im Sterben. Robespierre wird Danton aufs Schafott bringen, die Diktatur wird der Revolution folgen, nichts wird diese Entwicklung aufhalten. Danton ist gepackt vom Ekel vor diesem unausweichlichen, tragischen Zwang des Menschen, Schmerz erleiden und zufügen zu müssen: „Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür.“
An diesem Punkt der Sprachlosigkeit tritt Anna Steffens als zweiter Danton für ihn ein. Sie braucht dazu nicht mehr zu tun, als sich in dessen rote Revoluzzerjacke zu werfen. Dieser lässig-jugendliche Danton – überheblich, stolz, unnahbar – kann dem Geschehen wieder mit Ironie begegnen. Der Anklang weiblicher Erotik, die er im Zusammentreffen mit dem von Bernhard Hackmann wunderbar als zwanghaft-verklemmt gezeichneten Robespierre ausspielt, prallt am Jakobiner natürlich ab. Die schwitzigen Hände des näselnden Tugendhaften verknoten sich nervös ineinander, bis der bemüht Kontrollierte schließlich ob der eigenen inneren Zerrissenheit Trost und Zuspruch in den Armen von St. Just sucht. Henner Momman rettet dann zumindest die aufgeladene Aggression seines schnöselhaften St. Justs mit in den dritten Danton hinüber, was kurzzeitig dessen Kampfgeist erweckt: „Wir müssen schreien; sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.“ – Was auch bald darauf geschieht.
Dass sich die Hauptfigur auf mehrere Schauspieler aufspaltet, ist eine naheliegende Lösung, um den verschiedenen Haltungen Dantons folgen zu können, denn das allzu äußerliche Wechselspiel repräsentiert schließlich das, was eigentlich im Inneren der Figur vor sich geht. Weil dieses in Schmidts Inszenierung aber von vornherein durch den überdeutlichen Defätismus des weltmüden ersten Dantons geprägt ist, sind die Handlungsspielräume der beiden anderen stark beschnitten – sie bleiben vage Alternativen, bloße Überlegungen zu einem Was-wäre-wenn. Der Oldenburger „Danton“, so scheint es, konzentriert sich in der Interpretation zu sehr auf die Darstellung der kalten Mechanik der Puppenexistenz. – Blutigste Paradoxie und Logik, Relativität der Zeit, Langeweile und Überdruss, Lebenshunger, wollüstige Sexualität, fruchtige Erotik und reinste Liebe – für all das Widersprüchliche, das in Büchners Text unmittelbar mitschwingt, hätte es wohl noch ein paar Dantons mehr gebraucht. //