Diskurs
Schwarzes Gesicht auf schwarzem Grund
Fragen und Gegenfragen zu Stefanie Oberhoffs „Die Gräfin“
Das schwarz geschminkte Gesicht von Stefanie Oberhoff in „Die Gräfin“ während der Aufführung des Festivals „Theater der Dinge 2017“ der Berliner Schaubude wird zum Ausgangspunkt für eine Befragung der Farbe Schwarz aus einer produktionsästhetischen und postkolonialen Perspektive. Wie wird mit der Sichtbarkeit im Figurenspiel – vor allem mit der von sonst nackten Gesichtern umgegangen? Können (post)koloniale Machtdynamiken durch ein schwarz angemaltes Gesicht selbst mitthematisiert werden?
von René Reith
Erschienen in: double 38: Face-Off – Politiken von Gesicht und Maske (11/2018)
Assoziationen: Praxiswissen Berlin Puppen-, Figuren- & Objekttheater Schaubude Berlin
Eine weiße1 Puppe betritt die schwarze Bühnenfläche. Es ist „Die Gräfin“ in dem gleichnamigen Late-Night-Programm, animiert von der Figurenspielerin Stefanie Oberhoff. Diese steht im schwarzen, langen Kleid, mit schwarzen Handschuhen und schwarzer Perücke bekleidet hinter ihrer Figur. Schwarze, matte Schminke bedeckt ihr Gesicht gleichmäßig und lässt kaum Glanzpunkte zu. Die Schminke umrandet Lippen und Augen genau, sodass zwischen dem tiefen Schwarz die weißen Augäpfel und die roten Lippen der Spielerin hervortreten. Auf dem Festival „Theater der Dinge 2017“ der Berliner Schaubude, durchgeführt unter der Überschrift „Rebell Boy“, scheint sich in dieser Aufführung das schwarze Kostüm- und Maskenbild in eine Folge von gewohnten szenischen Mitteln einzureihen — wie etwa der schwarze Tanzboden, der schwarze Molton, das schwarze Scheinwerfergehäuse und die schwarzen Kabel.
Die Gräfin hingegen ist eine weiße, hagere Figur mit Lockenpracht, grellem Make-up auf den Lippen und ungleichmäßig gezogenem Kajal. Sie bestreitet den Abend mit Anekdoten und Kommentaren zu Politik, Wirtschaft, Sex und Tod, vorgebracht in provokantem Plauderton. Stefanie Oberhoff ist dabei die Dramaturgin der Situationen, die durch die Gräfin mit der Reaktion des Publikums, der von Johannes Werner live gespielten Musik, den Requisiten und dem eigenen Text unterhaltsam spielt.
In einer Szene dreht sich die alte, stolze Gräfin salopp um und wirft einen Blick auf die unbeleuchtete Spielerin hinter dem Tisch, der als Bühne für die Gräfin dient. Sich von der Spielerin wieder in den Zuschauer*innenraum wendend, fragt sie vorwurfsvoll, ob das denn heute überhaupt noch gehen würde, dass sich eine Figurenspielerin das Gesicht schwarz schminkt. Die Antwort bleibt aus.
Anders als im Rollentheater auf den Bühnen der Stadt- und Staatstheater, verkörpert Stefanie Oberhoff mit ihrem bemalten Gesicht keine dramatische Rolle, sondern thematisiert sich auf der Bühne, um mit dem Theaterwissenschaftler Henri Schoenmakers zu sprechen, „selbst in den sozialen Rollen“, in diesem Fall unter anderem in der Rolle der Figurenspielerin. Es wird hier also nicht versucht eine in einem Textbuch vorgeschriebene Schwarze Person naiv darzustellen, sondern es handelt sich um einen Entwurf einer Figurenspielerin als Figurenspielerin. Warum sollte im Rahmen dieses Entwurfes eine weiße Figurenspielerin jedoch mit einem schwarz angemalten Gesicht auf der Bühne agieren?
Seitdem Figurenspieler*innen selbst hinter der Spielleiste auftauchen, stehen sie vor der Herausforderung, wie sie mit ihrer eigenen Sichtbarkeit umgehen – vor allem mit der ihres sonst nackten Gesichts. Eine von mehreren Strategien ist es, sich mit Hilfe von schwarzen Netzen oder Stoffen das Gesicht zu verhüllen. Die schwarz maskierten Spieler*innen treten so hinter den angeleuchteten Figuren in den Hintergrund und fügen sich farblich in den in Europa konventionalisierten schwarzen Bühnenraum ein.
Das „Nicht-Sichtbare“ des Theaters wird in Form der schwarzen Masken vor bzw. auf das Gesicht gebracht und behauptet in vielen Fällen, dass der menschliche Körper im Bedeutungsraum der Bühne nicht auftaucht oder man das Bühnen-Off gewissermaßen „mitten im Gesicht“ trägt. Diese Behauptung von Abwesenheit bringt ein besonderes Oszillieren zwischen Repräsentation und Performativität hervor. Die Farbe Schwarz repräsentiert zum einen den Hintergrund, vor dem „nur“ etwas Nicht-Schwarzes gezeigt werden kann, und wird zum anderen im körperlichen Umgang mit Kostüm und Maske für den performativen Spielvorgang genutzt, um eine Behauptung des „nicht da seins“ herzustellen. Die Behauptung von Abwesenheit trotz Anwesenheit ist nicht unbedeutsam, auch wenn uns schwarze Böden und Hintergründe zu suggerieren scheinen, dass der Bühnenraum auf den ersten vermeintlich bedeutsamen Auftritt warten würde, so wie eine weiße Leinwand auf den ersten bedeutsamen Pinselstrich wartet.
Der Selbstentwurf von Stefanie Oberhoff als Figurenspielerin kann als Anspielung auf diese wechselwirkenden Verhältnisse verstanden werden. Nicht zuletzt aus dem Potpourri der tagespolitischen Themen, die im schnellen Wechsel den Abend gestalten, lässt sich das schwarze Gesicht nicht als Position zu der in den letzten Jahren ausgiebig geführten Theaterdebatte zum Thema „Blackfacing“ betrachten. Aufgekommen ist diese Praxis im 18. und 19. Jahrhundert in der US-amerikanischen Minstrelsy. Weiße Darsteller*innen traten mit schwarz bemalten Gesichtern auf, um Schwarze Menschen diskriminierend darzustellen. Der in den letzten Jahren hauptsächlich auf das Rollentheater übertragene Diskurs des Blackfacings führt ethische, politische, biologistische und ästhetische Fragen zusammen, die weiße und westliche Perspektiven auf den Prüfstand stellen und eine überfällige Kritik üben.2
Um zumindest einen Punkt der Machtverhältnisse in dieser Diskussion deutlich zu machen: Wenn eine weiße Person ihr Gesicht für einen Auftritt schwarz bemalt, kann sie es abwaschen, bevor sie nach der Aufführung auf die Straße tritt. Eine Schwarze Person würde Gefahr laufen, für ihre Hautfarbe nach dem Auftritt und nach dem Abwaschen der Farbe auf der gleichen Straße diskriminiert zu werden. Aber kann das weiße Privileg dieser szenischen Praxis auch durch das schwarz angemalte Gesicht selbst mit thematisiert werden?
Ein Mittel der reflexiven Inszenierung zeigt uns Oberhoff mit ihrer Gräfin. Sowohl das mit greller Schminke bepinselte als auch das schwarz geschminkte Gesicht drehen sich zueinander um. Der Blick zwischen Figur und Spielerin thematisiert die behauptete Abwesenheit, während sie im gleichen Zug aufgelöst wird. Die rhetorische Frage ans Publikum spielt auf die aktuellen Diskussionen und Inszenierungen von jenen Theatern an, die versuchen auszuhandeln, was Macht in der Herstellung von Repräsentationen im Kontext der kolonialen und rassistischen Geschichtsschreibung bedeutet und inwiefern das zeitgenössische Theater diese Macht neu verhandeln kann. Jedoch fehlt nicht nur eine Antwort auf diese Frage. Die Komplexität des Themas erfordert mehr als ein Ja oder ein Nein, sondern ein sukzessives Befragen der eigenen Wahrnehmung hinsichtlich der Machtstrukturen, die uns in einer Aufführungssituation begegnen. Das hier verhandelte Thema darf eben nicht im Hintergrund stehen. – www.die-graefin.info
1 Schwarz und weiß werden in diesem Artikel nicht als Hautfarben, sondern als Positionierungen in einem relationalem Gefüge einer rassistisch strukturierten Gesellschaftsordnung mit Groß und kursiv markierter Kleinschreibung geschrieben. Wird Schwarz und Weiß als Farbe eines Materials beschrieben, so werden die Regeln der neuen, deutschen Rechtschreibung verwendet. Ich orientiere mich an Tania Meyers „Anmerkung zu Schreibweisen“ in der Publikation „Gegenstimmbildung. Strategien rassismuskritischer Theaterarbeit“.
2 Auch mein Schreiben dieses Artikels mit einem Anspruch auf eine postkoloniale Betrachtung ist durch eine weiße und westliche Perspektive geprägt.