Gespräch
Wie stellt man Brecht dar?
von Burghart Klaußner und Thomas Irmer
Erschienen in: backstage: KLAUSSNER (09/2019)
Assoziationen: Theatergeschichte Schauspiel
Sie sagen, Stephen Parker war die wichtigste Quelle, um ein anderes Brechtbild zu erarbeiten?
Ganz und gar nicht, der Witz ist, dass diese Biografie auf Deutsch erst erschienen ist, als der Film schon abgedreht war, aber es waren natürlich Informationen über den Inhalt dieses Buches durchgedrungen. Wie stellt man Brecht dar? Wir haben uns viel mit dem Werk beschäftigt, zu Recht natürlich, denn das Werk ist unvergänglich, der Körper ist vergänglich. Der Körper schafft aber das Werk, diese Dialektik muss eine Rolle spielen, sonst ist das blutleer und uninteressant und auch unwahr. Für seine Darstellung muss man Anhaltspunkte haben und dafür gab es nur wenig Material im Brechtarchiv, wie man weiß, eher Tonmaterial. Wie diese Tonmitschnitte von Proben, zum Beispiel Brecht probt das Leben des Galilei und wird mit Ernst Busch nicht fertig. Und es gibt natürlich die Syberberg-Filme, die sind stumm. Da siehst du einiges, aber nicht genug. Jedenfalls sind diese Tondokumente aufschlussreich, weil man da Einiges erfährt über seinen psychischen Haushalt und den, wie er sich selbst nennt, „Melancholeriker“. Die Verbindung von Melancholie und Cholerik, das hört man aus dieser merkwürdigen Stimme, die überhaupt keine Anbindung an die hiesige Landschaft hat. Wie muss der den Berlinern hier vorgekommen sein? Ein Fremdkörper, gleichzeitig auch noch aus dem Mund riechend wie ein Teufel, wie die Frauen berichten. Regine Lutz sagt, „Ich konnte das nicht … dafür roch er mir zu stark“, was wiederum damit zu tun hatte, dass Leute, die Probleme mit den inneren Organen haben, starken Mundgeruch haben. Kurz und gut, es waren vor allem aus dem Brechtarchiv die Tondokumente, die mich wesentlich inspirieren konnten.
Ich finde dieses Verhör legendär, vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe, weil da Brecht als Schauspieler zu vernehmen ist. Er spricht mit Absicht schlechtes Englisch und gibt in diesem schlechten Englisch – das durch seinen Dialekt hörbar geprägt ist – listige Antworten. Erführt sie an der Nase rum.
Er hatte sich vorbereitet mit einem Anwalt. Es ist allerdings ein Teil der Brecht-Legende, dass er sich in diesem Verhör besonders listig verhalten habe. Er hat ein paar Antworten gegeben, die er gar nicht anders geben konnte. „Are you now or have you ever been a member of the Communist party of any country?“ – „I was not a member, or am not a member, of any Communist party.“ Was so stimmte, er war es nicht.
Die Proben Brechts als Schlüssel zur Figur
Wenn sogar Regine Lutz sagt, man weiß alles über Brecht, nur nicht, wer er ist, er sich also in letzter Instanz entzieht, was war das für eine schauspielerische Aufgabe?
Den Einstieg in die Figur ermöglichte mir besonders die Arbeit an den im Film gezeigten Proben. Zu zeigen, wie probt ein Regisseur. Denn diese Art von Leidenschaftlichkeit ist unverändert, die gibt es bei Brecht wie bei allen Theaterleuten. Darüber kann man gut erzählen, warum es überhaupt Theater gibt, warum das so wichtig ist, warum das in Deutschland noch so hoch subventioniert wird. Haben wir nicht diese Lebensfreude, haben wir nicht diese Streitkultur – haben wir das alles nicht, und brauchen wir deshalb das Theater mehr als andere Länder? Das ist eine interessante Fragestellung, die sich da anknüpft.
Man sieht es nicht unbedingt im Film, aber man weiß von den entsetzlichen Verhältnissen ab 1949. In der DDR herrscht Mangelwirtschaft, herrscht Ruinenwirtschaft, Wohnungsnot, politische Unterdrückung, aber im Theater blüht alles auf. Regine Lutz kommt nach Berlin, fährt vom Bahnhof Zoo zur Friedrichstraße, sieht nur Trümmer und sagt: „Das konnte mir vollkommen egal sein, wenn ich nur zu dem Theater kommen konnte.“ Das ist eine unglaublich schöne, wunderbare Beobachtung, die ja bis heute gilt, dass das Theater eine Zuflucht ist …
Das Theater hatte auch die Funktion einer Ersatzöffentlichkeit, wenn Konflikte nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Auch deshalb konnte es so aufblühen. Hat Brecht das alles vorausgesehen?
Ich glaube nicht, dass das für ihn im Zusammenhang mit einer entstehenden DDR zu sehen ist. Warum macht man Theater? Weil man Konflikte im überschaubaren Rahmen halten kann, weil alles im buchstäblichen Sinne „eingerahmt“ werden kann. Für die DDR und wie sie sich dann später entwickelte war es bestimmt auch interessant, Konflikte austragen zu können, doch die wahren politischen Konflikte konnte man natürlich nicht verhandeln auf der Bühne, siehe Heiner Müllers Umsiedlerin, aber man konnte auf diese Weise überhaupt Konflikte verhandeln. Das war ja auch ne tolle Möglichkeit zu sagen: „Hier gibt es nen Konflikt, der hat mit unserer politischen Wirklichkeit zu tun, und das können wir behandeln, wir können unsere Leidenschaften ausleben und Assoziationen erzeugen.“ Ich glaube, das spielt auch in der späteren DDR eine große Rolle und für Brecht war natürlich zum Schluss der Galilei ganz entscheidend; Ernst Busch hatte da eine andere Auffassung. Man sagt ja, Brecht sei über diesen Konflikt mit Busch krank geworden.
Von Brecht zu Galilei
Es gab wohl ein ziemliches Zerwürfnis mit Busch, die Proben wurden abgebrochen.
Ja, die Proben wurden irgendwann abgebrochen und es gibt diese Tondokumente … unvergesslich, Brecht aus dem Zuschauerraum: „Busch Busch Busch“, weil er einfach nicht zuhört. Und was für mich eine sensationelle Entdeckung ist – Wolf Biermann war unmittelbar nach dem Tod von Brecht von der Weigel als Assistent engagiert worden und hat die Abendregie vom Galilei gemacht. Er hat jeden Abend, nach jeder Vorstellung seitenlange Berichte geschrieben, weil er beweisen wollte, wie toll er selbst mit diesen Aufzeichnungen dasteht. Und da ich demnächst selbst den Galilei spielen werde, hoffe ich, von Biermanns Beobachtungen profitieren zu können.
Könnte man sagen, dass das für Sie die schönste Zusammenführung von Film und Theater war, diesen Brecht zu spielen?
Durchaus. Theaterfilme sind rar. Einen anderen Theaterfilm dieser Art habe ich nicht gemacht, insofern war das eine herrliche Erfahrung. Ich glaube, das sieht ein Blinder mit dem Krückstock, mit welcher Lust wir das da machen und mit welcher Lust überhaupt das damals stattgefunden haben muss.
Ist Film mehr Erfüllung als Bühne?
Nein. Im Film lässt es sich vielleicht präziser arbeiten. Auf der Bühne müssen sehr viele Dinge zum richtigen Zeitpunkt zusammenkommen, die man nicht immer steuern kann. Mit welcher Grundhaltung gehe ich abends in die Vorstellung, wie bereitet man sich auf den Abend vor, was ist wichtig, um vollkommen entspannt zu sein auf einer Bühne. Wir erinnern uns, dass in früherer Zeit Schauspieler fast immer betrunken waren, auch beim Spielen. Weil sie glaubten, Angst und Spannung damit abbauen zu können. Das ging bis zu einem gewissen Grad, aber es führte auch zu Verwahrlosung, das muss man klar benennen. Denn eines ist richtig – Method Acting hin oder her – nur die vollkommene Entspannung, soweit sie überhaupt möglich ist, gebiert die Kreativität. Das ist ja klar.
Haben Sie auch Sachen abgelehnt, die Ihnen angeboten wurden?
Unendlich viele, unendlich viele. Wahrscheinlich sogar zu viele, aber ich habe immer dann abgelehnt, wenn ich das Gefühl hatte, das reicht mir nicht. Da habe ich mir über die lange Zeit meine eigenen Maßstäbe gebildet und mir damit weiß Gott nicht nur Freunde gemacht.