Theater der Zeit

Magazin

Anfangszeiten der Inklusion

Das autobiografische Buch der RambaZamba-Gründerin Gisela Höhne

von Christine Boyde

Assoziationen: Berlin Buchrezensionen Gisela Höhne RambaZamba Theater

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Gisela Höhne hat das erste inklusive Theater RambaZamba und die Kunstwerkstatt SONNENUHR e. V. (Vereinsgründung gemeinsam mit Klaus Erforth) im Berliner Osten begründet. In Asien werden die Kinder mit Trisomie 21 „Sonnenkinder“ genannt. Die Autorin legt ein außergewöhnliches Buch ihrer Lebensgeschichte mit ihren zwei Söhnen Moritz und Jacob vor – einem Leben zwischen Abgründen und Lichtblicken. Sie schreibt beeindruckend authentisch, einfühlsam und aufrichtig. Das erste Kapitel, der 1. Akt: die „Geburt des Prinzen; ein Hexenkind“, beschreibt die Geburt des Sohnes Moritz (ein gemeinsames Kind mit Regisseur Klaus Erforth) im Jahr 1976 als einen alles verändernden Schicksalsschlag. Es ist ein Kind mit dem sogenannten Down-Syndrom. Gisela Höhne muss ihren Beruf als Schauspielerin aufgeben, studiert Theaterwissenschaft, wird Regisseurin und Theaterleiterin. „Prinz Weichherz“ heißt 1991 ihre erste Inszenierung. Moritz lehrt sie ein anderes ­Sehen, fordert Geduld ein und viel, viel Zeit. Gisela Höhne nimmt die Lesenden mit auf ihre Entdeckungsreise, schult den anderen Blick, der die Perspektive ändert. „Die Mühen der Ebenen“ beim Aufbau des Vereins und des Theaters werden eindrücklich beschrieben. Alles war Neuland und nur möglich in der Zeit des Umbruchs 1989/90. In einer Zeit „des nicht mehr und noch nicht“. Das Buch ist ein wichtiger Baustein der Erinnerungskultur. Und zugleich beschreibt es ganz persönlich die Emanzipation der Frau Gisela Höhne. Gut, dass sie den Mut, die Kraft und die Ausdauer dazu hatte. Es ist eine sehr persönliche Bereicherung von Lebens- und Theatergeschichte. Der Untertitel „Theater und Leben zwischen Tiefen und Höhen“ ist sehr treffend. Die Widmung auch in Dankbarkeit und Demut geschrieben. „Ich widme dieses Buch den Schauspielern des Theaters RambaZamba, meinen beiden Söhnen, die mich auf so unterschiedliche Weise lebendig halten …“ Auf diese Weise erfahren wir, was sie alle und das Theater geprägt hat. Dieses erzählende Theaterbuch ist nicht in Kapitel geteilt, es ist zu Recht in Akte und Zwischenspiele gegliedert. Sehr präzise schildert Gisela Höhne die Entwicklung des Theaters, die Inszenierungsarbeit, die Arbeit mit den Schauspieler:innen und die Widerstände. Ihre Leistung auf diesem Spezialgebiet des Theaters ist nicht hoch genug zu schätzen. Das Besondere dieser Erfahrungen wird geprägt durch die Macher:innen, durch ihre Sicht auf die Dinge des Lebens, die sich fokussiert auf das Wesentliche. Es bedarf Geduld, einen anderen Umgang mit Zeit, Empathie und Verständnis. Die Arbeit mit Menschen mit einer anderen geistigen Orientierung oder einer körperlichen Beeinträchtigung ist eine Schule fürs Leben: Jeder Mensch ist es wert, dass ein Buch über ihn geschrieben oder ein Film über ihn gedreht wird und jeder Mensch verdient Achtung und Anerkennung. Im Sinne von Beuys ist auch jeder Mensch ein Künstler.

Im Theater RambaZamba und in der Kunstwerkstatt SONNENUHR erlebt das Publikum außergewöhnliche Momente, die berühren, ohne anzurühren, eine ungewöhnliche Sinnlichkeit, einen direkten Dialog und eine Entschleunigung. Es ist eine Gabe, so ein Theater zu machen, und eine außergewöhnliche Leistung. Es ist harte Arbeit mit einem großen Gewinn. Dieses Buch macht Mut, wieder Visionen zu entwickeln, Hoffnung zu schöpfen; die Zeit nach der Sonne zu richten und das „Unperfekte“ zu lieben, das Leben zu lieben. Dieses Buch ist auch theatergeschichtlich in Deutschland ziemlich einmalig, beschreibt es doch die Ent­stehung und Entwicklung, den Erfolg und das Sein des inklusiven Theaters RambaZamba als geglückten Modellversuch.

Gisela Höhne: Dann mit RambaZamba.
Theater und Leben zwischen Tiefen und Höhen
(mit Fotos von Sibylle Bergman), Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024, 352 S., € 24 (Hier bestellen)

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