Theater der Zeit

Auftritt

Deutsches Theater Berlin: Zu eng geführt

„Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ nach dem gleichnamigen Roman von David Grossman in einer Bearbeitung von Armin Petras – Regie Armin Petras, Bühne Petra Schickart, Kostüme Annette Riedel, Musik Micha Kaplan, Video Rebecca Riedel

von Thomas Irmer

Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Armin Petras Deutsches Theater (Berlin)

Anja Schneider, Max Simonischek und Julischka Eichel in „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ in der Regie von Armin Petras. Foto Arno Declair
Anja Schneider, Max Simonischek und Julischka Eichel in „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ in der Regie von Armin PetrasFoto: Arno Declair

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Zu Beginn ist es fast dunkel und Kamerabilder mit der Optik eines Nachtsichtgeräts huschen über den Gazevorhang vor der Bühne. Offenbar befinden sich Personen im Inneren eines Krankenhauses unter Verdunkelung. Man begreift, es geht um die ausweglose Situation zurückgelassener Patienten, aber als Etablierung einer großen Erzählung ist das, wie sich zumindest für den ersten Teil des Abends herausstellen wird, kaum greifbar. Eben nur Atmosphäre, dunkel, unheimlich, unklar.

David Grossmans Roman erzählt anhand der Geschichte einer Frau, Ora, und ihres Sohnes, Ofer, von den Kriegen des Nahost-Konflikts, vom Sechstage-Krieg 1967 über den Jom-Kippur-Krieg 1973 bis zu den ständigen militärischen Auseinandersetzungen im Westjordanland Ende der 1990er Jahre. Dorthin meldet sich Ofer am Ende seiner Militärzeit, während sein praktisch seit der Geburt abwesender Vater Avram als traumatisierter Veteran des Jom-Kippur-Kriegs glücklos ein Restaurant betreibt und sein sozialer Vater Ilan anderweitig unterwegs ist. Ora möchte deshalb Avram zu einer gemeinsamen Wanderung durchs Gebirge bewegen, denn so würde sie vor der möglichen Nachricht vom Tod des Sohnes beim Militäreinsatz fliehen und diese gleichsam bannen, nachdem sie selbst ihn beim Einsatzstützpunkt abgeliefert hat und deshalb auch eine Art Schicksalsbesprechung der Familie beabsichtigt.

Armin Petras, der hier den Roman für die eigene Inszenierung bearbeitet hat, nimmt also erstmal die Fahrt zum Stützpunkt als road movie. Mit einem arabischen Taxifahrer, der zudem ein krankes Kind in ein Krankenhaus bringt, wo nachts außerhalb des offiziellen israelischen Systems behandelt wird. Als Fahrzeug dient auf der Bühne ein echter sowjetischer Shiguli, der wohl den als solchen angesprochenen Fiat 124 vertritt und der häufig von Hand hin und her geschoben werden muss. Natali Seelig spielt den Fahrer so leut- und redselig wie einen Berliner Taxifahrer, obwohl mit dieser Besetzung wahrscheinlich etwas anderes gemeint ist. Das Thema Araber in Israel wird dennoch schnell erfasst, während Ofer, um den sich doch erstmal alles dreht, auf der Rückbank ohne größere Bedeutung sitzen muss. . Tamer Tahan hat in dieser Rolle keine sehr dankbare Aufgabe, und das gehört zu dieser manchmal schwer nachvollziehbaren, sehr ausschnitthaften Erzählweise, die Petras hier anschlägt.

Petra Schickarts Bühnenbild ist Ausdruck dieses Dilemmas, dass man hier eigentlich alles erzählen will, was die Komplexität dieser Geschichte einfordert. Doch dieses betongraue Durcheinander von einem Minibunker, Elementen der Sperranlagen im Westjordanland und Festdekorationen in improvisierten Häusern lässt nicht nur dem Auto keinen Raum, sondern ebenso wenig den Figuren, die sich darin bewegen und eigentlich entfalten müssten. Raum im erzählerischen Sinn gewinnt die Inszenierung allerdings durch die historischen Videos von den begeisterten Aufbruchsmomenten Israels, in die Rebecca Riedel die Schauspieler:innen der Hauptfiguren ab und zu einmontiert hat.

Erst im zweiten Teil findet die Inszenierung zu einer beeindruckenden Klarheit. Die großartige Anja Schneider kämpft als Ora mit der eigenen Obsession und Frage, ob diese Wanderung mit dem widerwilligen Avram, den Max Simonischek in Mimik, Sprache und Haltung als Erschöpften dieser gesellschaftlichen Konflikte zeichnet, den Sohn bewahrend zu einem höheren Ziel führt. Hier ist es nur eine Pfütze, die für die beiden das alles reinigende Bad in einem See bedeutet, und das in ihr funkelnde Lichtspiel spiegelt sich sehr schön auf der Bühnenrückwand. Das ist viel, und doch zu wenig für das Ganze. 

So ist es denn auch der zur Premiere angereiste Autor David Grossman, der am Schluss den meisten Applaus erhält.

 

Erschienen am 21.2.2023

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