Nein, es hat nicht wenig an deutschsprachigen Theatern zu sehen gegeben zum Thema Flucht. Auch Das letzte Kleinod, ein freies Theater aus Schiffdorf, in der Nähe von Bremerhaven, hat sich damit in den vergangenen Jahren immer wieder beschäftigt. Aber nur selten rückte uns ein Stück so dicht auf die Pelle – geografisch, aber nicht zuletzt auch biografisch. Das schlicht „Flucht“ betitelte Stück erzählt von Fluchten mitten in Europa – kaum eine Familie, in der die Jahrhundertzäsur des Zweiten Weltkriegs nicht ihre Spuren hinterlassen hat.
20 Interviews hat Jens-Erwin Siemssen, Kopf des Letzten Kleinods geführt, mit Menschen, die einst vertrieben wurden, die von Krieg und existenzieller Bedrohung berichten. Sie waren Kinder damals. Sie kommen aus Bremerhaven, Frankfurt an der Oder, Gdynia und Kaliningrad. Indem er die Geschichten aus der europäischen Historie, aus der Vergangenheit unserer Gesellschaft holt, zeigt er, wie sich das Erlebte ähnelt. Und das Bedürfnis, von damals zu erzählen, ist offenbar groß. Siemssen erinnert sich an einen Zeitzeugen, der berichtete, wie seine Mutter vor seinen eigenen Augen vergewaltigt worden war, und während des Interviews in Tränen ausbrach. Bis vor zwei Jahren habe er niemandem davon erzählt. „Es ist ein Ventil“, sagt Siemssen, „und die Zeit ist reif, davon zu...