Gespräch
Was macht das Theater, Johanna M. Keller?
Im Gespräch mit Thomas Irmer
von Johanna M. Keller und Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)
Assoziationen: Akteure Dossier: Was macht das Theater...?

Sie sind seit Oktober letzten Jahres Programmbeauftragte an der Akademie der Künste in Berlin. Wie tritt die Darstellende Kunst auf diesem Feld demnächst hervor?
JMK: Die Akademie der Künste ist eine internationale Gemeinschaft von Künstler:innen, die in sechs Sektionen organisiert ist, mit einem großen interdisziplinären Archiv zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Zu den Schwerpunkten der Sektion Darstellende Kunst gehören die Erinnerungsarbeit und der Erhalt des kulturellen Erbes. Ein Beispiel aus dem vergangenen Jahr ist das Kolloquium „Grüber, Hölderlin, Marthaler: Ins Offene“, das zusammen mit der Koproduktion von Marthalers Hamburger Inszenierung „Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten“ die Gegenwart des Regieschaffens von K. M. Grüber besprochen hat. Ein Schwerpunkt wird dieses Jahr die Rolle des Theaters in Bezug auf existenzielle gesellschaftliche Fragen außerhalb des europäischen Kulturraums mit Gastspielen von Künstler:innen aus dem Iran (Narges Hashempour) und Tibet (Lhakpa Tsering) sein. An den Berliner Festspielen und in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste präsentiert es eine oft übersehene Szene von Künstler:innen, die mit sehr globalisierten Biografien nach Berlin kommen und hier künstlerisch arbeiten. Und die Sektion beschäftigt sich intensiv mit der Begleitung kulturpolitischer Diskurse, etwa wie produktive Zukunftsvoraussetzungen für den Tanz geschaffen werden können.
Im Moment wird wieder viel über ein Tanzhaus als zentraler Institution in Berlin gesprochen. Wird die Akademie da beteiligt sein?
JMK: Da ist die Akademie eng eingebunden, wie auch grundsätzlich in die Debatten und Überlegungen zur Situation und Zukunft des Tanzes in Berlin und Deutschland. Und Nele Hertling als Direktorin der Sektion Darstellende Kunst ist ja eine Initiatorin dieses Projekts. Das Konzept hat dem Abgeordnetenhaus vorgelegen und ist vom Senat für die öffentliche Diskussion in der Berliner Tanzszene freigegeben.
Aus Ihrer Arbeit als Direktorin des Goethe-Instituts in Litauen und danach als Leiterin der Kulturarbeit für die Region Nordafrika/Nahost bringen Sie eine besondere Expertise mit.
JMK: Hier kann ich vor allem Netzwerke und vielleicht ein besonderes Ohr für kulturelle und künstlerische Diskurse außerhalb Europas einbringen. Die Akademie hat die Aufgabe, die Sache der Kunst in Deutschland zu vertreten und gleichzeitig internationale Wirkungen zu entfalten. In diesem Sinne haben wir Anfang Januar eine Solidaritätsveranstaltung zum revolutionären Prozess im Iran und der Rolle der Künste veranstaltet. Seit 2020 gibt es die von Präsidentin Jeanine Meerapfel initiierte Europäische Allianz der Akademien, die sich für die Freiheit der Kunst und gegen deren Einschränkung einsetzt. Solche Plattformen sind gerade in Zeiten des gegenwärtigen Rechtsrucks, den wir in europäischen Demokratien erleben, wichtig. Und wir haben mit der Jungen Akademie ein interdisziplinäres Artist-in-Residence-Programm für die Vernetzung auch in die außereuropäische Welt.
Sie waren in Ihrer Zeit in Vilnius dem litauischen Theater besonders verbunden. Jetzt erleben wir gerade, dass junge litauische Regisseurinnen viel Beachtung finden, zum Beispiel Uršulė Barto am Berliner Ensemble und Kamilė Gudmonaitė in Freiburg. Beim jüngsten Festival „Fast Forward” in Dresden wurde Laura Kutkaitė ausgezeichnet.
JMK: Litauen hat eine starke Theatertradition, und die war hier durch Regisseure wie Eimuntas Nekrošius und Oskaras Koršunovas lange repräsentiert. 2019 wurde die Performance-Oper „Sun & Sea (Marina)“ von der Regisseurin Rugilė Barzdžiukaitė, der Autorin Vaiva Grainytė und der Komponistin Lina Lapelytė bei der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Das hat den Blick verstärkt auf Künstlerinnen von dort, auf starke feministische Stimmen gerichtet, die eigentlich lange schon da waren, aber jetzt anders wahrgenommen werden. Dazu kommt, dass es jetzt mehr Interesse für unsere östlichen Nachbarn gibt. Wir haben gerade erleben müssen, dass wir von der Ukraine und ihrer Kultur viel zu wenig wissen.