Theater der Zeit

Stück

Dem Theater etwas zumuten

Ariane Koch im Gespräch mit Nathalie Eckstein

von Nathalie Eckstein und Ariane Koch

Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)

Assoziationen: Dramatik Rheinland-Pfalz Pfalztheater Kaiserslautern

Anzeige

Anzeige

Das Anthropozän ist vorbei. Ariane Koch, wie begegnen wir nicht-menschlichen Wesen im Theater? Welches Potenzial steckt in dieser Begegnung?

Ich hatte eine Initialzündung bei einem Gespräch, das ich gesehen habe – mit Steve Brusatte, einem Paläontologen. Es gibt einen sogenannten Dinosaurier-Rassismus in der Art und Weise, wie wir auf Dinosaurier schauen. Wir kennen sie heute hauptsächlich aus Jurassic Park – das sind alles Exemplare, die zu einer bestimmten Zeit in Nordamerika gefunden und anschließend kommerzialisiert wurden. Brusatte hat darauf hingewiesen, dass in China auch jetzt noch jede Woche Fossilien neuer Arten entdeckt werden, also dass es bei Dinosauriern eine Minderheit gibt, die nicht beachtet wird, die man nicht kennt aus der westlichen Populärkultur. Das fand ich sehr spannend, dass sich einerseits der Blick auf die Spezies, die man aus den Ausgrabungen kennt, mit der Zeit sehr verändert, aber eben andererseits, dass die Dinosaurier als ein Spiegel fungieren für den Menschen und die Gesellschaft, in der er lebt. Aktuelle Machtverhältnisse unserer Welt werden sichtbar dadurch, wie wir auf die Dinosaurier zurückschauen. Theater ist wiederum ein sehr guter Ort, um aus dem Menschsein hinaus­zuschlüpfen, zumindest als Behauptung oder zeitweise. Und ich bin idealistisch genug, um zu sagen: Theater ist der richtige Ort, um via einer anderen Spezies über uns selbst nach­zudenken.

Wenn wir schon bei der anderen Spezies sind: Die Begegnung zwischen der Gruppe von Dinosauriern und dem fremden Wesen, das in ihre Welt eintritt, scheitert. Das Wesen spricht keine Sprache, anstelle eines Monologs steht da eine Zeichnung, also eine nicht-sprachliche, aber zeichenhafte Äußerung. Wofür steht das Missverständnis, welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Zuerst hatte das Wesen einen Monolog, der in unserer menschlichen Sprache verfasst und für das Publikum zeichenhaft verständlich war. Ich hatte dann aber das Gefühl, dass es nicht stimmt, weil es dieses gegenseitige Unverständnis und Missverständnis geben muss. Im Text gibt es das auftauchende Wesen, und die Dinosaurier beobachten es, sie entwickeln eine Beziehung, Interpretationen. Aber das Wesen soll auch das Geheimnis der unbekannten Herkunft behalten: Wieso ist es da, ist es noch da, ist es wieder da? Und wie steht es eigentlich zu den Dinosauriern? Die Dinosaurier haben wiederum sehr unterschied­liche Meinungen zum Wesen. Ich glaube, mir war wichtig, dass das Wesen eine eigene Sprache hat und dass man deren Eigenheit ausstellt und damit einen Anstoß gibt, wie Sprache in der Zukunft vielleicht aussehen kann oder wie Sprache, zum Beispiel als eine Art Partitur, auch darstellbar sein kann.

Du hast schon angedeutet, dass die Dinosaurier unterschiedlich auf das Wesen reagieren. Rosmarie wird ganz weich und entspannt sich, wenn sie das Wesen singen hört. Welche poetologische Bedeutung hat die Angabe „Singspiel“ im Untertitel?

Die Idee war, eine Art universelle Sprache zu finden, in der sich die Figuren pathetisch gesagt „mit dem Herzen“ verstehen (lacht). Ich habe mich gefragt, ob Musik eine nicht-rationale Sprachlichkeit sein könnte. Das ist natürlich in unserer tatsächlichen Welt nicht unbedingt so, schließlich ist Musik auch kulturell abhängig, aber es ist der Versuch, dass es eine Kommunikation über die einzelnen Sprachen hinaus gibt, die gegenseitiges Verständnis möglich macht. Ich habe das Stück als Singspiel gelabelt, um anzustoßen, dass es musikalisch gedacht werden soll, aber deshalb muss es die Gattung Singspiel nicht unbedingt bedienen. Es muss also auch nicht alles gesungen werden, aber es soll die Lesart des Musikalischen im Text geben. Das Musikalische wird zur Utopie, die Lieder sind das, was die Zeit überdauert – oder eben die Wesen über die Zeitspanne hinweg zueinanderbringt.

Birken sind Pionierpflanzen. Nach einer nuklearen Katastrophe oder einer Naturkatastrophe kommen sie als Erstes zurück. Wie existenziell ist die Bedrohung im Text?

Mich hat interessiert, dass man die Bäume nicht nur als bedrohte Art sieht, sondern auch als bedrohliche Art. Dass man das umkehrt. Das Stück arbeitet viel damit, Hierarchien umzukehren. Es gibt die Birken, die einen ­kolonialistischen Anspruch haben und nach und nach anderes verdrängen. Die Birke ist ja auch im biologischen Sinne sehr resistent, sie verdrängt andere Spezies und übernimmt die Macht.

Die Umkehr der Hierarchien zieht sich ja durchs ganze Stück …

Ja, es sind die Dinosaurier, die das mensch­liche Wesen zerschneiden, analysieren, historisch zu interpretieren versuchen, es gibt überall die Umkehr von Blicken auf eine andere Spezies. Außerdem bin ich mit einer ­Birke im Garten aufgewachsen, so gehört sie irgendwie auch zu meinem eigenen Stammbaum im wörtlichen Sinne.

Wir haben viel über den Tod gesprochen. Die Dinosaurier haben eine große Melancholie – ist die Melancholie der Unsterblichkeit geschuldet?

Ja, sicher, aber es hat auch etwas damit zu tun, wann ich den Text geschrieben habe. Es war der erste Lockdown-Frühling und damit eine Zeit des dringlicheren Nachdenkens über die Spezies Mensch und Fragen wie: Gibt es bald ein Ende unserer Spezies? In­wiefern ist der Mensch temporär? Dann die ­Klimakrise. Es gab damals diese Unerreichbarkeit untereinander. Und das alles zeigt sich in der Melancholie der Dinosaurier. ­Todeswunsch und Nostalgie genauso wie die Frage nach dem eigenen Ursprung.

Das Stück kommt im Dezember in Kaisers­lautern zur Uraufführung. Wie stellst du dir die Uraufführung dieses Textes vor, der sicher eine Menge Fantasie seitens der Regie benötigt?

Während des Schreibens hat sich das ständig verändert. Ich hatte den Eindruck, das sind Figuren, denen ständig etwas wächst oder die sich plötzlich anders bewegen können, die veränderbar sind. Das ist auch etwas, das mich interessiert: Wesen oder Figuren zu schreiben, die eine große Freiheit dahingehend mitbringen, wie sie darzustellen sind. Das ist natürlich eine Herausforderung, aber ich habe das Gefühl, dass diese Art von Herausforderung großes Potenzial hat, die Fantasie der anderen anzuregen. Ich habe überlegt, ob es überhaupt Grenzen der Darstellbarkeit gibt oder ob nicht andersherum eigentlich alles undarstellbar ist. Ist jede Darstellung nur ein Versuch oder nur ein ­Aspekt dessen, was hätte dargestellt werden können? Und ich habe das Gefühl, dass in nicht-menschlichen Wesen ein großes Poten­zial steckt, der Frage nach Darstellbarkeit überhaupt nachzugehen.

Ich habe den Eindruck, du hast einen großen Glauben ans Theater …

Ich habe manchmal das Gefühl, dem Theater wird ein bisschen wenig zugetraut. Ich mache oft die Erfahrung, dass Menschen, die Texte von mir inszenieren oder die Bühne oder das Kostüm machen, für die Offenheit und den Anstoß zu eigenständigem Denken dankbar sind. Wenn ein Theatertext zu viele Regeln aufstellt, die einzuhalten sind, kann auch leicht eine Trotzreaktion aufkommen, die man dann als Autorin auch aushalten muss. Als Leserin kenne ich diese Trotz­reaktion übrigens: Wenn mir ein Text zu viel vorgibt, dann sträube ich mich irgendwie dagegen. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Pledge and Play"