Auftritt
Staatstheater Karlsruhe: Verführerische Kämpferinnen für Frauenleben
„Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl, Bühnenfassung von Jorinde Dröse und Johanna Vater – Regie Brit Bartkowiak, Bühne und Kostüme Cora Saller, Musik Polina Lapkovskaja, Choreografie Baris Comak
von Elisabeth Maier
Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Brit Bartkowiak Badisches Staatstheater Karlsruhe

Eines Tages steht die Mutter vom Esstisch auf und stürzt sich vom Balkon. Lola, ihre heranwachsende Tochter, bleibt mit ihrem Zorn und mit ihrer Einsamkeit zurück. In ihrem Debütoman „Die Wut, die bleibt“ zeigt die Mareike Fallwickl die dunkle Seite der Care-Arbeit auf. Da blickt sie auf die Corona-Pandemie, in der vor allem Frauen mit der Kindererziehung alleingelassen waren. Am Staatstheater Karlsruhe befreit die Hausregisseurin Brit Bartkowiak den feministischen Zugriff der Autorin von jeder Verbissenheit. Mit starken Schauspielerinnen entwickelt sie Frauenporträts, die vor allem die Hilflosigkeit der Männer offenbaren.
Mit ihrem Roman hat die österreichische Autorin und Literaturvermittlerin eine heftige Debatte ausgelöst. Zwar ist Gleichberechtigung in den westlichen Demokratien per Gesetz festgeschrieben, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Fallwickl, die selbst zwei Kinder hat, beschreibt in gefühlsgeladenen Sprachbildern, was die Rollenverteilung der Geschlechter mit den Menschen macht. Die Rolle der Mutter Helene verkörpert die schwedische Schauspielerin und Opernsängerin Frida Österberg. Alleingelassen steht sie auf dem hohen Bühnengerüst, das Ausstatterin Cora Saller geschaffen hat. In dieser Welt sind die Menschen gefangen. Das Bühnenbild ist schlicht. Mit starker Lichtregie (Martin Eberle, Maximilian Decker) werden Gitter und Maschendrahtzaun zu Angsträumen.
Mit ihrer klaren, abgedunkelten Mezzo-Sopran-Stimme singt Österberg Lieder von Joni Mitchell. Damit trifft die Grenzgängerin zwischen Sprache und Musik mitten ins Herz. In ihren Songs lässt die amerikanische Künstlerin verzweifelte Frauen sprechen. Diese Vielstimmigkeit findet Regisseurin Bartkowiak in Fallwickls emotional aufgeladenen Sprachbildern wieder. Polina Lapkovskaja hat die Lieder der kanadischen Sängerin und Songwriterin aus den 1070er- und 1980er-Jahren neu und frisch arrangiert. Diese Musik spiegelt zeitlose Poesie.
Dynamik und Kraft prägen die Bühnenfassung von Jorinde Dröse und Johanna Vater. Dennoch führt der dramatische Zeitraffer dazu, dass die Figuren ins Klischeehafte abdriften. Darin liegt eine Schwäche der Theateradaption. In diese Falle tappt der Schauspieler Timo Tank. Er verkörpert die schwierige Rolle des Architekten Johannes, der seine Frau in den Suizid trieb. Rastlos hetzt er von einem Projekt zum anderen. Für die Kinder ist keine Zeit. Nach der Selbsttötung seiner Frau beutet er deren Freundin Sarah aus. Klug porträtiert Lucie Emons Sarah, die sich zunächst fast widerstandslos ins Klischeebild der Ersatz-Mutter zwängen lässt. Dann aber beginnt die Autorin, für ihre eigene Entwicklung zu kämpfen. Emons’ Figur ist auch deshalb so stark, weil sie zeigt, dass die Frauen ihrer eigenen Emanzipation am meisten im Wege stehen.
Hoffnung setzt Mareike Fallwickl in „Die Wut, die bleibt“ auf die junge Generation. Nach dem Tod ihrer Mutter gerät das Leben von Lola aus den Fugen. Emma Suthe zeichnet das Bild einer Jugendlichen, die an ihrer Zerrissenheit zu zerbrechen droht. Die Freundschaft zu ihrer Freundin Sunny aber lässt sie neue Perspektiven entwickeln. Swana Rodes Figur ist eine Verführerin mit großer Klappe, die das Herz am rechten Fleck hat. Mit geballter Kraft gründen sie eine Mädchen-Gang, die konsequent die Schwächen der Männer aufdeckt. Dabei befreien sich die zwei jungen Schauspielerinnen vom Zerrbild der polternden Randaliererinnen. Sie entwickeln starke Frauenbilder, die sich von der Unterdrückung in patriarchalen Strukturen nicht den Schneid abkaufen lassen.
In Bartkowiaks zutiefst berührender Regiearbeit gelingen den Karlsruher Schauspielerinnen starke Frauenporträts. Dagegen schafft es die Regisseurin nicht, die Männer als adäquate Sparringspartner aufzubauen. Auch Fabian Kulp in der Rolle des Nichtsnutzes Leon, der seine Freundin Sarah gnadenlos aus Geldquelle missbraucht, kann sich aus dieser Schublade nicht befreien. Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in Fallwickls Roman sind komplexer. Da ist in der Karlsruher Inszenierung zumindest bei den Männern noch deutlich Luft nach oben. Dennoch zeigt Brit Bartkowiak mehr als eine feministische Abrechnung mit den Papiertigern aus der Männerwelt. Ihre Inszenierung legt die strukturellen Barrieren offen, die wahre Gleichberechtigung heute mehr denn je verhindern. In Zeiten, da Rechtspopulisten den Kulturkampf um das Rollenbild der Frau längst auf allen Ebenen ausgerufen haben, ist dieser ehrliche Blick auf die Wirklichkeit wichtiger denn je.
Erschienen am 23.4.2025