Auftritt
Bremen: Und nebenan herrscht Krieg
Theater Bremen: „Ein Haus in der Nähe einer Airbase“ (UA) von Akın Emanuel Sipal. Regie Frank Abt, Ausstattung Susanne Schuboth
Erschienen in: Theater der Zeit: Zur Sache, Schatz! – Über Lohnunterschiede und Lolita-Klischees (03/2018)
Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Bremen Theater Bremen
Während wir in Deutschland zurzeit unter unwirtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt und immer noch früh einsetzender Dunkelheit leiden, kann man für die türkische Riviera schon jetzt 19 bis 20 Grad verzeichnen, nur wenige Wolken stehen über der dortigen Provinzhauptstadt Adana am Himmel. Ein Sehnsuchtsort für heiße Sommer, und das Mittelmeer ist nicht weit entfernt.
Das neue Stück des jungen Autors Akın Emanuel Sipal, dessen Uraufführung nun am Theater Bremen stattfand, ist in diesem Adana angesiedelt. Es heißt „Ein Haus in der Nähe einer Airbase“. Die Airbase, das ist der Nato-Stützpunkt Incirlik. Von dort flogen deutsche Luftwaffenjets noch im vergangenen Jahr ihre Unterstützungseinsätze im Syrien-Krieg, die umkämpfte Stadt Aleppo ist nicht einmal zwanzig Flugminuten von Incirlik entfernt.
Sipals Narration und deren atmosphärische Grundierung begründen sich aus dieser Region und ihrer Geschichte. Seine Figuren gehören zu den Deutschtürken jener Generation, die sich gerade jetzt mit ihrer Herkunft auseinandersetzen wollen, sie – so wird es bereits im Begleittext erklärt – „ringen allesamt um ihre kulturelle Identität“.
Das exemplarische Personal Sipals, eine türkische Kleinfamilie, kehrt seit Jahren regelmäßig aus Deutschland in das Land der Vorfahren zurück, sie hat dort ein Ferienhaus gekauft. Nun haben die Eltern unvermittelt beschlossen, sich mit der ganzen Familie in Adana anzusiedeln. Die Pläne des Elternpaares sind allerdings grunddeutsch: Der Vater möchte Solartechnologie verkaufen, die Mutter eine psychotherapeutische Praxis eröffnen – nicht von ungefähr erinnert das an die deutschen Toskanaträume der achtziger Jahre: Sonne, Nachhaltigkeit, Selbstfindung. In diese Vorstellungswelt bricht die Realität der politischen Instabilität des Nahen Ostens ein, Attentate geschehen, Soldaten tauchen auf, ein Brand zerstört das Haus.
Das Ganze wird in Bremen auf der kleinen Studiobühne von Regisseur Frank Abt recht schlicht eingerichtet, eine Wand aus unterschiedlich großen Umzugskartons markiert das titelgebende Haus (Ausstattung Susanne Schuboth), ein Symbol für das Zwischenstadium zwischen beiden Lebenswelten: Man ist noch nicht ganz angekommen, und doch zeigt sich bereits die Struktur von Sesshaftigkeit. Auf dieser bespielbaren Kartonwand laufen Videoprojektionen (Rebecca Riedel und Elisa Gómez Alvarez), gleich zu Anfang sehen wir Sonneneruptionen, es ist, wie wir wissen, heiß in Adana. Die Tochter, engagiert und doch mit zungenschwerem Akzent gespielt von der Belgierin Fania Sorel, erklärt zu Beginn in einem beinahe halbstündigen Monolog die Situation: wie alles war und wie es ist. Doch das Spieltempo ist von Anfang an vor allem behäbig, sprachlich schleppend.
Der deklamatorische, aus betrachtender Rückschau berichtende Duktus ist bezeichnend für den beinahe zweistündigen Abend. So recht warm kann man da mit den Figuren nicht werden, die ihnen in den Mund gelegten Worte bleiben – trotz der redlich spielerischen Versuche von Sorel, Irene Kleinschmidt, Siegfried W. Maschek und Marco Massafra – stumpf und kraftlos.
Neben dem schleppenden Timing, geboren aus der Notwendigkeit oder gar der Ehrfurcht, einen Uraufführungstext möglichst unangetastet zu lassen, liegt die Kraftlosigkeit in der Fülle unglücklicher und vielfach indifferent raunender Formulierungen begründet. „Vielleicht ist wieder die Zeit gekommen, in der wir Soldaten lieben müssen“, verkündet die Tochter, beiseite gesprochen, im Rendezvous. Solcherlei „Statements“ lassen keine wirkliche Beziehung zwischen den Figuren zustande kommen. Ein Satz wie „Mein Brustkorb ist ein Haus für mein Herz“ hingegen lässt dann auch ein wenig lächeln – ob seiner offensichtlichen Ungeschicklichkeit. Man erahnt das Bemühen um die Poesie und befürchtet, dass diesem Material, zum Schaden eines hoffnungsfrohen Autors, weder Lektor noch Dramaturg besonders nahegekommen sind.
So bleiben die interessantesten Fragen des Abends nicht die nach Inszenierung oder Textvorlage, sondern die nach der Motivation für das Sujet und der Distanz zum Werk für inszenatorische Spielräume. Denn genau das ist die eigentliche Stärke des Theaters, wenn man sie denn nutzt. //