3 Aspekte der Analyse
Die Zukunft der Oper? Zur mediatisierten Wahrnehmung und Distribution der Oper
von Clemens Risi
Erschienen in: Recherchen 133: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (08/2017)
Assoziationen: Musiktheater Wissenschaft Dossier: Digitales Theater

Angesichts der wachsenden Bedeutung der Mediatisierung in der Oper – sei es durch die Verwendung von Videos auf der Bühne oder die weltweite Übertragung von Opernaufführungen in Kinos oder die Verbreitung von Aufzeichnungen als DVDs – hat die in der Theaterwissenschaft und den Performance Studies mit großer Vehemenz geführte Debatte um die Frage, ob die Definition einer Performance darin besteht, dass sie nur als Live-Ereignis existiert und nicht aufgezeichnet und wiederholt werden kann, oder ob im Gegenteil die Mediatisierung nicht nur Bestandteil einer Performance, sondern gar ihr Vorbild sein kann, auch die Opernforschung ergriffen.1 Die Frage ist, inwiefern die Argumente von Peggy Phelan und Philip Auslander, die weiterhin zum Grundbestand theaterwissenschaftlicher und performancetheoretischer Diskussionen zählen, auch die Mediatisierungsdebatte in der Oper befruchten können.2
Aus meiner Sicht sind für die Aufführungsdimension von Oper beide Positionen relevant: sowohl Peggy Phelans radikaler Standpunkt, dass wir nur im Falle eines Live-, nicht aber eines mediatisierten Ereignisses von einer Performance sprechen können, als auch Auslanders Kritik an dieser Entgegensetzung von Performance und Mediatisierung, und insbesondere, wenn es um die Frage geht, welche Entsprechung die Faszination für das Live-Ereignis und dessen Wirkungen in mediatisierten Formen findet bzw. ob diese nicht sogar durch mediatisierte Formen hervorgerufen werden können. Dabei interessieren mich die Möglichkeiten der Dokumentation oder sogar der Intensivierung eines Charakteristikums von Oper als Live-Ereignis: die besondere Beziehung zwischen singenden Darstellerinnen/Darstellern und wahrnehmendem Publikum und der aktiven Wahrnehmung einer Opernstimme in der Aufführung. Es soll die Rede sein von der Verbreitung von einzelnen Szenen, einzelnen Arien oder auch nur Momenten von Live-Aufführungen, die von Fans entweder von DVDs extrahiert werden oder direkt im Opernhaus als Piratenaufnahme entstanden sind und vor allem über YouTube anderen Fans zur Kenntnis gebracht und sogleich von der Opernfan-Internet-Community kommentiert werden.3 Was hier entsteht, ist eine Art mediatisierte Form eines zentralen Aspekts des Live-Ereignisses Oper, nämlich der aktiven Partizipation, die sich im Sprechen über das Ereignis, im Kommentieren, im Diskurs manifestiert.
Mit der in Kapitel 3.3 diskutierten Besonderheit der im Opernhaus live erklingenden Stimme, die auch über eine große Distanz hinweg Nähe zwischen Sängerin/Sänger und Publikum produziert und eine besondere physische Wahrnehmung evoziert, wäre ein erstes Argument für eine ontologische Differenz zwischen dem Live-Ereignis Oper und seinen mediatisierten Formen aufgerufen. Entgegen Auslanders Auffassung, dass jede Live-Aufführung bereits beeinflusst und geprägt ist von der uns umgebenden mediatisierten Welt,4 existiert in der Oper die grundsätzliche Differenz zwischen einer live produzierten und tragenden Stimme, die den Raum mit ihrem Klang ausfüllt, und einer mikrophonierten Stimme. Der Unterschied ist für das nur einigermaßen geschulte Ohr sofort hörbar. Vieles von dem, was eine Opernstimme ausmacht, besonders macht, geht durch die Mikrophonierung verloren.
Doch es ist genau diese Erfahrung des Einmaligen und Besonderen einer Opernstimme, die mithilfe der Medien, insbesondere über das Internet mit seinen flexiblen und schnellen Kommunikationswegen, verbreitet und mit anderen geteilt werden kann. In der Mediatisierung scheint für Fans und Internet-User eine Möglichkeit auf, eine Sehnsucht zu stillen, nämlich das Flüchtige zu bannen, das Unwiederholbare wiederholbar zu machen sowie die eigene Erfahrung mit anderen zu teilen. Seit seiner Einrichtung ist das Internet-Videoportal YouTube für Opernfans eine unerschöpfliche Quelle, um sich über einmalige Opernereignisse, an denen man selbst nicht teilhaben konnte, medial zu informieren und sich via Kommentarfunktion mit der weltweiten Fan-Community darüber auszutauschen.
Als Beispiel soll ein Ausschnitt aus einem längeren Filmporträt über Edita Gruberova dienen, in dem der Schluss der Finalarie von Donizettis Lucrezia Borgia aus Gruberovas Debüt in dieser Partie im Jahr 2008 in Barcelona in einer konzertanten Aufführung zu hören und zu sehen ist. Auffällig sind drei Körperbewegungen, Gesten bzw. Posen der gefeierten Operndiva nach dem endlos gehaltenen, über das „Menschenmögliche“ und den letzten Orchesterton hinausgehenden Spitzenton (ein dreigestrichene Es).5 Diese drei Bewegungen nach vollbrachter Tat sind weder dem emotionalen Zustand des Wahnsinns der zu verkörpernden Figur geschuldet noch der Vereinigung mit den rasenden Fans, sondern – so meine Wahrnehmung – ganz allein der körperlichen und emotionalen Situation der Gruberova als Sängerin, die gerade Unglaubliches geleistet hat – eine abfallende Spannung, die mehr über das Menschen-Unmögliche des eben Gehörten, des eben Geleisteten verrät als der Moment der Ausführung selbst. Dank YouTube und der Kameraführung des Dokumentarfilmers sind wir in der Lage, ganz nah dran zu sein an Gruberovas Körperanspannung und nachfolgender -entspannung, obwohl weder ich noch die meisten anderen User diese Aufführung live erlebt haben. Diese letzten Sekunden wirken, als würde die Sängerin zu erkennen geben, dass diese Arie sie etwas gekostet hat und sie sich ganz für sich lustvoll gehen lässt. Ein sehr intimer Moment, der in erster Linie für sie selbst bestimmt zu sein scheint, an dem via YouTube nun jedoch alle teilhaben können. Prompt wird er bemerkt und kommentiert, etwa von Mark alias „operadude 32“ aus Chicago: „I ABSOLUTELY love seeing her release her ‚appoggio‘ after the final high note (you see her ribcage collapse). And then, when she throws her head back as if to say, ‚I did it!‘.“ (Abbildung 33)6
Eines der Kennzeichen der für die Analyse des Performativen formulierten autopoietischen feedback-Schleife der Aufführung ist, dass der Prozess der Beeinflussung nicht nur in eine Richtung – von den Darstellenden zu den Wahrnehmenden – verläuft, sondern auch wieder zurückwirkt. Wie sich die konkrete Aufführung in ihrer Intensität, Wirkung, energetischen Kraft tatsächlich ereignet, hängt von einer jeweils einmaligen, unwiederholbaren, nur in dieser einzigartigen Konstellation sich ereignenden Wechselwirkung zwischen Darstellenden und Zuschauenden/Zuhörenden ab. Die mediatisierte Form der Aufführung der Gruberova hat natürlich keinen Anteil an dieser feedback-Schleife der Aufführung, doch wie der Kommentar zeigt, produziert der Clip, die mediatisierte Aufführung, sein/ihr eigenes feedback-System – eine neue Form der Liveness, die Nick Couldry als „online liveness“ bezeichnet hat.7 Es ist symptomatisch, dass in den Kommentarsektionen von Clips von Live-Aufführungen häufig eine nostalgische Sehnsucht zum Ausdruck kommt, das vergangene Live-Ereignis auch als solches zu erinnern. Als wollten die Kommentierenden es der Flüchtigkeit entreißen und dabei gegebenenfalls auch die eigene Präsenz und Teilhabe an der Aufführung in das Ereignis hineinschreiben, wie dies in dem Kommentar von „asisecanta“ deutlich wird: „You can distinguish me between 1:56 and 1:58, at the left, with white shirt and glasses. I was there.“ (Abbildung 34)8
Festzuhalten ist, dass die Grenzen zwischen dem Live-Ereignis und den mediatisierten Formen nicht aufgelöst werden oder ausfransen, sondern, im Gegenteil, in der Mediatisierung umso stärker hervortreten, als in den Kommentarsektionen, die sich als „online liveness“ (Couldry) bezeichnen lassen, die Sehnsucht nach dem vergangenen und verlorenen Live-Ereignis erkennbar wird. Eine Sehnsucht, die von der mediatisierten Form nicht gestillt, sondern recht eigentlich erst hervorgerufen wird. Die Mediatisierung der Oper treibt somit die Grenze zwischen live und mediatisiert deutlich hervor.
Es gibt jedoch Aspekte von Oper, die ausschließlich mediatisiert existieren und damit vielleicht tatsächlich deren Zukunft eingeläutet haben. Am Beispiel der Karriere der Sopranistin Anna Netrebko möchte ich zeigen, wie Medienstrategien eingesetzt wurden, um sie als „Diva des 21. Jahrhunderts“ zu etablieren. Dass sich Operndiven medialer Strategien der Selbstinszenierung und Vermarktung bedienen, ist ein wohlbekanntes Phänomen, seit massentaugliche Medien wie Zeitung, Reklame, cartes des visites und Stahlstiche zur Verfügung stehen, also mindestens seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.9 Neuartig an den Medienstrategien im Falle Netrebkos ist die unverhüllte Anleihe bei den Star-Machern der Popindustrie.10 Die Netrebko wurde ganz nach den Mechanismen und Regeln des Popmarktes positioniert und vermarktet: mit ganztägigen Interviewterminen, künstlich verknappten Eintrittskarten für ihre Auftritte, Fotostrecken in Magazinen wie Gala und Stern, Auftritten in Europas damals erfolgreichster TV-Show „Wetten, dass …“, Werbeverträgen für massentaugliche Produkte wie Handys (neben oder statt Franz Beckenbauer und Anke Engelke), einem Vertrag mit dem Modelabel Escada, Lancierung von Meldungen, die für die Gesellschafts- und Klatschseiten der Zeitungen gedacht waren, Positionierung ihrer CDs und ihrer ersten DVD in den Popcharts.
Beim Durchsehen der immensen Menge von Fotos, die insbesondere zu Anfang ihrer Karriere von Anna Netrebko kursierten, wird sehr schnell ein Prinzip deutlich: Sie nahm Posen ein, die sie in eine Linie mit Maria Callas stellten, und zwar sowohl in Form des Zitats als auch unter Berufung auf die Callas als „Königin des Medien-Events“,11 die sich häufig auch abseits der Bühne, zum Beispiel in Hotels oder Cafés, ablichten ließ. Dabei lassen sich drei Gruppen von Bildern bzw. Posen ausdifferenzieren.
Zum ersten Bilder, auf denen die Pose als Zitat, als Re-Inszenierung geradezu ins Auge springt. Auf einem Foto aus dem Booklet ihrer zweiten CD „Sempre libera“ (2004) tritt sie als Wiedergängerin der Callas (in der Rolle von Spontinis Vestale) in Erscheinung, den Oberkörper leicht vornüber gebeugt, wie aus einer gleichsam schwebenden Bewegung angehalten – einer Bewegung, die vom Hinter- in den Vordergrund, also hin zum Betrachter führt –, mit wehendem Umhang, die vom Körper abgestreckten Arme noch in der Bewegung verhaftet, mit einem abwesenden, in sich gekehrten Blick.12 Ein anderes Foto ruft bei mir die Erinnerung an Audrey Hepburn wach – mit Diadem in der hochgesteckten Frisur, geordnet-ungeordnet in die Stirn fallendem Pony, sich deutlich nach außen verjüngenden Augenbrauen, die Mandelform der Augen betonendem Lidschatten und langen weißen Handschuhen. Ein Zitat, das im Übrigen auch als ein doppeltes Zitat denkbar ist, hatte doch die Callas die fixe Idee, so aussehen zu wollen wie die Hepburn. Wie eine Kreuzung von Maria Callas und Jackie Kennedy erscheint die Netrebko auf einem für das Magazin der Süddeutschen Zeitung im Hotel Sacher Salzburg bezeichnenderweise in schwarz-weiß aufgenommenen Foto – mit knapp schulterlangem, nach außen gewelltem Haar, knapp über den Knien endendem Rock, hochhackigen, spitzen Schuhen, einem Umhang, den sie elegant und scheinbar mühelos mit den Händen in Form hält, und einem zur Seite gekehrten Blick, als wäre sie von der Kamera gleichzeitig lästig berührt und zur Pose herausgefordert, sich ihrer Wirkung voll bewusst.13 Bei einem anderen Porträt – in einem roten Kleid auf einem Bett sitzend, mit weit geöffnetem Mund lachend, ein Bein angehoben, wie um das Riemchen an ihrer Sandale zu richten, den Stoff des weiten Rockes auf dem Bett verteilt – stand offenbar Marilyn Monroe Patin.14
Doch noch weitaus mehr Bilder sind einer zweiten Kategorie zuzurechnen. Auf diesen Fotos erscheint sie nabel- oder rückenfrei, mit tiefem Dekolleté15, mit geschürzten Lippen, leicht geöffnetem Mund und geschlossenen Augen16, mit nach oben gestreckten und gespreizten Beinen sich in einem Sessel räkelnd, dabei den Zeigefinger lasziv in den Mund gesteckt, oder auch in liegender Pose, seitlich aufgestützt auf ihren nackten Arm oder bäuchlings auf einem weißen Bärenfell17 – den Blick zumeist herausfordernd dem Betrachter zugewandt. Als hätte der Regisseur Willy Decker diese Posen des Medienstars in seiner Salzburger Inszenierung von Verdis Traviata von 2005 re-inszeniert, gerät Anna Netrebko alias Violetta Valéry alias Anna Netrebko darin in Bedrängnis durch die Heerschar männlicher Mitglieder der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, rücklings in einem roten Kleid auf einem Sofa derselben Farbe liegend, den Kopf und die Arme über die Armlehne nach hinten gestreckt, die nackten Beine und Füße entlang des Sofas ausgestreckt, dabei leicht gespreizt und mit einem etwas angewinkelten Knie. Das Sofa wird von einigen Herren des Chores getragen, die Mehrzahl reckt die ausgestreckten Hände nach der für sie unerreichbaren erotischen Phantasie, die sich auf dem Sofa räkelt.18 Was hier zu sehen ist, ist die Affirmation eines genderspezifischen Rollenmusters: das Bild von der erotisch aufreizenden, (männliche) sexuelle Instinkte ansprechenden Frau, die als Objekt inszeniert wird.19
Die dritte Gruppe Bilder scheint dieses Image korrigieren zu wollen. Auf diesen Fotos wird die Netrebko als das nette Mädchen von nebenan inszeniert, als junge Frau im privaten Ambiente, etwa im geblümten Kleid mit einem offenen, herzlichen Strahlen,20 zu der auch die Pose passt, dass sie wie viele andere junge Frauen mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt.21
Vor allem bei den letzten beiden Gruppen scheint eine Wirkungsabsicht darin zu bestehen, eine gewisse Nähe und Verfügbarkeit zu suggerieren, wobei in der letzten Gruppe eine Strategie erkennbar wird, die als Propagieren von Natürlichkeit und Authentizität bezeichnet werden könnte – ein Trend, der im Popbereich sowie in diversen Fernsehformaten in den letzten ca. 15 Jahren kontinuierlich verfolgt wurde.22 Suggeriert wird, dass man alles erreichen kann, wenn man sich nur auf sein eigenes Potenzial beruft und sich nicht verstellt. In diesem Zusammenhang sind auch die beiden im Jahr 2005 fast gleichzeitig erschienenen Biografien von Anna Netrebko zu nennen. In der Schilderung der völlig uninteressanten, heilen Kindheit der Netrebko steckt Identifikationspotenzial für eine nach Natürlichkeit und Authentizität strebende Zielgruppe.23 Doch welche Art von Nähe wird suggeriert? Letztlich basiert der Eindruck von Nähe und Verfügbarkeit auf einer eindimensionalen und klar dechiffrierbaren bildlichen Inszenierung (und zwar ausschließlich auf dieser), die einen hohen medialen Wiedererkennungseffekt hat: auf dem Image der so naiven wie aufreizenden Kindfrau.24 Vorschub leisten dabei nicht zuletzt eigene Äußerungen der Sängerin, wie etwa der (inzwischen von ihr bestrittene) Satz aus einem Interview mit dem Magazin Focus, der prominent auf der Rückseite der von Gregor Dolak verfassten Biografie zu lesen ist: „In meinen Träumen singe ich nackt.“ Ganz nach diesem Muster ist auch eine Szene auf ihrer DVD „The Woman, the Voice“ inszeniert, die nicht zuletzt wegen der Verpflichtung des Pop-Choreografen Vincent Paterson als Regisseur für großen Wirbel in der Werbemaschinerie sorgte. Paterson hatte vor der Netrebko-DVD u. a. die „Blond Ambition Tour“ von Madonna und die „Bad Tour“ von Michael Jackson choreografiert. In der bewussten Szene ist Musettas Walzer aus Puccinis La Bohème als heimlicher, leidenschaftlicher Flirt eines unerfüllten Luxusgeschöpfs mit dem Chauffeur ihres Ehemannes inszeniert.25
Als Kategorie für die Zuweisung des Status eines Stars oder einer Diva braucht die suggerierte Nähe allerdings einen Widerpart, eine gleichzeitig spürbare Distanz – die Rede ist von der dialektischen Spannung zwischen Vertrautheit und Distanz, zwischen Verheißung und Zurückweisung.26 Als Erfahrung von Distanz erweist sich für die Fans von Opernstars insbesondere die Erfahrung des stunden-, manchmal auch nächtelangen Schlangestehens an der Kasse. Die Schlange (heute auch: der Systemausfall bei der Kartenbestellung im Internet) produziert Aufmerksamkeit, die eine noch größere Schlange erzeugt, die wiederum weitere Aufmerksamkeit nach sich zieht.27 Mit der Steuerung der frühen Karriere der Netrebko verfolgte ihr Management meines Erachtens vor allem zwei Ziele, die beide kommerzieller Natur sind: Erstens wurde hier der Versuch unternommen, mediale Star-Konstruktionsmechanismen in die Welt der Oper zu übertragen, zweitens sollte der Oper über die Kreierung eines medialen Pop-Superstars ein breiteres Publikum zugeführt werden. Hinsichtlich zentraler Kriterien des Star-Konzepts – Box-Office-Erfolg, Kassen-Schlange, Medienpräsenz, Dichotomie von Nähe und Distanz – ließe sich mit einigem Recht behaupten, dass Netrebkos Etablierung als Star erfolgreich war. Diese Einschätzung ist allerdings zu präzisieren und einzuschränken.
Als Charakteristikum für die Rezeption des Virtuosen und seine Positionierung im Bereich der Populärkultur schlägt Hans-Otto Hügel den Begriff des „populären Hörens“ vor:
„Die Vermittlung der Musik durch die Darstellungsgeste des Solisten entlastet das Gehör. Das Auge wird zu einem zweiten musikalischen Wahrnehmungsorgan, erlaubt ein dekonzentriertes, sich ein- und ausklinkendes, eben unterhaltendes, d. h. populäres Hören.“28
Durch ihre Posen – sowohl der Zitate als auch der ausgestellten Natürlichkeit – forcierte Anna Netrebko in ihren medialen Inszenierungen dieses „populäre Hören“. Dabei war es jedoch die medial produzierte und transportierte Pose und nicht die Performance, die zuallererst ihr Image als Sängerin herstellte. Wie in dieser Studie dargelegt, changiert die Wahrnehmung einer Sängerin/eines Sängers immer zwischen Repräsentation und Präsenz, zwischen dem Sinn (also der geglaubten Verkörperung) und der Sinnlichkeit (also der körperlich erfahrbaren und bewunderten Qualität der Darstellenden). Die Differenz von zeichenhaft bedeutendem Körper und Stimme und phänomenalem Leib macht ein besonderes Attraktionsmoment von Opernaufführungen aus. Bei der Netrebko verschob sich die Frage in ein Oszillieren zwischen der Medienperson/dem Image Netrebko und der angenommenen Realperson Netrebko, ganz nach dem Motto von Madonna: „Ich mag es, wenn man nicht weiß, ist es echt oder nicht?“29 Die verkörperte Figur spielte in diesen Medienstrategien keine Rolle mehr; es war vielmehr die Spannung von Imageperson und vermuteter Realperson, die verhandelt wurde und in die Anna Netrebko das Spiel mit den Posen miteinbezog.30 Die Netrebko ging völlig in ihrem Image auf und trug das, was sie vorgab, real zu sein, auch in ihre Bühnenauftritte hinein.
Während Agenturen die Zukunft der Oper und ihrer Protagonistinnen und Protagonisten durch die Übertragung medialer Star-Inszenierungsstrategien aus der Popindustrie abzusichern versuchen, lassen sich auch in der Produktions- und Distributionspraxis von Opernaufführungen Anläufe erkennen, die Zukunft der Oper in der Mediatisierung zu finden. Einen solchen Versuch machte 2009 das Schweizer Fernsehen (SF) mit „La Bohème im Hochhaus“ im Berner Gäbelbachviertel. Es handelte sich um eine Koproduktion mit dem Stadttheater Bern und dessen Produktion von Puccinis La Bohème, die in einem Hochhaus in Wohnungen und unter Beteiligung der Bewohnerinnen und -bewohner als Live-Fernsehevent neu inszeniert wurde.31 Das Zusammentreffen einer performativen Kunstform par excellence – der Opernaufführung – mit den Möglichkeiten der Mediatisierung produzierte einige Kollisionen,32 die für die Frage einer genaueren Bestimmung des Performativen der Oper von besonderem Interesse sind, wobei sich im Folgenden mein Blick insbesondere auf die Kollision zwischen zwei Gruppen von Zuschauenden richtet: die Zuschauenden, die sich innerhalb des Aufführungsraumes im Gäbelbach-Viertel bewegten, und die Zuschauenden am Fernseh- oder Computerbildschirm.
Zu Beginn des zweiten Aktes, der im Einkaufszentrum des Viertels – einer Shoppingmall nach US-amerikanischem Vorbild – stattfand, spielt die Inszenierung auf ein aktuelles, sehr populäres Phänomen von Aktionen/Performances im öffentlichen Raum an: die sogenannten Flashmobs. Es handelt sich dabei um Live-Performances, die aufgezeichnet und bei YouTube gepostet werden, wodurch sie mitunter große Bekanntheit erreichen. Nach der Definition des Oxford Dictionary eigentlich „a large public gathering at which people perform an unusual or seemingly random act and then disperse, typically organized by means of the Internet or social media“,33 erlangen Flashmobs, insbesondere choreografische Interventionen an öffentlichen Plätzen wie Bahnhöfen und Markthallen, Millionen von Klicks auf YouTube. Nicht wenige Flashmobs haben das Potenzial von klassischer Musik und Oper erkundet. So hat der Traviata-Flashmob in der Markthalle von Valencia aus dem Jahr 2009 inzwischen über 5 Millionen Klicks (Abbildung 35)34 und der Christmas-Food-Court-Flashmob zum „Halleluja“ aus Händels Messias in Niagara Falls im November 2010 sogar mehr als 49 Millionen Klicks (Abbildung 36)35.
Wenn zu Beginn des zweiten Aktes der Berner Bohème das Ensemble auf die Passanten der Shoppingmall des Berner Gäbelbach-Viertels trifft, dann hat dies auf den ersten Blick große Ähnlichkeiten mit dem Aufeinandertreffen von Flashmobbern und Passanten. Das Hauptcharakteristikum eines Flashmobs, nämlich das plötzliche Beginnen und Enden der Aktion, verbunden mit der Überrumpelung der zufällig Anwesenden, ist im Falle der Bohème natürlich nicht vorhanden. Was die Ähnlichkeit – über den ersten Eindruck hinaus – ausmacht, ist ein anderes Charakteristikum, nämlich dass ein Flashmob durch Körperbewegung und Musik sowie unterschiedliche Formen der Partizipation die Wahrnehmung eines öffentlichen Raumes verändert. Flashmobs können einen Raum, der als ein Raum der Isolation oder Trennung identifiziert wird – sei es ein Einkaufszentrum oder ein Bahnhof – in einen Raum der Partizipation überführen, wobei die Form der Partizipation differiert, je nachdem, ob man Teil der choreografierten bzw. inszenierten Menge der Flashmobber ist oder Beobachter. Prozesse der Inklusion und der Exklusion spielen eine entscheidende Rolle in der Dynamik der unterschiedlichen Partizipationen.
Was einen Flashmob mit einer Live-Aufführung in einem Theater verbindet, ist, dass ein Flashmob ein Live-Ereignis ist, das nur durch und aufgrund der gleichzeitigen Anwesenheit von Agierenden und Zuschauenden existiert. Was Flashmobs jedoch so populär gemacht hat, ist ihre Präsenz in den sozialen Medien, insbesondere auf YouTube, sind also die mediatisierten, aufgezeichneten Versionen der Live-Ereignisse, die in dieser Form millionenfach verbreitet sind. Jede dieser mediatisierten Dokumentationen von Flashmobs zeigt nie nur die Flashmobber, sondern immer auch die Überraschung und das Erstaunen der Passanten. Ein immer wiederkehrendes Motiv in den via YouTube verbreiteten Aufzeichnungen sind Beobachtende, die ihre Handykameras in die Höhe halten, um das Ereignis, an dem sie gerade zufällig, plötzlich und überraschend teilnehmen, festzuhalten. Dieses immer wiederkehrende Motiv ist ein Beleg dafür, dass die Betreffenden das Erlebte als so wichtig einstufen, dass es aufgezeichnet werden muss. Für die Verantwortlichen von Flashmobs ist dies naturgemäß immer auch ein Zeichen für den Erfolg ihrer Aktionen – Menschen so gefesselt zu haben, dass sie das Ereignis sowie die Tatsache, dass sie dabei waren, mit der Kamera festhalten wollen. Und so sieht man auch in den ersten Sekunden des zweiten Aktes der Bohème im Einkaufszentrum des Gäbelbach-Viertels zahlreiche Passanten ihre Kameras hochhalten, wie um zu signalisieren: Ich war dabei und will es später beweisen können!
Es bleibt aber der entscheidende Unterschied: Intention und Ziel des gezeigten Ereignisses ist von Beginn an einzig die Aufzeichnung und Mediatisierung. Die Beobachter wissen dies oder bemerken es sofort. Wie Christopher Morris über eine ähnliche Operninszenierung im öffentlichen Raum – die Traviata im Zürcher Hauptbahnhof – richtig bemerkt hat: „The production plays to and for the camera.“36 Und so ist im dritten Akt der Bohème auch ein Bewohner des Gäbelbach-Viertels zu sehen, der dem vorgeblich eigentlichen Geschehen – der Opernhandlung – keinerlei Beachtung schenkt, sondern nur dem recht eigentlichen Geschehen, nämlich der Fernsehübertragung. Er verhält sich so, wie man es häufig bei Passanten erlebt, die bei einer Live-Nachrichtensendung zufällig in den Aufnahmeradius einer Reporterin/eines Reporters geraten und in die TV-Kamera winken. Er winkt in die TV-Kamera und scheint mit seinem Handy jemanden anzurufen, vielleicht um dieser Person mitzuteilen, dass er gerade im Fernsehen zu sehen ist. Aus meiner Sicht ist es diese Kollision verschiedener Ebenen von Partizipation und Medienbewusstsein, die die Produktion so interessant macht: Passanten und Bewohner, die zwischen den Rollen als überraschte Flashmob-Beobachter und medienaffine Teilnehmende wechseln, und ein Produktionsteam, das diese wechselnden Beobachter- und Partizipationsrollen mit-produziert und ins Bild bringt.
Ein allen bisher genannten Variationen der Mediatisierung von Oper gemeinsames Motiv ist das der Wiederholung. Aus einem gewissen Blickwinkel betrachtet, stellen die diskutierten Beispiele alle den Wunsch dar, das eigentlich Unwiederholbare, das Live-Ereignis der Oper in performance auf irgendeine Weise doch wiederholbar zu machen. Wie wir spätestens seit Kierkegaard, Deleuze und Waldenfels wissen, kann es Wiederholung gar nicht geben.37 Und doch gibt es gerade in der Oper ein ungestilltes und unstillbares Verlangen, das Wiederholen als ästhetische Praxis und Strategie zu installieren. Diese Sehnsucht kommt nicht von ungefähr, gehört doch die Wiederholung zu den ureigensten Ingredienzen der Opernkomposition und sogar ihrer Aufführungsdimension.
Die Oper lebt von Wiederholungen, nicht nur im Gesangstraining und in der Probe, sondern auch in der ständigen Wiederaufführung des Bekannten, sehr Bekannten, Vertrauten. Auch wenn durch das Risiko des immer wieder an die Grenzen-Gehen-Müssens beim Gesang jede Aufführung – auch wenn sie in der Probe noch so häufig wiederholt wurde und der Sänger seine Phrasen seit seinem Studium noch so häufig mit dem Lehrer wiederholt hat – eine Grenzerfahrung ist, was sich unmittelbar auf das Publikum überträgt. Wiederholung bestimmt die Spielplanpolitik – also die Praxis, die bekannten Stücke immer und immer wieder aufzuführen – ebenso wie das Publikumsverhalten im Sinne von eingeforderten Wiederholungen einzelner Arien im Aufführungsablauf.
Die Wiederholung wirkt bereits auf der Ebene der Kompositionsstrukturen. In historisch unterschiedlicher Ausprägung avancierte die Wiederholung zu einem zentralen kompositorischen Strukturelement innerhalb einzelner Nummern. Als musikalisches Bauprinzip kann die Wiederholung als Strategie angesehen werden, Hörerinnen und Hörern die Freude des Wiedererkennens und des Entdeckens von Abweichungen erfahrbar zu machen. Gleichzeitig sind diese Wiederholungsstrukturen, die in die Kompositionen eingeschrieben sind – etwa in der bekannten Form der barocken Da-capo-Arie mit einem A-Teil, einem kontrastierenden B-Teil und einem dritten Teil, der den A-Teil wieder aufgreift –, eine Einladung an die Aufführenden, in der Wiederholung Differenzen hervorzutreiben. Auf der Ebene der Komposition sind durch die Wiederholungsstrukturen in der Musik in den Arien bereits Strukturen geschaffen, die auf kleinstem Raum die Differenzen in vorgeblich identischen Wiederholungen erfahrbar, erlebbar machen und zum Experimentieren mit der aus der Wiederholung geborenen Differenz einladen. Variationen, wie sie etwa in einer barocken Da-capo-Arie hervorgebracht werden, scheinen wie aus dem Moment geboren. Tatsächlich kann das Prinzip des Variierens in der Probe wiederholend einstudiert werden, zum Ereignis wird es für die Sängerin/den Sänger und die Zuhörenden aber erst in der unkontrollierbar-unkontrollierten Live-Situation des hic et nunc. Der Sänger/die Sängerin wird dadurch in jeder Aufführung neu auf die Probe gestellt: Er/sie weiß, dass der Fan sich immer wieder denselben Opern aussetzt, um seinen Star in immer wieder denselben Partien zu erleben. Denn das Angebot der Wiederholung wird nicht nur von den produzierenden Protagonisten der Oper begierig angenommen, sondern auch von den wahrnehmenden Protagonisten, den Fans, für die das Anhören der immer gleichen Sängerinnen und Sänger und musikalischen Stellen geradezu zum Bedürfnis wird.
Das Opernhaus wartet mit einer ganz besonderen Spezies Fan auf – einer weitverbreiteten und für den andauernden Erfolg der Gattung Oper sehr wichtigen Spezies: dem Fan, der den Kitzel der Opernaufführung nicht nur einmal erleben will, sondern seine Erfahrung und Wahrnehmung konservieren, seine Erfahrung teilen und die Einmaligkeit in Dauer und in die endlose Wiederholbarkeit der Aufzeichnung überführen will. Dem Fan, der entgegen aller Verbote Aufnahmegeräte mit ins Opernhaus nimmt und seine Stars heimlich aufzeichnet.
Ein filmisches Denkmal hat der Filmregisseur Jean-Jacques Beineix diesem ganz besonderen Fan mit seinem bereits erwähnten Film Diva aus dem Jahr 1981 gesetzt. Die dargestellte Operndiva verweigert sich jeder Plattenaufnahme, sodass ihre Fans auf Piratenaufnahmen angewiesen sind, die ihrerseits Auslöser für die eigentliche Krimihandlung sind. Wie in Kapitel 3.3 beschrieben, sehen wir in einer Szene den Fan im Konzert sitzen, in Erwartung der Arie „Ebben ne andrò lontano“ aus Alfredo Catalanis Oper La Wally, umgeben von den Gangstern und Jägern von Piratenaufnahmen mit schwarzen Sonnenbrillen. Das Besondere an dieser kurzen Szene ist, wie gesagt, die Inszenierung eines zentralen Wahrnehmungsereignisses in der Live-Erfahrung einer Opernaufführung: der Moment der Vor-Erwartung, gerichtet auf die Wiederholung einer vertrauten Arie. Die körperliche Wahrnehmung des Fans wird ins Bild gesetzt, indem er im Close-up die Lippen öffnet. Genau um dieses Festhalten einer gesteigerten Wahrnehmung, den Versuch, die unmögliche Wiederholung der eigenen Erfahrung möglich zu machen, geht es bei der weitverbreiteten Praxis der illegalen Aufzeichnung von Opernaufführungen. Dies lässt sich anhand einer echten Piratenaufnahme, die auf YouTube zu sehen ist, eindrücklich nachvollziehen. Zu sehen ist Natalie Dessay in der Wahnsinnsarie der Donizetti’schen Lucia di Lammermoor in einer Aufführung an der Pariser Opéra Bastille vom 6.10.2006.38 Vorderhand möchte der aufzeichnende Fan mit dem YouTube-Pseudonym „Akynou“ seine Mit-Fans an Dessays atemberaubender Darstellung der Wahnsinnsarie teilhaben lassen. Woran er mich aber ebenfalls teilhaben lässt, ist noch viel aufschlussreicher. Es ist nicht das Bild der körperlichen Wahrnehmung wie in Beineix’ Film (die Lippen des Fans), sondern der Sound der körperlichen Wahrnehmung, in Erwartung der Wiederholung eines bis ins Detail bekannten vokalen Drahtseilaktes. Es ist das hörbare Atmen des Fans, dem meine Aufmerksamkeit gilt. Zu Beginn der Arie atmet er hörbar gleichmäßig alle drei Sekunden. Ab Minute 2:12, wenn die lange Solokadenz der Lucia mit den fragilen und höchst anspruchsvollen Koloraturen beginnt, wird das Atmen immer lauter, gerät gar zum Schnaufen, bis zu dem Moment, wenn die Stimme zur letzten Phrase ansetzt und der Pirat den Schlusston erwartet, das dreigestrichene Es, Prüfstein jeder Lucia-Sängerin. An dieser Stelle (bei 3:01), also vor dem Es, setzt der Atem für ganze zwölf Sekunden, also drei komplette Atemzüge, aus. Hörbar wird der Moment der ins Extrem gesteigerten Vor-Erwartung einer Wiederholung, der Wiederholung eines bereits in der Vergangenheit erlebten Kitzels eines Spitzentons, angefüllt mit Sorge vor und Lust an der Erwartung einer möglichen Differenz.39
Dass das Wiederholen der Erfahrung nicht nur eine körperlich aktive Wahrnehmung hervortreibt, sondern auch aktives Mit-Tun, zeigt sich eindrücklich in einer Reihe von Videoclips, die eine ganz besondere Identifikation der Fans mit den von ihnen bewunderten Stars zeigen. Die Rede ist von einer performativen Technik der Wiederholung, die eher aus anderen Kontexten bekannt ist: dem lippensynchronen Playback, in Kreisen der Opernfankultur auch als „lipsynch-drag-queening“ bezeichnet. Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Beispiele hinweisen, zwei Versionen einer Interpretation Cecilia Bartolis der Arie „Agitata da due venti“ aus Antonio Vivaldis Oper La Griselda, und zwar von Roland Sandhovel und von Chris Jones alias „divoboy“.40 Bezogen auf die oben diskutierte, in mediatisierten Formen von Live-Aufführungen aufscheinende Sehnsucht, die vergangene und verlorene Aufführung zu retten bzw. in der Erinnerung lebendig („live“) zu erhalten, könnte man die Praxis des „lipsynch-drag-queening“ mit Simon Frith als „secondary performance“41 bezeichnen. Dabei ist es vielleicht gerade die im vergeblichen Wiederholen (und der körperlichen Eigenheiten der „lipsyncher“) aufscheinende Differenz, die (mit Deleuze gesprochen) der Wiederholung als etwas Neues entlockt wird. Und es ist womöglich gerade diese Differenz, die die Oper und ihre Protagonisten auf der Seite der Produzierenden wie der Wahrnehmenden immer wieder zum Wiederholen antreibt, die ihr mediales Pendant in der Replay-Taste hat.
1Vgl. etwa Morris: Wagnervideo; ders.: Digital Diva: opera on video.
2Phelan, Peggy: Unmarked. The Politics of Performance, London/New York 1993; Auslander, Philip: Liveness. Performance in a mediatized culture, New York 1999, 2008.
3Das Phänomen des Opernfans wäre eine eigene Untersuchung wert. Vgl. hierzu (allerdings vor dem Aufkommen des Internets) etwa Koestenbaum: The Queen’s Throat; oder auch die soziologische Studie von Benzecry, Claudio E.: The Opera Fanatic. Ethnography of an Obsession. University of Chicago Press 2011.
4Auslander: Liveness, S. 38.
5http://www.youtube.com/watch?v=DeJzZ0lUnIo (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
6Der Kommentar bezog sich auf denselben Clip, allerdings hochgeladen von einem anderen Nutzer, dessen YouTube-Konto inzwischen gelöscht wurde, somit ist auch der Kommentar nicht mehr im Netz auffindbar. http://www.youtube.com/all_comments?v=fFOEISUIXeM (zuletzt aufgerufen am 3.6.2011).
7Couldry, Nick: Liveness, Reality, and the Mediated Habitus from Television to the Mobile Phone, in: The Communication Review 7 (2004), H. 4, S. 353–361.
8http://www.youtube.com/all_comments?v=DeJzZ0lUnIo (zuletzt aufgerufen am 2.10.2013). Der Link ist noch aktiv, der hier abgebildete Kommentar inzwischen aber nicht mehr vorhanden.
9Vgl. Grotjahn, Rebecca/Schmidt, Dörte/Seedorf, Thomas (Hrsg.): Diva – Die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts (= Forum Musikwissenschaft 7), Schliengen 2011.
10Vgl. etwa Hügel, Hans-Otto (Hrsg.): Handbuch Populäre Kultur, Stuttgart/Weimar 2003.
11Bronfen, Elisabeth/Straumann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München 2002, S. 51.
12Siehe etwa http://magazin.klassik.com/magazines/classix/anna_titel.jpg (zuletzt aufgerufen am 17.4.2017). Zum Bild der Callas aus dem Jahr 1954 siehe Brix, Michael (Hrsg.): Maria Callas. Aufführungen/Performances, München 1994, S. 68.
13Schneider, Susanne: Hallo Gott, hier singt Anna, in: Süddeutsche Zeitung Magazin, 16.1.2004; siehe auch: www.scribd.com/doc/264480792/Moment-26-2004 (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
14http://www.annanetrebko.com/img/uploadedimages/portraits_015.jpg (zuletzt aufgerufen am 31.8.2013, seit Oktober 2013 nicht mehr verfügbar).
15http://www.annanetrebko.com/img/uploadedimages/portraits_026.jpg (zuletzt aufgerufen am 31.8.2013, seit Oktober 2013 nicht mehr verfügbar).
16Siehe zum Beispiel http://www.sueddeutsche.de/kultur/370/405148/text/ oder http://www.deutschegrammophon.com/showimg.htms?ID=a90184c4c935d0db2d93346cbe40e396 (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
17http://www.annanetrebko.com/img/uploadedimages/portraits_024.jpg (zuletzt aufgerufen am 31.8.2013, seit Oktober 2013 nicht mehr verfügbar).
18http://www.annanetrebko.com/img/uploadedimages/productions_046.jpg (zuletzt aufgerufen am 31.8.2013, seit Oktober 2013 nicht mehr verfügbar).
19In dieser Reihe fehlt eigentlich nur noch ein Bild, auf dem sie, wie die Legende es will, im Mariinsky-Theater die Böden schrubbt und dabei von Valery Gergiev entdeckt wird.
20http://d1.stern.de/bilder/unterhaltung/2004/kw03/netrebko400_fitwidth_489.jpg oder http://d1.stern.de/bilder/unterhaltung/2004/kw32/netrebkoneu_fitwidth_489.jpg (zuletzt aufgerufen am 2.10.2013, inzwischen nicht mehr verfügbar).
21http://www.annanetrebko.com/img/uploadedimages/personal_003.jpg (zuletzt aufgerufen am 31.8.2013, seit Oktober 2013 nicht mehr verfügbar).
22Zu nennen wären hier etwa die Formate „Popstars“, „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Big Brother“ mit dem Slogan „Leb so, wie du dich fühlst“.
23Dolak, Gregor: Anna Netrebko. Opernstar der neuen Generation, München 2005; Reissinger, Marianne: Anna Netrebko. Ein Porträt, Reinbek bei Hamburg 2005.
24Vgl. dazu auch Bronfen/Straumann: Die Diva, S. 58 und 61 über Marilyn Monroe als „bleicher, künstlich erzeugter, schutzbedürftiger süßer Engel weiblicher Sexualität“, sowie S. 202 über Madonna, die die Monroe zitiert und zwar das „lustvoll demonstrierte Spiel mit der Macht weiblicher Sexualität, das für Marilyn Monroe ebenso kennzeichnend war wie ihre geisterhaft schimmernde Fragilität“.
25Vgl. Anna Netrebko. The Woman – The Voice, DVD, directed by Vincent Paterson, produced by Bernhard Fleischer, Wiener Philharmoniker, Gianandrea Noseda, Deutsche Grammophon 2004, Track 2. Ein Ausschnitt aus diesem Clip findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=hCQrOiINhGc (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
26Vgl. Sommer, Carlo Michael: Stars als Mittel der Identitätskonstruktion. Überlegungen zum Phänomen des Star-Kults aus sozialpsychologischer Sicht, in: Faulstich, Werner/Korte, Helmut (Hrsg.): Der Star. Geschichte, Rezeption, Bedeutung, München 1997, S. 114–124, hier S. 118; Thiele, Jens: Künstlerisch-mediale Zeichen der Starinszenierung, in: Faulstich/Korte (Hrsg.): Der Star, S. 136–145, hier S. 137.
27Die Schlange als Index eines Star-Phänomens ist wohl selten so deutlich geworden wie bei dem Berliner Gastspiel des Museum of Modern Art (MoMa) 2004 in Berlin, bei dem wochenlang nur über die Länge der Schlange in den Medien berichtet und neue Wartezeiten-Rekorde vermeldet wurden. Nicht das MoMa war der Star, wie die Plakate verhießen, nein: der Star war die Schlange.
28Hügel, Hans-Otto: Virtuose, in: ders. (Hrsg.): Handbuch Populäre Kultur, S. 491.
29Zit. nach: Bronfen/Straumann: Die Diva, S. 203.
30Im Sinne der von Elisabeth Bronfen an das Ende ihres Buches gestellten Stars Cindy Sherman und Madonna können Netrebkos Posen auch als ein Spiel mit Zitaten gelesen werden.
31Vgl. etwa http://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/kultur/oper-la-boheme-im-hochhaus-weniger-populaer-als-la-traviata (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
32Auf den Aspekt der Kollision in dieser Produktion haben Alessandra Campana und Christopher Morris im Exposé zur Konferenz „Opera and the Space of Performance“ (Tufts University 2011) hingewiesen: „Conventions [of costumes and gestures] collide with a video production style indebted to the aesthetics of reality TV.“
33http://oxforddictionaries.com/definition/english/flash-mob (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
34https://www.youtube.com/watch?v=Ds8ryWd5aFw (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
35https://www.youtube.com/watch?v=SXh7JR9oKVE (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
36Morris: Digital Diva: opera on video, S. 111: „[...] it also relocates liveness, in that the production plays to and for the camera, while the audience in the train station are given only partial glimpses.“
37Kierkegaard, Sören: Die Wiederholung (1843), Hamburg 1991, z. B. S. 7; Deleuze, Gilles: Differenz und Wiederholung (1968), aus dem Franz. von Joseph Vogl, München 2007, S. 99–118; Waldenfels: Sinnensschwellen, S. 79–83.
38http://www.youtube.com/watch?v=tGRfVynf0GM (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
39Mit Michel Poizat könnte man diese Lust an der Wiederholung, an der wiederholten Erfahrung einer gleichen Stelle und/oder Sängerin auch dem nie zu stillenden Verlangen zuschreiben, noch einmal den ersten Schrei zu tun, den man nach der Geburt getan hat, bzw. diesen überraschenden, schockhaften, lusterfüllten Moment noch einmal zu erleben. Poizat, Michel: Das Wagnis der Musik oder „Wozu Singen?“, in: Kittler, Friedrich/Macho, Thomas/Weigel, Sigrid (Hrsg.): Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Medien- und Kulturgeschichte der Stimme, Berlin 2002, S. 9–16.
40https://www.youtube.com/watch?v=8ylrUbbY6zM und http://www.youtube.com/watch?v=3LB1ZAesEAk (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017). Vorlage ist die Aufzeichnung der Arie „Agitata da due venti“ aus Antonio Vivaldis Oper La Griselda, gesungen von Cecilia Bartoli in einem Live-Konzert in Paris (http://www.youtube.com/watch?v=rppj4LyucSw, zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).
41Frith, Simon: Live Music Matters, in: Scottish Music Review 1 (2007), H. 1: Indeterminacy and Technology, S. 1–17, http://www.scottishmusicreview.org/index.php/SMR/article/viewFile/9/8 (zuletzt aufgerufen am 30.4.2017).