Bericht
Neue Horizonte überwinden die Sprachlosigkeit
Welt/Bühne-Festival am Residenztheater München mit internationalen Werkstattinszenierungen von Pooyan Bagherzadeh und Oleksandr Seredin
von Elisabeth Maier
Assoziationen: Bayern Dossier: Neue Dramatik Amir Reza Koohestani Residenztheater
Die Liebe zwischen Mutter und Sohn ist zärtlich und groß. Im Iran ist die Familie den strengen Regeln der muslimisch geprägten Gesellschaft unterworfen. Und doch lässt der Autor Poojan Bagherzadeh in seinem Stück „Sohn einer Mutter. Mutter eines Sohns“ die Träume der Generationen fliegen. Weil der junge Homosexuelle unter den Repressionen der Gesellschaft leidet, entscheidet er sich dafür, ein Forschungsstipendium in Deutschland anzunehmen. Seine Mutter bleibt allein zurück. Die Risse, die diese Trennung in die Herzen gräbt, zeichnen die Schauspieler Pujan Sadri und Evelyne Gugolz stark. Beim Welt/Bühne-Festival des Residenztheaters in München war die Werkstattinszenierung des iranischen Autors und Regisseurs im Marstall-Theater zu sehen.
Acht Tage lang treffen sich internationale Gegenwartsdramatiker:innen in München. „Unser Ziel ist es, Künstler:innen aus aller Welt nicht nur zu zeigen, sondern auch in Kontakt zu bringen“, sagt Almut Wagner, die Chefdramaturgin des Residenztheaters. Sie kuratiert das Festival, das die Vielfalt der Inhalte und Theaterformen zeigt. Seit 2015 ist die Welt/Bühne im Residenztheater verankert. In mehrmonatigen Residenzen entwickeln internationale Autor:innen neue Texte. „Der Kreis der Künstler:innen wächst“, sagt Wagner. Dass sich die neue Generation über Landesgrenzen hinweg bei den Festivals trifft und ins Gespräch kommt, zeigt, dass das Konzept erfolgreich ist. „Was in Ländern wir dem Iran, Indien oder der Ukraine wichtig ist, das erfahren wir hier meist nur am Rande“, sagt die Dramaturgin. Das Welt/Bühne-Festival bietet deshalb für sie die Chance, „den eigenen Horizont zu weiten“ und aus erster Hand zu erleben. Neue Hausautor:innen sind der queere Autor Hong-Do Lee aus Südkorea und die chilenische Theaterkünstlerin Carla Zúñiga Morales.
Die Künstler:innen arbeiten mehrere Monate lang am „Resi“, werden dabei von der Dramaturgie betreut. Dass diese Kooperation Früchte trägt, zeigen die zwei Werkstatt-Inszenierungen. Poojan Bagherzadeh und Oleksandr Seredin aus der Ukraine haben ihre Stücke selbst auf die Bühne gebracht. Mit den Uraufführungen wurde das Festival eröffnet, das am 14. Juni mit einem Gastspiel des iranischen Theaterregisseurs Amir Reza Koohestani endet, der mit seiner Mehr Theatre Group in Paris arbeitet. Wie bedeutend internationale Netzwerke wie die Welt/Bühne in München sind, zeigt der Werdegang von Bagherzadeh und Seredin. Als Homosexueller sieht sich der junge Iraner in seinem Heimatland Repressionen ausgesetzt, kann dort nicht arbeiten. Der Krieg in der Ukraine macht auch für Oleksandr Seredin im kriegsgebeutelten Charkiv unmöglich.
Ganz nah holt Bagherzadeh die Lebensgeschichten der iranischen Mutter und ihres Sohnes in seiner eineinhalbstündigen Regiearbeit an das Publikum heran. Dabei setzt der Regisseur und Autor, der auch Filme macht, zwar auf die Vielfalt der Videotechnik. Vor allem aber legt der Künstler die Zerrissenheit der beiden Hauptfiguren offen. Aydin Alinead hat die klaren, griffigen Dialoge aus dem Persischen übersetzt. In seinen starken Porträts hat der Autor stets den politischen Hintergrund im Blick. „Wissen Sie, was Sanktionen bedeuten?“, fragt die Mutter. Den Satz unterfüttert der Autor mit dokumentarischem Material, das über Google Translate aus dem Off verlautet: „Die Sanktionen gegen den Iran sind eine Reihe von Maßnahmen, die von der internationalen Gemeinschaft ergriffen werden, um den Iran für sein Verhalten zu bestrafen und den Iran zur Änderung seines Verhaltens zu zwingen.“ Manchmal etwas zu konstruiert verknüpft Bagherzadeh die persönliche und die politische Ebene. Seinem starken Schauspielertheater tut das keinen Abbruch.
Mit der politischen Wirklichkeit setzt sich auch Oleksandr Seredin auseinander, der 2022 über einen mehrmonatigen Schreibaufenthalt nach München kam. „Ich will vom Krieg und von den Menschen in der Ukraine erzählen“, sagte der Künstler damals. Inzwischen lebt und arbeitet er in Deutschland. Sein Stück „Ich bin Lena“ setzt sich spielerisch und mit schwarzem Humor mit dem Leben der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland auseinander. Die Premiere war im Mai am Lichthof-Theater in Hamburg. Beim Welt/Bühne-Festival war Seredins neues Stück „Lysistrata macht Urlaub“ zu sehen. Ilja Mirsky, Digitaldramaturg am Residenztheater, hat den Text aus dem Ukrainischen übersetzt. Dabei jongliert der kluge Sprachspieler Seredin mit Motiven aus Aristophanes‘ antiker Komödie „Lysistrata“. Seine starke Frauenfigur kämpft mit Bikini und Badetuch gegen den Krieg. In das leichte Lebensgefühl mischt sich schnell die dunkle Stimme der Krieger. Vasilissa Reznikoff spielt die Tochter, die den Kriegsfantasien ihres Vaters Leichtigkeit und Liebe entgegensetzt. Dem tritt ihr Vater entgegen, den Max Meyer als gewaltbereiten Pragmatiker zeigt. „Du bist Soldat. Soldaten vergessen alle Sprachen. Außer die des Blutvergießens.“ Bühnenbildnerin Sarah Schmid hat einen kahlen Baum auf der blutroten, schräg abfallenden Spielfläche gesetzt. Den starken Appell gegen die Sprachlosigkeit der Diplomatie verortet der Regisseur in einem verwüsteten Land.
Erschienen am 14.6.2024