Mascha Erbelding: Ich möchte mit dem Spannungsfeld zwischen Theaterpädagogik als Kunst und Theaterkunst als Pädagogik beginnen, das Anke Meyer damals benannte. Aus dem Artikel geht hervor, dass es früher noch viele Häuser gab, die eher die „Kunst“ in den Vordergrund stellten und bei „Pädagogik“ zurückschreckten. Wie würdest du die Entwicklung seitdem sehen?
Andrea Gronemeyer: Da muss ich kurz auf die Geschichte des Kindertheaters eingehen. Diese Emanzipation des Kindertheaters vom Weihnachtsmärchen und Schulspiel hin zur Kunstform war zunächst ein Reflex auf die kategorische Verbindung von Kindertheater und Pädagogik. Man kritisierte entschlossen überkommene Konzepte des bisher rein unterhaltsamen oder didaktischen Kindertheaters. Seit den 1980ern definierte man den eigenen Auftrag damit, Kunst für Kinder zu schaffen. Das heißt, man distanzierte sich von Belustigungs- oder Erziehungsaufträgen und traute Kindern auch inhaltliche Komplexität und ästhetische Wahrnehmungskompetenzen zu. Denn was meint man, wenn man Kunst von Pädagogik, Didaktik oder Erziehung abgrenzt? Kunst begegnet seinen Rezipienten auf Augenhöhe und mutet diesen Ambivalenzen und Uneindeutigkeit zu. Sie belehrt nicht, sondern ermuntert dazu, sich ein eigenes Bild zu machen. So nimmt sie auch Kinder nicht als defizitäre, sondern als ganze Menschen wahr, nicht als becoming beings, sondern als human beings. Und das heißt: als ernstzunehmende Personen, die...