Theater der Zeit

Auftritt

Schauspielhaus Wien: Noch mehr Tote, noch mehr Geister

„Die realen Geister“ von Guido Wertheimer– Regie Stephan Kimmig, Bühne und Kostüme Sigi Colpe, Mitarbeit Kostüme Wiebke Wenker, Musik Scharmien Zandi, Video Maximilian Wigger

von Sara Schausberger

Assoziationen: Österreich Theaterkritiken Dossier: Neue Dramatik Guido Wertheimer Schauspielhaus Wien

Ines Becher und Florentine Krafft in „Die realen Geister“ von Guido Wertheimer in der Regie von Stephan Kimmig am Schauspielhaus Wien. Foto Inés Bacher
Ines Becher und Florentine Krafft in „Die realen Geister“ von Guido Wertheimer in der Regie von Stephan Kimmig am Schauspielhaus WienFoto: Inés Bacher

Anzeige

Anzeige

Blut vermischt sich mit Wasser, als Jason den ausgenommenen Fisch darin wäscht. Dann legt sie — Jason wird unter Stephan Kimmigs Regie zu einer Frau — ihn auf den Grill. Der Duft von gegrilltem, leicht angebranntem Fisch breitet sich im Theatersaal aus. So körperlich, so unmittelbar gerät der Rest der Inszenierung von „Die realen Geister“ dann leider kaum noch. Dabei hätte das diesem poetischen, in Zwischenwelten angesiedelten Text durchaus gut gestanden.

In Guido Wertheimers Stück, für das er mit dem Hans-Gratzer-Preis 2024 ausgezeichnet wurde, reist Jason (Iris Becher) von Südamerika nach Wien auf den Spuren ihrer jüdischen Vorfahren. Begleitet wird sie dabei von Hera (Florentine Krafft), die prompt den Feueralarm am Flughafen auslöst, als sie sich eine Zigarette anzündet. Die Zeiten sind auch nicht mehr dieselben: „Ich hasse dieses Jahrhundert“, stöhnt die genervte und müde Göttin im Fliegerinnen-Outfit mitunter auf. Außerdem mit von der Partie: der Fischer (Kaspar Locher). Auch er ist Jahrtausende alt und des Fische Fangens müde. Er weiß: Alles wiederholt sich und so läuft die Suche nach den Geistern der Vergangenheit auf eine weitere Katastrophe zu, den 7. Oktober 2023, den Terrorangriff der Hamas: „Nur noch drei Monate bis wieder alles explodiert.“

Aber noch liegt dieser Tag in der Zukunft und Jason ist kein Prophet, daher ruft Hera ihr zu: „Stop, du musst nicht alles erzählen. Respekt für die Zukunft, bitte!“ Bis sich alles zu wiederholen droht, verliebt sich Jason schon an ihrem ersten Tag in Wien in Liebeskind (Maximilian Thienen), der als Teil einer Hackerbande versucht alte Nazi-Vermögen aufzuspüren und umzuverteilen. Auch Liebeskind (eine Anspielung auf Architekt Daniel Libeskind, der das Jüdische Museum Berlin geplant hat?) hat die Eigenschaften eines Geists: Immer wieder taucht er für ein paar Tage ab und reagiert nicht auf Nachrichten, ghostet Jason also quasi. Doch nicht für immer: Die beiden reisen zusammen in den Schwarzwald und nach Tel Aviv. Ihr Glück endet prompt in der Wüste Negev, durch die sie eng aneinander geschmiegt in Videoprojektionen mit dem Motorrad fahren. Dabei bleibt eine Frage offen: Warum macht Regisseur Kimmig aus der schwulen Liebesgeschichte eine so eindeutig heterosexuelle?

„Wenn ich über Geister spreche, sind das auch die Toten aus meiner Familie“, sagt Wertheimer, der 1996 in Buenos Aires als Nachfahr jüdischer Großeltern geboren wurde, über sein autobiografisch angehauchtes Stück. Auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs steht ein Grabstein, darauf die Namen von Menschen, die seinen Nachnamen tragen. Verwandte? Das Foto dieses Grabsteins wird im Stück an die Bühnenwand projiziert. Die weiße Wand erinnert in ihren durchbrochenen Strukturen an die Salzwüste, von der Jason immer wieder spricht. Sie lässt aber auch an ein Puzzle denken, dessen Teile in Stapeln auf dem Boden liegen (Bühne und Kostüm Sigi Colpe).

Auf dem Zentralfriedhof springen immer wieder Rehe zwischen den Gräbern umher, auf der Bühne steht Kaspar Locher als Hirsch mit einem Geweih auf dem Kopf, röhrt: „Brrrüüüüüüüüüüüaaa“ und nimmt dem fast romantischen Moment damit die Romantik. Ein bisschen mehr Mut zur Emotion und zum Kitsch hätte dem Abend durchaus gut getan. Denn alles das findet sich auch in „Die realen Geister“ und das ist gut so.

Wertheimers rätselhafter, melancholischer Text benennt die Ereignisse, von denen er erzählt, nie direkt. Dennoch ist vollkommen klar, dass mit den realen Geister, die vielen Ermordeten der Judenverfolgung gemeint sind. Die Bezüge zur griechischen Mythologie geben dem Drama dabei eine zeitlose Dimension. Kimmig traut dem Fragmentarischen jedoch nicht und bebildert die Erzählung mit Projektionen von Elon Musk, Donald Trump und Neo-Nazis.

Zum Schluss, als „wieder alles explodiert“ und Liebeskind ins Meer gegangen ist, tanzen Hera und der Fischer zu „El condor Paso“. „Die Zukunft sieht der Vergangenheit ähnlich“, hat Jason zu Beginn gesagt – eine düstere Prophezeiung. Noch mehr Tote, noch mehr Geister. „Die Lebenden machen Kriegspläne, die Toten tun es nicht“, erinnert der Fischer. Dann wird es endlich dunkel.

Erschienen am 4.2.2025

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Die „bunte Esse“, ein Wahrzeichen von Chemnitz
Alex Tatarsky in „The Future Is For/ Boating“ von Pat Oleszkos, kuratiert von ACOMPI für die Galerie David Peter Francis, Juni 2024, vor dem Lady Liberty Deli im St. George Terminal, Staten Island, New York