Stück
Ein Theaterstück mit 4 Schauspielern ein paar Schweinen ein paar Kühen ein paar Pferden einem Ministerpräsidenten einer Milka-Kuh und ein paar einheimischen und internationalen Inspektoren
von Jeton Neziraj
Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)
Assoziationen: Dramatik Schlachthaus Theater Bern
Deutsch von Zuzana Finger
Von einem kosovarischen Zyniker
Anmerkungen:
Es wird empfohlen, außer den Dialogen und anderen Teilen der Handlung auch Regieanweisungen von den Schauspielern sprechen zu lassen. (Die Regieanweisungen, die sich ausschließlich an den Regisseur und die Schauspieler richten, stehen in Klammern.)
Das Drama ist für vier Schauspieler, 3 Männer und eine Frau, geschrieben. Veränderungen des Geschlechts der Personen sind möglich und zulässig. In der ersten Aufführung dieses Stücks spielte auf der Bühne außer den vier Schauspielern auch ein Mini-Orchester mit zwei Musikern.
Menschen:
Fleischer
Aktivistin
Inspektor
EU-Inspektor
Kriminaltechniker
Kunde
Ministerpräsident
Serbischer Gegner
Tiere:
Pferd
Milka-Kuh
Einheimische Kuh
Maus
Schwein
Schaf
Andere Tiere
1.
[Im Tony-Blair-Schlachthof. Man hört das Muhen der Kühe, das Wiehern der Pferde und das Gackern der Hühner. Die Schauspieler singen oder rezitieren im Chor.]
Europa in tiefer Krise
Auch die Krise ist in der Krise
Aus Krisen kommen wir, in Krisen gehen wir Krisen sind der Normalzustand von Europa Fick dich, wir haben nie besser gelebt als heute Exit, Brexit, Grexit, und der ganze Quatsch Einige gehen raus wie aus einem öffentlichen Haus Andere wollen rein, aber die Öffnung ist klein Man sagt, das Schicksal kann man nicht ändern Fick dich, noch nie war es komplizierter Kapitalismus, Sozialismus, Anarchie, Kommunismus Monarchie, Putinismus und Erdoganismus Sind in der Krise und nur eine große Krise holt sie aus der Krise raus Man sagt, dass Europa früher eine alte Hexe war Fick dich, wir wissen nicht, wie diese Geschichte enden soll
SCHAUSPIELER 1: Als ich die Rolle in diesem Stück angenommen habe, bin ich in einen Schlachthof gegangen und habe dort acht Monate gearbeitet. Mehr oder weniger wie Nicolas Cage, der sich im betrunkenen Zustand gefilmt hat, um sich auf seine Rolle im Film „Leaving Las Vegas“ vorzubereiten und das vor der Kamera spielen zu können. Acht Monate habe ich unter den Tieren gelebt und ich habe 56 Kühe, 43 Pferde und 186 Schweine geschlachtet. Ich habe es mit 893 Kunden zu tun gehabt, von denen die meisten daneben waren. Im Stück werden Sie sehen, dass ich die Rolle des Schlachters und des Fleischverkäufers spiele, der im Tony-Blair-Schlachthof arbeitet. Aber ich spiele auch andere Rollen, das Schwein, das Pferd und so weiter.
SCHAUSPIELER 3: Da das Pferd genannt worden ist, erzähle ich Ihnen, dass mir mein Vater immer sagte, als ich noch klein war: mach im Leben, was du willst, aber mach dich nie zum Pferd.
SCHAUSPIELERIN 2: Ich spiele die Rolle einer Frau, die von Beruf Frau ist. Meine Person ist eine kluge, virtuose und sensible Frau, die in ihrer poetischen Welt lebt und Aktivistin für die Rechte der Tiere ist usw., usw., die aber zufällig in einem Schlachthof arbeitet, wo sie ihrem Mann aushilft.
SCHAUSPIELER 3: Als dieses Stück geschrieben wurde, gab es darin keine Frauenrolle. Der Autor, dessen Namen ich nicht nennen möchte, begründete es damit, dass in einem Stück wie diesem, in dem es um so wichtige politische Fragen geht, das Vorhandensein einer weiblichen Person völlig unnötig ist. Daraus sind aber Schwierigkeiten entstanden, als das Stück zur Förderung bei europäischen Geldgebern eingereicht wurde.
SCHAUSPIELERIN 2: Diese seien schockiert gewesen: Wo bleibt die Gleichberechtigung, sollen sie gefragt haben. Gibt es in eurem Land etwa keine Frauen? Seid ihr wirklich so primitiv?! Wie lange wollt ihr noch eure armen Frauen unterdrücken? Sie haben für die Förderung zur Bedingung gemacht, dass in das Stück eine Frau eingefügt wird.
SCHAUSPIELER 3: Eine Frau oder zumindest eine LGBT-Person, sollen sie gefordert haben.
SCHAUSPIELER 1: LGBTI – Es wurde am Ende noch ein „I“ angefügt. Ich weiß aber nicht warum. Ich glaube, dass es für „International“ steht.
SCHAUSPIELER 4: Das neueste ist: LGBTQ2! Es können allerdings auch andere Endungen angefügt werden!
SCHAUSPIELERIN 2: Der Autor gab das Projekt auf und verschwand mit seinem Stück in der Anonymität, unzufrieden darüber, was er „die demokratische Zensur eines Kunstwerkes“ nannte. Das Stück ist aber sowieso schlecht. Was ich damit nur sagen will, ist, dass infolge dieser unschönen Geschichte meine Person unvollständig ist. Ich bin keine Person mit einem so starken Charakter wie zum Beispiel die Nora von Ibsen. Ich wurde in das Stück nachträglich eingefügt, als Lückenbüßer. Ich singe, schneide Fleisch, verkaufe Fleisch, mache Sex, wasche ab, tanze und mache all das, was die Schauspielerinnen in einem kosovarischen Stück üblicherweise tun.
SCHAUSPIELER 4: Das Stück, das Sie gleich sehen werden, hat niemand geschrieben. Es hat sich selbst geschrieben. Aus dem ersten Wort ergab sich das zweite und so weiter und so weiter bis zum letzten Wort.
SCHAUSPIELER 3: Ich spiele die Rolle eines einheimischen Inspektors, der die Kosovarische Agentur für die Kontrolle der Lebensmittelprodukte – KAKLP – leitet. Die Person, die ich spiele, leitet zugleich auch das Büro des Ministerpräsidenten für Reformen der Fleischindustrie – BMRFI – sowie 14 weitere Abteilungen, Agenturen und Bereiche. Mir wurde sogar die Rolle des Ministerpräsidenten angeboten. Als ich es dem Ministerpräsidenten erzählte, lachte er zuerst, dann verfinsterte sich sein Gesicht, er heulte wie ein Schlosshund, packte mich an der Gurgel und sagte: „Verewige mich in dem Stück, verewige mich, wie es sich gehört, sonst geht es dir schlecht, du ignorantes Schwein, das sich einen Schauspieler nennt.“ Ja, so hat es mir der Ministerpräsident gesagt. Sei es drum, aber als ich aufgewacht bin, war das ganze Bett schweißnass. Puh! Fick dich, was für ein Alptraum.
SCHAUSPIELER 4: Scheiße, was glotzt ihr so? Wartet ihr darauf, dass ich so auspacke wie meine Kollegen? Könnt ihr vergessen. Ihr stinkfaulen Zuschauer, ihr erwartet, dass euch alles gleich am Anfang der Aufführung erklärt wird, damit ihr für den Rest schlafen oder mit euren Handys spielen könnt. So nicht. Macht nur schön die Augen und die Ohren auf, sonst werdet ihr nichts kapieren, weil es, – falls ihr das nicht wisst – ein postdramatisches Stück ist. Das heißt: Selbst wenn ihr super intelligent seid, werdet ihr das Stück höchstens zu 25% kapieren. Wie viele unter euch hier sind wohl super intelligent? Unter Garantie kein einziger!
SCHAUSPIELER 1: Lasst uns beginnen, wir haben schon genug erklärt. Wir sind im Jahr 2016.
SCHAUSPIELERIN 2: Der Krieg in Syrien dauert fort. Auch nach fünf Jahren weiß niemand, wer da gegen wen kämpft.
SCHAUSPIELER 3: Russland hält die Krim weiterhin besetzt.
SCHAUSPIELER 4: In den USA wird Donald Trump Präsident!
SCHAUSPIELER 1: Großbritannien ist soeben aus der EU ausgetreten.
SCHAUSPIELERIN 2: Alle haben den berühmten Berlusconi längst vergessen …
SCHAUSPIELER 3: Ja, in dieser Zeit der interessanten und globalen Krisen und des Brodelns spielt unsere Handlung, die wir euch gleich zeigen werden …
SCHAUSPIELER 4: Also noch einmal: Von den eigenen Hörnern verletzt, brüllt Großbritannien wie ein verwundeter Stier. Die Queen weint kummervoll im Mondeslicht. Euro, nass wie ein … wie ein Fisch … Mist, wie geht der Text weiter, Kollegen?
SCHAUSPIELER 3: Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass im Kosovo ein Mann und eine Frau von ihrer Hände Arbeit glücklich leben. Die Handlung dieses Stücks beginnt und endet im Tony-Blair-Schlachthof in Prishtina.
SCHAUSPIELER 1: Ich bin Fleischer!
SCHAUSPIELERIN 2: Ich bin Aktivistin!
[Der Fleischer und die Aktivistin säubern den Fußboden des Schlachthofes vom Blut.]
FLEISCHER: Gut läuft es!
AKTIVISTIN: Nicht nur gut, sondern sehr gut. Ich kann es nicht glauben, dass unser Traum wahr geworden ist.
FLEISCHER: Mhm. Den Leuten schmeckt das Fleisch.
AKTIVISTIN: Mhm. Es schmeckt ihnen.
[Kurzes Schweigen.]
AKTIVISTIN: Wenn wir den zweiten Schlachthof eröffnen, werden wir noch mehr Arbeit haben.
FLEISCHER: Noch mehr Geld.
AKTIVISTIN: Mhm. FLEISCHER: Mhm.
Der Zigarettenrauch bildet eine dünne Wolke. Der Inspektor kommt herein und trägt ein Bündel Blätter in der Hand.
FLEISCHER: Wir haben schon geschlossen, mein Herr!
AKTIVISTIN: Wir sind schon am Gehen.
Der Inspektor sagt nichts und sieht sich um. Dann legt er die Blätter vor sie hin und beginnt zu sprechen.
INSPEKTOR: Nach dem Austritt von Großbritannien aus der EU richten sich die europäischen Hoffnungen auf Kosovo. Die EU will den leeren Platz füllen, um ein gewisses geostrategisches Gleichgewicht herzustellen. Kurzum: Es ist eilig. Alles Schlechte ist zu etwas gut, sagt man, nicht wahr? Großbritannien ist ausgetreten, aber Kosovo kommt. Wenn alles nach Plan läuft, was ja selbstverständlich ist, wird die Republik Kosovo in ein paar Wochen, spätestens in ein paar Monaten der EU beitreten, verlautet es aus gut informierten Quellen. Wir müssen die Gelegenheit nutzen, die uns nur einmal in der Geschichte geboten wird.
AKTIVISTIN: Oh, das ist ja eine Nachricht von historischer Bedeutung. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass alles gut läuft, aber es wird noch besser laufen, wenn Kosovo der EU beitritt. Stell dir vor, Mann, dass wir mit unserem Fleisch auf den europäischen Markt gehen.
FLEISCHER: Ich freue mich, dass wir Europa etwas Gutes zurückgeben, denn wir sind schon irgendwie müde von dem ständigen „Wir helfen euch, wir helfen euch …“ Und jetzt sagen wir ihnen: Wir helfen euch. Mein Traum ist ein Schlachthof in Berlin. Einmal habe ich einen deutschen NATO-Soldaten getroffen. Als ich sagte, was ich mache, küsste er mich auf beide Wangen und sagte: Deutschland liebt Fleischer.
INSPEKTOR: Es gibt nur eine Herausforderung: Serbien. Nach unseren Informationen ist auch Serbien Beitrittskandidat. Deshalb müssen wir die Standards, die von der EU gefordert werden, schneller und besser erfüllen, sonst nimmt Serbien unseren Platz in Europa ein. Die Bastarde haben in zehn Tagen 95 von den 8.453 Punkten gesammelt, die von der EU gefordert werden. Der serbische Geheimdienst hat mit Obstruktionen begonnen und will uns auf unserem Weg in die EU behindern.
FLEISCHER: Und wir, wie viele Punkte haben wir schon?
INSPEKTOR: Minus 30 Punkte. Wir sind also noch unter null.
AKTIVISTIN: Oh, das ist ja niederschmetternd.
INSPEKTOR: Wir haben in der letzten Zeit ein paar interne Probleme gehabt, aber jetzt sind wir wieder fit. Vorgestern hatten wir noch zehn Punkte. Aber gestern hat der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes, dieses Arschloch, seine Frau geschlagen, und die EU hat uns 40 Punkte abgezogen. Wir sind aber keinesfalls entmutigt. Ganz im Gegenteil, das Schlagen hat uns noch mehr motiviert. Wir müssen die Augen offenhalten, organisiert sein und ordentlich arbeiten. Wenn wir aber diese Chance verpassen, ist es aus und vorbei mit uns und wir kommen wieder in den Einflussbereich der Türkei. Oder – Gott bewahre – wir geraten unter den Einfluss Russlands, die legen hier ein paar Gasrohre und das war‘s mit uns. In den kommenden Wochen und Monaten wird nicht mehr geschlafen. Nur gearbeitet. Wie die Deutschen sagen: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Die Bedeutung dieser schönen Wendung lautet: Jeder soll seine Arbeit so gut wie nur möglich machen. Ihr werdet weiter Tiere schlachten und Fleisch verkaufen, aber mit einigen, ich würde sagen, kosmetischen Veränderungen. Das Fleisch, das ihr verkauft, muss ab sofort einige Standards erfüllen. Hier habt ihr das EU-Handbuch: „Kosovo und 3000 einfache Vorschriften für den Weg nach Europa.“ Wenn ihr die Vorschriften nicht erfüllt, wird euer Schlachthof geschlossen. Wir müssen der EU mit Qualitätsfleisch beitreten. Schließlich ist es nur zu eurem Wohl – ihr werdet das Fleisch überall in Europa verkaufen können.
AKTIVISTIN: Ich bin schon ganz aufgeregt. Noch nie im Leben habe ich so sehr das Gewicht der Verantwortung gefühlt. Ich werde das Handbuch sofort lesen. Es hat ja nicht so viele Seiten, nur 2000.
FLEISCHER: Ich bin von Natur aus Optimist. Aber ich denke jetzt laut nach: Wäre es vielleicht besser, noch ein wenig zu warten?
INSPEKTOR: Worauf warten?
FLEISCHER: Und was passiert, wenn Großbritannien wieder reingeht, wie es raus ist? Warum sollen wir uns abstrampeln, bis wir alle Punkte gesammelt haben, wenn sie uns am Ende vielleicht gar nichts nutzen?
INSPEKTOR: Das braucht uns nicht zu beschäftigen. Großbritannien soll machen, was es will. Letztendlich ist es denen ja erlaubt, solche Kinderspielchen zu veranstalten, rein und raus, rein und raus. Aber bei uns würde es niemand tolerieren. Uns beobachten sie mit der Lupe, und wenn wir was falsch machen, ist es aus und wir sind weg vom Fenster. Dann tritt Serbien bei und wir stehen mit leeren Händen da, wie das chinesische Sprichwort sagt.
AKTIVISTIN: Serbien in der EU? Nur über meine Leiche, wie das englische Sprichwort sagt.
FLEISCHER: Ich bin von Natur aus wirklich ein Optimist, aber ich denke wieder laut nach: Was passiert, wenn Deutschland auch aus der EU austritt?
AKTIVISTIN: Ach, Mann, was redest du da? Das kann niemals passieren. Das wäre, als ob die EU aus der EU austreten würde. Oder als ob man von einer Schlange verlangen würde, aus ihrer Haut zu schlüpfen.
INSPEKTOR: Schön haben Sie das erklärt. Es ist als ob, als ob … Ist nicht wichtig.
FLEISCHER: Wenn andere anfangen auszutreten, ist das ein Zeichen, dass es für sie nicht so gut lief. Was meinst du, Frau, du kennst dich ja mit diesem Thema gut aus?
AKTIVISTIN: Der Beitritt in die EU ist unser nationales Ziel. Und wir müssen dieses Ziel erreichen. Wenn wir beigetreten sind, können wir, falls es uns nicht gefällt, den Austritt aus der EU zum nationalen Ziel erklären.
Herr Inspektor, wir lesen diese Dokumente durch und beginnen mit den Reformen. Wie es auch das deutsche Sprichwort sagt. Unsere Punkte sind Ihnen sicher.
INSPEKTOR: Meine Dame, Sie haben mich schnell und richtig verstanden.
AKTIVISTIN: Ein wenig kenne ich mich in der Politik schon aus! Seit 13 Jahren leite ich den Verein für den Schutz von streunenden Hunden „Sankt Maria“. Ich habe 13 Guerillaaktionen zur Rettung von Hunden vorm Erschießen oder vorm Kastrieren gegen unsere Regierung organisiert. Ich habe für Brigitte Bardot den rührenden Brief geschrieben, in dem sie den Bürgermeister von Prishtina aufforderte, das Massaker an unschuldigen Hunden zu stoppen.
FLEISCHER: Wir haben den Faden verloren. Wir sollten das Gespräch nicht mit unnötigen Einzelheiten zerfransen. Ich fasse also zusammen: Es wird von uns gefordert, dass wir der EU beitreten, und zwar vor Serbien.
INSPEKTOR: Richtig.
FLEISCHER: Schon erledigt. Betrachten Sie diese Angelegenheit als erledigt. Meine Frau und ich sind nie im Leben gescheitert.
INSPEKTOR: Sie haben ja ganz frisches Fleisch! Ihr Schlachthof ist nicht umsonst der berühmteste in der Stadt. Was kostet das Kilo?
FLEISCHER: 5 Euro.
INSPEKTOR: Ich glaube, ich habe vergessen, mich vorzustellen, als ich gekommen bin: Ich bin Inspektor und komme vom Büro des Ministerpräsidenten für die Reformen der Fleischindustrie – BMRFI. Dieses Büro übermittelt durch mich die Anordnung, die heißt: Jede Fleischerei, die die neuen EU-Vorschriften nicht erfüllt, [er brüllt] wird geschlossen!
AKTIVISTIN: Sagen Sie das nicht, mein Herr. Wir sind in dieser Stadt ein Vorbild. Bald eröffnen wir eine zweite Fleischerei.
INSPEKTOR: Geben Sie mir also ein Kilo frisches Fleisch!
Der Fleischer nimmt ein Stück Fleisch und reicht es ihm. Der Inspektor steckt die Hand in die Tasche.
AKTIVISTIN: Ach, das ist doch nicht nötig, Sie haben uns so gute Nachrichten gebracht.
Der Inspektor holt aus der Tasche ein Taschentuch. Er wischt sich die Nase.
INSPEKTOR: Das ist ja wirklich ein sehr gutes Fleisch. Geben Sie mir bitte noch fünf Kilo.
[Der Fleischer nimmt noch ein Stück Fleisch und reicht es ihm.]
INSPEKTOR: Danke. Auf Wiedersehen in der EU. Ach, beinah hätte ich es vergessen. Nehmen Sie diesen Briefumschlag, darin finden Sie den Schlüssel für alles. Aber lesen Sie zuerst dieses EU-Dokument. Es hat nicht viele Seiten und liest sich schnell, wie ein Roman. Hand aufs Herz, ich habe es selber nicht gelesen, aber so wurde es mir erzählt. Viel Erfolg.
[Der Inspektor gibt ihm einen Briefumschlag und geht hinaus.]
2.
Die Kuh schminkt sich die Lippen und macht sich fertig für die Schlachtung. Sie möchte hübsch ins Jenseits gehen. Der Bulle, ihr Freund, hat eine tiefe Depression.
– Der Kapitalismus hat uns zugrunde gerichtet, er hat unser Leben unerträglich gemacht. Ich fühle mein Euter nicht, es ist ganz gelähmt vom Melken. Nach dem Melken ist kein Tropfen Milch in meinem Körper mehr übrig.
Ich möchte nicht nostalgisch klingen wie eine vertrottelte Kuh, aber im Sozialismus war es wirklich anders. Ich gab drei Liter täglich und erfüllte die Norm. Alle waren zufrieden mit mir und hielten mich für eine gute Kuh. Jetzt gebe ich 15 Liter und alle sind unzufrieden. Deswegen wollen sie mich schlachten, um mich loszuwerden.
Früher kam mindestens einmal im Jahr ein Bulle, um uns zu decken. Puh, war das eine Aufregung an dem Tag. Das hat Spaß gemacht. Jetzt nicht, jetzt werden wir mit Tabletten gedeckt.
– Früher hatte ich Hoden. Und nicht irgendwelche. Ich habe bis zu 20 Kühe am Tag gedeckt, ich fuhr von Dorf zu Dorf und mein Schwanz stand hoch wie das Kreuz auf dem Kopf vom Papst. Jetzt fühle ich nichts. Ich habe eine tiefe Depression und ich kann es kaum abwarten, dass ich geschlachtet werde. Ich will nicht mehr leben in einer Welt ohne Werte, in einer Demokratie, wo man nicht mehr weiß, wer wen deckt.
– Puh, bist du widerlich. Deine Ausdrucksweise ist die reinste Katastrophe. Trotzdem will ich dir jetzt ein Geheimnis verraten: Ich war mal in dich verliebt. Aber das zählt nicht mehr …
– Ja, nichts zählt mehr. Und du dumme Kuh hast dieses Geheimnis die ganzen Jahre für dich behalten und sagst es mir erst jetzt, kurz vor der Schlachtung?
– Du bist mit vielen Kühen gegangen. Ich wollte mich nicht noch mehr verletzen.
– Das war richtig von dir, du hast mich echt nie angemacht.
– Vertrottelter Bulle! Du warst schon immer gefühllos.
– Alte Kuh! Die armen Menschen, die dein Fleisch essen müssen.
– Rede nur ruhig weiter, auf mich macht das keinen Eindruck mehr. Verdammt, wo bleiben die so lange, statt mich endlich zu schlachten!
3.
Nachts. Im Bett. Der Fleischer und die Aktivistin lesen das dicke Dokument „Kosovo und 3000 einfache Vorschriften für den Weg nach Europa“.
FLEISCHER: Wie viele Seiten hast du schon gelesen?
AKTIVISTIN: 457. Und du?
FLEISCHER: 18.
AKTIVISTIN: Du liest aber langsam.
FLEISCHER: Und du dafür schnell. Pass auf, dass uns keine wichtige Info entgeht.
AKTIVISTIN: Bis jetzt habe ich nichts Wichtiges für unsere Arbeit gefunden. Außer, dass wir auf das Fleisch, dass wir verkaufen, ein Siegel drücken müssen. Und du?
FLEISCHER: Ich habe auch nichts Wichtiges gefunden, außer, dass wir auf das Fleisch, dass wir verkaufen, ein Siegel drücken müssen.
AKTIVISTIN: Puh! So sind die Europäer, viel Lärm um nichts. Lassen wir es für heute gut sein.
FLEISCHER: Wir lassen es gut sein!
AKTIVISTIN: Machen wir es?
FLEISCHER: Du weißt doch, dass ich keine Kraft mehr habe, diese Lektüre hat mich alle gemacht. Nie im Leben habe ich so viel gelesen wie heute Abend. Hast du eine Ahnung, was es bedeutet, 18 Seiten eines EU-Dokuments zu lesen?!
AKTIVISTIN: Natürlich, ich habe ja 457 gelesen.
FLEISCHER: Weil du nach dem Sex gefragt hast, ja warum nicht, wir können es versuchen.
AKTIVISTIN: Also, nein, wir können es nicht.
FLEISCHER: Wieso?
AKTIVISTIN: Weil wir keine Kondome dahaben!
FLEISCHER: Na und? Wir haben es doch nie mit einem Kondom gemacht!
AKTIVISTIN: Oh, Mann, denke ein bisschen logisch! Ich bin mir sicher, dass der sichere Sex eine der Beitrittsbedingungen in die EU ist. So wie ich das Dokument verstehe, wollen die für alles mehr Sicherheit. Sicherheit für Minderheiten, für Fleischqualität, für Umwelt, für Frauen, für Fische … Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass sie auch mehr Sicherheit beim Sex wollen …
FLEISCHER: Daran habe ich nicht gedacht. Aber macht der Sex mit Kondom überhaupt Spaß? Das ist ja fast wie mit der Hand.
AKTIVISTIN: Wieso, hast du schon mal Sex mit Kondom gemacht?
FLEISCHER: Nie, mein Ehrenwort, ich habe nur so was gehört!
AKTIVISTIN: Du bist ja so gut. Gleich bist du rot geworden.
FLEISCHER: Da du gerade rot gesagt hast, wollen wir nicht den Briefumschlag aufmachen, den uns heute der Inspektor gegeben hat?
AKTIVISTIN: Er hat aber gesagt, dass wir erst das ganze Dokument lesen müssen.
FLEISCHER: Ich halte es aber vor Neugier nicht mehr aus! Komm, wir machen ihn jetzt auf.
AKTIVISTIN: Na gut!
[Sie machen den Briefumschlag auf, den ihnen der Inspektor gegeben hat.]
AKTIVISTIN: [Liest] 6 Kühe, 4 Schweine, 1 Pferd, 1 Giraffenhals und 83 Landhühner!
FLEISCHER: Was bedeutet das?
AKTIVISTIN: „Im Briefumschlag ist der Schlüssel“, ja, das hat er gesagt.
FLEISCHER: Schau nach, ob darin ein Schlüssel liegt.
[Die Aktivistin untersucht den Briefumschlag.]
AKTIVISTIN: Nein, da ist keiner.
Sie lesen das EU-Dokument aufmerksam weiter. Seite für Seite, Vorschrift für Vorschrift, Absatz für Absatz.
4.
Ein langer, unendlich langer Korridor. Der Fleischer und die Aktivistin gehen und bleiben vor einer Tür stehen.
– Klopf an diese Tür.
– Wieso klopft ihr an meine Tür? Verschwindet! – Puh! Was für eine Hexe! Wo kommen denn die ganzen hartherzigen Weiber in den öffentlichen Ämtern her?
Sie gehen weiter, biegen nach rechts ab, dann nach links, und sie sehen, wie aus einer Tür ein Mann herauskommt und sich die Hose zuknöpft.
– Was glotzt ihr so?
– Wir suchen die Auskunft. – Sucht nur ruhig.
– Ist sie auf dieser Etage?
– Ich arbeite nicht hier.
Sie gehen in die 13. Etage hinauf, dann wieder in die 5. herunter und dann wieder hinauf.
– Mein Herr, wir sind die Eigentümer des Tony-Blair-Schlachthofes und wir haben das Dokument „Kosovo und 3000 einfache Vorschriften für den Weg nach Europa“ gelesen.
– Wir haben daraus erfahren, dass wir ein Siegel für das Fleisch brauchen, das wir verkaufen. Es ist dringend! Ohne das Siegel können wir nämlich der EU nicht beitreten oder so ähnlich.
– Was kostet denn das Kilo Fleisch bei euch? – Fünf Euro.
– Zu teuer.
– Können Sie uns bitte sagen, wo wir das Siegel bekommen?
– Ich höre davon zum ersten Mal. Versucht es im 13. Stock.
Sie verlassen das Büro und gehen ins nächste und dann ins nächste und dann ins nächste und dann ins nächste und dann ins nächste und dann ins nächste und am Ende kommen sie in ein Büro, in dem ein Pferd arbeitet.
– Ein Pferd im öffentlichen Amt?
– Haben Sie etwas dagegen?
– Um Gottes willen, nein, wir mögen Pferde! Ich bin Aktivistin für Tierrechte. – Wir brauchen ein Siegel, bitte …
– Sie suchen ein Siegel und ich suche seit 20 Jahren Antworten auf viele existenzielle Fragen! Warum ist, zum Beispiel, der Himmel über Prishtina immer grau? Warum gibt es im Kosovo so viele Krähen? Warum werden in den kosovarischen Theatern verleumderische Stücke aufgeführt? Warum hat Ismail Kadare noch nicht den Nobelpreis für Literatur bekommen? Warum arbeiten in der Kosovo-Regierung so viele Pferde? Warum mögen die Albaner Amerika mehr als die Amerikaner selbst? Ja, Freunde, diese und noch viele weitere Fragen sind das Essenzielle, und das Andere, wie Ihr Siegel, ist eine Täuschung und Illusion und Ablenkung von den wahren Fragen und Problemen. Was das Siegel angeht, versuchen Sie es im Büro Nr. 4890, im 56. Stock.
– Ach so?
– Ja, natürlich, dort beschäftigt man sich mit solchen unsinnigen Dingen. Die 4890er Büros im 56. Stock werden übrigens auch „Das Stockwerk der Versager“ genannt. Dort arbeiten imbezile und militante Parteileute ohne jeglichen Ehrgeiz.
Sie verlassen das Büro des Pferdes, der Fahrstuhl funktioniert nicht, und gehen zu Fuß. 13. Stock, 14. Stock, 15. Stock … und sie kommen im 56. Stock an. Im Büro schaut sich ein Schwein im Spiegel an. Es ist ein sympathisches Schwein.
– Hey, wundert ihr euch gar nicht, dass ihr ein Schwein seht?
– Überhaupt nicht, wir mögen ja Schweine. – Seid ihr vom Tony-Blair-Schlachthof? – Jawohl.
– Gott sei Dank, dass uns ein Mensch kennt. – Ein Mensch? Ich bin ein Schwein, meine Dame! Geht in den 9. Stock! Ich mache gerade Pause. Ich kann euch nicht helfen. Wart ihr schon da?!
– Oh, das ist der einzige Stock, in dem wir noch nicht waren.
– Aber das ist doch der wichtigste Stock hier. Geht hin, im Büro 87 arbeitet ein schlauer Kerl, er ist ein Mensch, aber höflich.
Sie gehen hinunter in den 9. Stock. Sie klopfen an. Sie klopfen noch einmal. Sie öffnen die Tür. Der schlaue Kerl befindet sich in einer geschmacklosen Lage. Er hat dem Schaf einen Finger ins Maul gesteckt und es scheint ihm Lust zu bereiten. Zumindest sieht sein Gesicht so aus – mit Verlaub – wie kurz vor dem Höhepunkt!
– Ja, ja, ja, jaa! Geh jetzt, schönes Schaf. Ab, ich habe zu arbeiten. Was kann ich für euch tun?
– Wir sind gekommen, um das Siegel abzuholen. Wir haben alle Unterlagen eingereicht, das Attest des Tierarztes, die Geburtsurkunden aller Kühe, das Hygienezertifikat des Schlachthofes, wir haben das Formular über die Herkunft der Tiere ausgefüllt, haben Verträge geschlossen und auch alles andere erledigt.
– Sehr gut, sehr gut. Was kann ich für euch tun?
– Wir brauchen das Siegel.
– Alles ist in bester Ordnung und wir brauchen nur noch das Siegel. Dringend, weil, wie Sie sicher wissen, Kosovo der EU beitritt.
– Sehr gut, sehr gut. Was kann ich für euch tun? – Wo bekommen wir das Siegel?
– Sehr gut, sehr gut. Was kann ich für euch tun? – Sie können uns helfen, wenn Sie uns sagen, wo wir das Siegel bekommen.
– Sehr gut, sehr gut. Was kann ich für euch tun?
Sie gehen. Zum ersten Mal schlagen sie beim Hinausgehen die Tür zu, die Tür einer öffentlichen Institution der Republik Kosovo. Sie gestehen einander ein, dass sie schon ein wenig frustriert sind. Sie gehen in den 83. Stock … Sie öffnen eine Tür und sehen ein Huhn, das gerade ein Ei legt. Sie treten ein, ohne anzuklopfen, das Huhn erschrickt sich und das Ei rutscht vom Sessel herunter und zerbricht. Das Huhn wird nervös, es beschimpft und verflucht sie …
– Ihr dummen Puten! Verschwindet bloß, ihr habt mein Ei kaputt gemacht!
Müdigkeit. Traurigkeit, Verzweiflung. Aber wie es oft zu guter Letzt geschieht, ist da ein Fünkchen Hoffnung am Ende des Korridors. Als sie das Gebäude bereits verlassen wollen, erblicken sie einen Zentaur beim Fotokopieren.
– Herr oder Frau Zentaur, was auch immer, entschuldigen Sie bitte die Störung, dürfen wir Sie etwas fragen?
– Natürlich, das ist meine Arbeit, zu fotokopieren und die Fragen der Klienten zu beantworten.
– Wir sind vom Schlachthof und von der Fleischerei … weil sie zusammengehören, der Schlachthof und die Fleischerei …
– Der Tony-Blair-Schlachthof. Der berühmteste Schlachthof in der Stadt.
– Fasst euch kurz, ich habe zu tun.
– Siegel! Wir brauchen das Siegel, wo bekommen wir es?
– Eure Unterlagen habe ich sorgfältig geprüft. Was das angeht, ist alles in Ordnung. Aber habt ihr nicht auch einen Briefumschlag bekommen? – Briefumschlag? – Richtig.
– Ja, wir haben einen Briefumschlag, mit ein paar Zahlen und Tierarten.
– Ausgezeichnet. Dieser Briefumschlag ist auch für euch. Ihr findet darin die Adressen, an die ihr das Fleisch schicken sollt. – Das verstehen wir nicht.
– Ihr versteht schon, sehr gut sogar. Ihr braucht nur zu tun, was im Umschlag steht.
– Bestechung? Sie fordern von uns Bestechung?
– Gott bewahre! Was ich davon habe, sind 4-5 Kilo Hühnerfleisch, höchstens 10, mehr nicht. Und das nennst du Bestechung? Schließlich arbeite ich für euch. – Aber müssen Sie das nicht?
– Müssen müssen wir nur sterben. Sonst nichts. – Aber mein Herr, sind Sie denn gar nicht informiert? Es geht um etwas sehr Ernstes. Wir treten bald der EU bei und müssen langsam anfangen, uns wie Europäer zu benehmen.
– Und was passiert, wenn wir die Standards nicht erfüllen und anstelle vom Kosovo Serbien in die EU aufgenommen wird?
– Das wäre eine wahre nationale Tragödie. Aber wir als Regierung arbeiten Tag und Nacht daran, dass das nicht passiert.
– Und deshalb, Herr oder Frau Zentaur, geben Sie uns das Siegel und wir sind miteinander quitt!
– Wisst ihr denn überhaupt, ich rede jetzt mit dir, Frau, weil du mir klüger vorkommst als dein Mann. Wisst ihr denn überhaupt, wie viel Bestechung ein Schlachthof in Serbien für so ein Siegel, wie ihr es haben wollt, zahlen muss? Zwei– oder dreimal so viel. Wir haben die Bestechungsstandards bewusst gesenkt, um des nationalen Interesses willen. Ihr habt Glück, dass wir unter Zeitdruck stehen, denn so ein Siegel könntet ihr niemals ohne Fleisch im Wert von 20 Kühen, 20 Schweinen, 13 Kängurus und von was weiß ich bekommen. Wisst ihr denn überhaupt, wie viele Leute in dieser Regierung sind? Alle wollen was. Hier hat mal ein Mann gearbeitet – aber zu eurem Glück ist er letztes Jahr gestorben. Wisst ihr, was der von den Antragstellern verlangt hat? Alles. Schnürsenkel, Kämme, Schlangen, Kamelfleisch, Fabriken, öffentliches Eigentum, alles. Was ihm gerade so einfiel. Wir sind eine seriöse Institution, und das läuft hier nicht hopplahopp, wie ihr euch das denkt!
– Jetzt bin ich ganz erleichtert.
– Das leuchtet ein. Wir waren ja so naiv.
– Schließlich zahlen die Menschen in Serbien noch mehr.
– Ich hoffe nur, dass von uns nicht mehr als im Briefumschlag verlangt wird!
– Ich glaube nicht … Schaut mal, die Regierung behält sich immer das Recht auf unerwartete Änderungen der Forderungen vor. In eurem Fall wird sich aber nichts ändern, glaube ich. Erbringen Sie noch die Kleinigkeiten und danach schauen wir mal. Wie das deutsche Sprichwort sagt, Schuster bleib bei deinen Leisten.
– Dann ist alles in Ordnung. Das nationale Interesse geht über alles. Vielen Dank. Sie sind ein ganz wunderbarer Mensch.
– Ich mag aufrechte Menschen. Mit Menschen wie euch gibt es für diesen Staat eine Hoffnung.
Sie gehen raus. Sie atmen frische Luft ein. Sie fühlen sich müde, zerschlagen, aber sie sind zuversichtlich, dass sie das Siegel bald bekommen. In Prishtina ist es schon dunkel.
5.
Die Regierung des Kosovo hat beschlossen Vom heutigen Tag an werden alle Fleischereien in der Stadt Angewiesen und verpflichtet Schweinefleisch in ihr Verkaufsangebot aufzunehmen Der Kilopreis darf 50 Cent nicht überschreiten Die ehrenwerten Bürger dieses Landes Unabhängig von der Parteizugehörigkeit und Religion Und vor allem die gläubigen Muslime Werden gebeten, Schweinefleisch zu essen Um gemeinsam den Weg des Kosovo nach Europa zu bahnen Von jetzt an werden wir Schweine essen Das Schweinefleisch wird unser traditionelles Essen In die Fahne nehmen wir anstelle des Adlers ein Schwein auf Die internationalen Schweine sind unser Weg in die EU
6.
Habt ihr gewusst, dass der Orgasmus eines Schweins 12 Minuten dauert, länger als von jedem anderen Tier? Aber das hat uns in den letzten Jahren keine Privilegien verschafft. Im Gegenteil, wir wurden aus Eifersucht unterdrückt und ignoriert. Es wurden über uns die schlimmsten Legenden gesponnen und wir wurden das Ziel von Beschimpfungen und Stigmatisierungen. Wir wurden als unrein und unwissend bezeichnet. Wir wurden dreckige Schweine und was weiß ich noch genannt.
Während ihr Menschen von der Freiheit geschwärmt habt und euch an ihr wie ein brünstiges Pferd an der Möse der Stute berauscht habt, haben wir Schweine gelitten wie die Esel.
Das war natürlich nicht immer so. In der Zeit des Sozialismus wurden wir geschätzt und kein Treffen auf hohem Niveau war ohne Schwein am Spieß denkbar! Was, glaubt ihr, hat Tito gegessen, als er zum ersten Mal nach Kosovo kam? Ein Ferkel am Spieß. Oh ja, Menschen! Die Ferkel haben früher die Unterhaltungsindustrie beherrscht. Es spielte keine Rolle, ob man Moslem war oder nicht. Besonders die Moslems haben uns mit großem Appetit verspeist. Man steckte uns eine schöne Tomate ins Maul oder wir wurden ganz entspannt und stressfrei am Spieß gebraten. „Schau her“, rief ein Moslem mit Schnurrbart, „ich sündige jetzt ein wenig“, und schwupp steckte er sich ein schönes Stück Schweinefleisch in den Mund. „Oh, Mann, was hast du da getan“, sagte seine Frau, „wie konntest du so sündigen“, und schwupp, steckte sie sich noch ein größeres Stück Schweinefleisch in den Mund. Das war ein Spektakel und wir waren die glücklichsten Schweine der Welt. Unser Leder diente für die besten Taschen, die damals in Kosovo hergestellt wurden; Dior Kosova. Wir träumten, wenn Kosovo frei wird, werden wir noch mehr geehrt und geachtet als vorher. Aber nein. Alles stürzte ein und ging zur Hölle. Es kamen die islamischen Fundamentalisten und erstickten auch noch die wenige Freiheit, die wir gewonnen hatten. Sie verleumdeten uns und sagten, dass Moslems kein Schweinefleisch essen dürfen, weil es angeblich Sünde ist. Aber wir haben es doch nie mit irgendeiner Religion zu tun gehabt, ihr Menschen. Alles, was wir wollen, ist von euch verspeist zu werden. Liebend gern. Jetzt haben wir ein Fünkchen Hoffnung. Europa hat eine Bedingung gestellt: Ohne Schweine kommt Kosovo nicht nach Europa. Ihr werdet sehen, wie uns die Leute, die uns noch bis gestern beschimpft und gedemütigt haben, lieben und liebend gern essen werden. Auch die Wahabiten und Salafisten werden uns essen – wenn auch nur heimlich. In ganz Kosovo blühen die Schweinemästereien, weil Europa für die Landwirte Millionen Euro Fördergelder bereitgestellt hat. Unser Tag wird kommen und wir bekommen unsere verletzte Würde zurück. Wir sollen leben! – jawohl – denn ohne uns seid ihr geliefert, ihr würdelosen Menschen Wir sind Schweine, wir sind lecker Wir tragen Jugoslawien im Herzen Hört ihr mich, Menschen, ich habe keine Angst, ich sage es euch geradeheraus Es leben die Schweine, es lebe Jugoslawien, es lebe der Sozialismus Tito, Küsschen, ob du in der Hölle oder im Paradies bist Wir sind Schweine, wir sind lecker Wir tragen Jugoslawien im Herzen
7.
Im Schlachthof. Es herrscht Stille. In einer Ecke frisst eine Kuh Gras, spricht und singt leise von Zeit zu Zeit. Im anderen Teil ist die Aktivistin, die im Stehen zu schlafen scheint und leise schnarcht.
KUH: Das Leben ist für uns Kühe ein langer Schlaf. Wir schlafen, auch wenn wir wach sind. Die einzige Zeit, zu der eine Kuh nicht schläft, ist vom Augenblick, in dem sie den Schlachthof betritt, bis zum Augenblick, in dem sie geschlachtet wird. Ich schmelze zusammen und verlösche Wie eine Leuchte ohne Öl Ich werde zerstückelt Damit ihr mich verspeisen könnt
[Der Fleischer kommt herein und führt ein Pferd am Halfter. Er geht zur Kuh und gibt ihr ein Zeichen, zu schweigen. Er flüstert ihr zu:]
FLEISCHER: Ruhe!
[Als die Kuh das Pferd sieht, muht sie. Der Fleischer versucht, sie zum Schweigen zu bringen.]
FLEISCHER: Pssst, sonst schneide ich dir die Gurgel durch!
KUH: Mir doch egal!
FLEISCHER: Hör auf zu muhen, verdammt!
KUH: Was sucht das Pferd hier?
PFERD: Keine Angst, ich tu dir nichts.
[Die Aktivistin wacht auf. Sie wundert sich, als sie das Pferd sieht.]
AKTIVISTIN: Was sucht das Pferd im Schlachthaus?
FLEISCHER: Naja, ich dachte … vielleicht … Ich denke, dass vielleicht … Möglicherweise … Wer weiß … Man kann ja nie wissen … Also ich denke, dass ….
AKTIVISTIN: Sag es endlich, drucks nicht rum. Hast du etwa vor …
FLEISCHER: Aber nicht doch, was soll das denn, Frau? Du weißt ganz genau, dass ich so was nie tun würde. Wie kannst du überhaupt so was auch nur denken? Großer Gott, ich bin erschüttert! Ich kann keiner Fliege was zuleide tun, geschweige denn so was.
AKTIVISTIN: Warum hast du dann das Pferd hergebracht?
FLEISCHER: Schatz, ich will dir gegenüber ehrlich sein, wie immer. Wir sind in der Krise, das weißt du ja nur allzu gut. Wir schlachten nur das eine Pferd, um unsere Finanzen zu stabilisieren, und dann nie wieder! Ich schwöre, nie wieder.
AKTIVISTIN: Du willst unseren treuen Kunden Pferdefleisch verkaufen? Damit wir unseren Ruf in der Stadt ruinieren? Niemals!
FLEISCHER: Nur vorübergehend, bis wir die Krise überwunden haben. Wir haben keine andere Wahl. Das Pferdefleisch unterscheidet sich nicht sehr vom Rindfleisch. Wir verkaufen es nicht an alle, sondern nur an Arme und Dumme. Nur ein paar Wochen, höchstens Monate und wir hören wieder auf.
AKTIVISTIN: Aber, wenn das einer merkt, können wir einpacken.
FLEISCHER: Das merkt doch keiner!
AKTIVISTIN: Und wenn das die von der EU merken?
FLEISCHER: Der Verkauf von Pferdefleisch ist erlaubt. Steht das nicht auch in dem Handbuch, das wir gelesen haben, kannst du dich erinnern?
AKTIVISTIN: Aber es ist gegen den Anstand
FLEISCHER: Gibt es noch Anstand in diesem Land? Unser Schlachthof, den wir mit viel Mühe aufgebaut haben, geht vor die Hunde. Was haben wir schon an Bestechung für das Siegel gezahlt, das wir noch immer nicht haben. Ich liebe dieses Land, aber noch mehr liebe ich mich. Du weißt es selber, dass wir nie gefragt haben, was Kosovo für uns getan hat, sondern dass unser Arbeits- und Lebensmotto war, was haben wir für Kosovo getan. Und wir haben viel getan. Korrigiere mich, wenn es nicht stimmt, aber du weißt ja, dass wir allein in den letzten 15 Jahren mindestens drei Armen ein Kilo Fleisch geschenkt haben. Ich sag drei, aber es können durchaus auch vier gewesen sein.
AKTIVISTIN: Es waren vier.
FLEISCHER: Siehst du!
AKTIVISTIN: Du hast mich überzeugt. Da es nur vorübergehend ist, ist es nicht schlimm. Letztendlich passiert so was auch in Europa. Haben wir denn nicht erst vor ein paar Monaten in der Zeitung über den Skandal in Dänemark und Belgien gelesen, wo den Kunden statt Lammfleisch Hundefleisch untergejubelt wurde?
FLEISCHER: Na siehst du. Im Vergleich mit deren Sünden, wären wir des Nobelpreises für Qualität würdig.
KUH: Die Welt ist aus den Fugen Niederträchtig und verdammt nur ein Schwein kann sie wieder richten.
PFERD: Da wir so offen reden, möchte ich auch ein, zwei Worte sagen. Ich hätte fliehen können, aber nachdem mir dieser ehrenwerte Mann erzählt hat, in was für einer schlechten Lage Sie sind, will ich mich gern opfern. Deshalb bitte ich Sie, schlachten Sie mich sofort, als ein Opfertier, in der Hoffnung, Ihr Wohl und das des Kosovos vermehrt zu haben. Schreiben Sie aber als mein Vermächtnis auf meinen Grabstein: Dieses Pferd hat sich für Europa aufgeopfert.
AKTIVISTIN: Bist du ein edelmütiges Pferd. Tut es dir nicht leid, dass du geschlachtet wirst?
PFERD: Keineswegs. Ich war dem Kosovo immer treu. Mein Leben stand in seinem Dienst. Ich bin glücklich, dass ich mein Leben für die nationale Sache gebe. Um Ihnen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, übernehme ich es selbst.
Das Pferd zieht ein Messer und ersticht sich. Es sticht zwölfmal zu. Es bringt sich tragisch um. Es opfert sich für die nationale Sache auf.
FLEISCHER: Pass auf, Pferd, beschädige die Lunge nicht, die ist teuer!
KUH: Tot! Puh, sind die Pferde blöd!
AKTIVISTIN: Wir müssen es schnell zerlegen, bevor ein Kunde kommt.
FLEISCHER: Ja, ganz schnell. Ich habe noch weitere 18 Pferde bestellt, sie kommen heute Nacht!
AKTIVISTIN: 18 Pferde?
FLEISCHER: Für den Anfang.
AKTIVISTIN: Schon gut, ich fürchte nur, dass es zu wenige sind.
[Sie zerlegen das Pferd, die Kuh muht zornig.]
8.
Sehr verehrtes Volk des Kosovo, Heute habe ich einen guten Grund, mich zum ersten Mal auch an die Kühe des Kosovo zu wenden – den Grund erfahren Sie weiter unten! Also, sehr verehrtes Volk des Kosovo, sehr verehrte Kühe des Kosovo! Heute ist unser Land Zeuge eines besonderen und berührenden Ereignisses geworden. Während Kosovo auf den Beitritt zur EU wartet, haben die Grenzbehörden an der Grenze zwischen Kosovo und Serbien erfolgreich den Test FGÜKH – Freier Grenzübertritt der Kuh H – durchgeführt. Wie Sie sicher wissen, ist dieser Test Teil des Dokuments „Kosovo und 3000 einfache Vorschriften für den Weg nach Europa“. Das Hauptmotto des Testes FGÜKH war: „Heute Kühe, morgen Kosovaren.“ In den nächsten Tagen ist der freie Grenzübertritt von mindestens vier anderen Tieren vorgesehen, unter anderem von einem Schwein, einer Giraffe (aus dem einfachen Grund, um die Qualität der Decke des Grenzübergangs zu testen), einer Ziege und einer Schlange. Der freie Grenzübertritt der Kuh H verlief ohne Hindernisse, leicht, ohne Muhen und vor allem ohne einen einzigen Kuhfladen. Das bedeutet, dass alles entsprechend der europäischen Standards durchgeführt wurde. Die Kuh bewies hohe europäische Kultur. Den Wissbegierigen unter Ihnen verrate ich, dass es sich um die reine pelasgisch-illyrische Rasse handelt, die in diesem Gebiet seit über fünftausend Jahren autochthon ist. Herzlichen Glückwunsch an das kosovarische Volk für diese 30 Punkte, herzlichen Glückwunsch an die Regierung, herzlichen Glückwunsch an diese historische Kuh! Heute Kühe, morgen Kosovaren. Herzlich Ihr Ministerpräsident
9.
[Fleischerei. Ein Kunde kommt herein.]
KUNDE: Ich möchte fünf Kilo frisches Rindfleisch!
FLEISCHER: Gern!
AKTIVISTIN: Wir haben soeben eine sehr gute Kuh geschlachtet, jung, und gut genährt.
[Man hört ein Pferd wiehern.]
KUNDE: Hat da ein Pferd gewiehert?
AKTIVISTIN: Nein.
KUNDE: Das war das Wiehern von einem Pferd, ich bin sicher!
FLEISCHER: Wie kann hier ein Pferd wiehern, wenn wir keine Pferde schlachten und kein Pferdefleisch verkaufen.
KUNDE: Na hören Sie mal, ich kann wohl noch das Muhen einer Kuh vom Wiehern eines Pferdes unterscheiden! Mich können sie nicht täuschen.
FLEISCHER: Warten Sie, ich werde es Ihnen beweisen!
[Der Fleischer geht hinaus.]
AKTIVISTIN: Ich weiß nicht, ob Sie es schon gehört haben, dass Kosovo bald der EU beitritt, und da ist jetzt ein kleines Durcheinander entstanden. Alles klingt ähnlich – die Frau wie ein Mann, der Hodscha wie ein Priester, der Löwe wie ein Krokodil, der Affe wie ein Hund, der Papagei wie ein Krokodil …
KUNDE: Genug, genug. Denken Sie, ich bin blöd?! Ich will Beweise sehen!
[In der Zwischenzeit kommt der Fleischer mit dem Pferd herein. Er hält ein Messer an den Kopf des Pferdes.]
FLEISCHER: [zum Pferd] Wenn du nicht zugibst, dass du eine Kuh bist, schlitze ich dir den Hals auf, hacke dir die Augen aus, schneide dir die Ohren ab, reiße dir die Augenbrauen aus, breche dir die Zähne aus, ich mache aus dir Salat! Hast du mich verstanden?
PFERD: Ich habe verstanden. Ich gebe alles zu, schlitz mir nur nicht den Hals auf, bitte.
[Der Fleischer geht mit dem Pferd zum Kunden.]
FLEISCHER: [zum Kunden] Los, fragen Sie.
KUNDE: Bist du ein Pferd?
PFERD: [mit veränderter Stimme] Nein, ich bin eine Kuh!
KUNDE: [zum Fleischer und seiner Frau] Ich bitte Sie sehr um Entschuldigung. Ich schäme mich. Was bin ich für ein Esel!
[Der Kunde nimmt das gekaufte Fleisch und geht hinaus.]
AKTIVISTIN: Bravo, Pferd, du hast uns gerettet. Aber das nächste Mal halt das Maul und wiehere nicht wie ein Wahnsinniger am helllichten Tag!
FLEISCHER: Aber wirklich, wie oft haben wir es dir gesagt! Ich habe dir immer wieder die Benimmregeln erklärt, aber du reißt trotzdem das Maul auf wie ein … ein … brünstiges Pferd. Wieso kapierst du nicht, dass wir in einer … Notsituation sind?!
PFERD: Es tut mir leid, ich mache es nie wieder, ich war nur ganz traurig und da ist es mir passiert.
FLEISCHER: Du hast dich aber ganz anständig gezeigt. Du hast uns gut rausgehauen.
PFERD: Können Sie mir noch zwei Tage schenken?
AKTIVISTIN: Wozu denn, nach zwei Tagen wirst du sowieso geschlachtet.
FLEISCHER: Wir können ihm noch einen Tag Leben schenken, aber mehr nicht. Und wenn wir schon dabei sind, wie willst du denn sterben?
PFERD: Kann ich eine Spritze bekommen?
FLEISCHER: Also nein, möchtest du vielleicht Euthanasie? Spritzen sind teuer und den Luxus können wir uns nicht leisten. Wir haben keine Spritzen für Menschen, geschweige denn für Tiere. Guck dir doch die Krankenhäuser an, in was für einer üblen Lage die sind wegen fehlender Medikamente. Du kannst zwischen dem Schlag mit dem Hammer, dem Halsdurchschneiden oder dem Kopfaufbohren wählen.
AKTIVISTIN: Entscheide selbst, Pferd, aber ich würde aus der Perspektive einer Aktivistin für die Rechte der Tiere empfehlen, mit dem Hammer erschlagen zu werden. Es ist irgendwie ein humaner Tod.
PFERD: Einverstanden. Ich bevorzuge also den Schlag mit dem Hammer. Aber, ich bitte Sie, wer auch immer das macht, er soll mich schlagen, so stark wie es nur geht. Ich möchte nach dem Schlag keine Sekunde mehr am Leben sein.
AKTIVISTIN: Oh, am Ende ein Pferd, das auf Ratschläge hört.
FLEISCHER: Den Hammerschlag übernehme ich. Meinen Schlag überlebt niemand, stimmt’s, Frau?
PFERD: Ich habe noch eine Bitte!
FLEISCHER: Ach, wie seid ihr Pferde unerträglich geworden! Das ist hier kein Wunschkonzert, sondern ein Schlachthof. Also, was für eine Bitte hast du denn?
PFERD: Die Reste, wie Kopf, Schwanz und Hufe, werfen Sie sie bitte nicht auf die städtische Mülldeponie!
FLEISCHER: Warum nicht? Möchtest du etwa, dass wir dich am Stück wegwerfen oder dass wir dich im Krematorium verbrennen lassen und deine Asche ins Meer verstreuen?
AKTIVISTIN: Oder möchtest du, dass wir dich an die Armen verschenken? Oh, wie niedlich.
PFERD: Auf der Mülldeponie weiden die Pferde aus der Siedlung. Meine Mutter geht auch oft dorthin. Ich möchte nicht, dass sie mich in so einem Zustand sieht, zerstückelt und verachtet.
FLEISCHER: Puh! Was machst du für ein Drama? Hol dich der Teufel, jetzt hast du auch mich zu Tränen gerührt! Ich komme mir fast schon wie ein Verbrecher vor. Ihr Tiere seid wirklich ganz komisch geworden. Früher haben wir euch geschlachtet, und es war kein Jammern und Klagen von euch zu hören, geschweige denn solche absurden Forderungen. Na gut, ich denke dran. Und jetzt geh und friss was. Aber wenn du noch einmal wieherst, ist es aus mit dir.
PFERD: Oh, danke, Sie sind sehr gut zu mir. Darf ich Sie auf die Wange küssen?
FLEISCHER: Nein. Na gut, ein kleines Bussi. Aber nicht mich, du kannst meine Frau küssen. Die mag das.
Das Pferd küsst die Aktivistin und entfernt sich mit wiegenden Hüften. Die Aktivistin zerfließt vor Begeisterung. Sie wurde noch nie von einem Pferd geküsst. Sie beginnt von mehr Pferdeküssen zu träumen.
10.
[In der Fleischerei. Der einheimische Inspektor, der EU-Inspektor, der Fleischer und die Aktivistin. Der EU-Inspektor schreibt in seinem Notizblock. Der einheimische Inspektor nutzt den günstigen Augenblick und spricht heimlich mit den beiden.]
INSPEKTOR: [zum Fleischer und seiner Frau, leise] Passt auf, was ihr sagt. Überlegt ganz genau, bevor ihr antwortet. Und kein Sterbenswort von der Sache mit dem Siegel. Nur Positives, verstanden?
EU-INSPEKTOR: Sagen Sie mir bitte, wie ist der prozentuelle Anteil der Geschlechter?
FLEISCHER: Ich verstehe Sie nicht, können Sie bitte die Fragen wiederholen?
AKTIVISTIN: Wir sind gleich, mein Herr, gleich, ein Mann und eine Frau, 50% Männer, 50% Frauen! Zwei Personen, wie Sie sehen!
EU-INSPEKTOR: Ich meine die Tiere, die Sie schlachten. Wie viele männliche und wie viele weibliche Rinder? Wie viele männliche und wie viele weibliche Schweine?
FLEISCHER: Wir haben so nie gezählt, ehrlich. Können Sie uns eine leichtere Frage stellen?
INSPEKTOR: Bloß keine Eile, denkt noch mal nach, bevor ihr antwortet.
AKTIVISTIN: Einen Augenblick, wir zählen sie gleich!
FLEISCHER: Frau, wie sollen wir sie zählen?
AKTIVISTIN: Geh raus und guck in die Abfalltonnen! Zähle nach, wie viele Hoden und Mösen drin liegen, und dann wissen wir es genau!
[Zum EU-Inspektor in einem schlechten Englisch] One moment! We checked how many balls and how many pussies we have!
[Der Fleischer geht hinaus.]
EU-INSPEKTOR: Ich verstehe wohl nicht!
AKTIVISTIN: Gleich verstehen Sie es.
INSPEKTOR: [zur Frau] Siehst Du, mit was für einem Schwachsinn sie sich beschäftigen. Bevor wir hierhergekommen sind, haben wir ein Restaurant besucht, und weißt du, was dieser Schwachkopf den Koch gefragt hat? Wie viele männliche und weibliche Bohnen werden gerade im Topf gekocht? Der Koch war erst verlegen, aber dann sagte er, zu gleichen Teilen, und wenn Sie mir nicht glauben, können wir sie zusammen nachzählen. Der EU-Mann wurde wütend. Aber im Bericht hat er ihm trotzdem ein Plus gegeben und sagte: „In Brüssel findet man so einen schlauen Koch nicht.“ [Der Fleischer kommt mit einem Eimer zurück, steckt die Hand rein und beginnt, die „Genitalorgane“ zu zählen, die sich darin anscheinend befinden.]
FLEISCHER: Kuh … Bulle … Kuh, noch eine Kuh … Bulle … Hengst, Stute … Hengst, Stute, Stute … Kuh …
EU-INSPEKTOR: Verdammt, was geht hier ab?
AKTIVISTIN: Er zählt noch, aber er ist gleich fertig.
FLEISCHER: Also, das Ergebnis ist: 12 Kühe, 10 Bullen, 6 Stuten, 5 Hengste.
[Ein Ziegenbock kommt herein.]
ZIEGENBOCK: Und noch drei Hoden von mir.
FLEISCHER: Wo kommst du auf einmal her, Ziegenbock, wir haben dich doch geschlachtet?!
ZIEGENBOCK: Ich bin ein Geist! Ich bringe nur meine Hoden her, weil ihr sie in eine Tonne geworfen habt. Weil ich drei hatte und auch noch sehr große.
AKTIVISTIN: Hau bloß ab! Und schäm dich. So eine Ausdrucksweise vor einer Dame und einem EU-Inspektor … [Der Ziegenbock geht weg.]
INSPEKTOR: [zum EU-Inspektor] Werter Kollege, wie Sie sehen, momentan überwiegen die Frauen.
[Der Fleischer gibt dem EU-Inspektor die Hoden des Ziegenbocks.]
FLEISCHER: Nehmen Sie sie für Ihre Frau mit. Sie sind sehr lecker.
[Der EU-Inspektor nimmt die Hoden an.]
EU-INSPEKTOR: Sie leisten eine wertvolle Arbeit. Hier wurden mehr Frauen als Männer geschlachtet. Wunderbar. Nicht einmal in Europa gibt so eine Dominanz des weiblichen Geschlechts. Mein Gott, und es gibt in Brüssel so viele Vorurteile gegenüber dem Kosovo. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben soeben 20 Punkte gewonnen. Und einen großen Freund des Kosovo. Ich werde in Brüssel bei jeder Gelegenheit gut von Kosovo reden. Ich werde die Stimme des Kosovo und sein Freund bis zu seinem Beitritt in die EU.
INSPEKTOR: Gehen wir?
EU-INSPEKTOR: Wir gehen.
FLEISCHER: Gehen wir!
AKTIVISTIN: Gehen wir!
[Die vier tun so, als ob sie gehen würden, aber in Wirklichkeit bleiben sie an ihrem Platz.]
SCHAUSPIELER 1: Und so vergehen Tage und Wochen … Die Queen weint immer noch im Mondeslicht!
SCHAUSPIELER 2: Das nach dem treulosen Austritt von Großbritannien in seinen Gefühlen verletzte Europa träumt von Kosovo. Es träumt davon, es an seinen warmen Busen zu drücken.
SCHAUSPIELER 3: Berlusconi hat wieder einen Privatbesuch bei Putin gemacht und sie haben wieder alten Wein getrunken.
SCHAUSPIELER 4: Das Ehepaar Fleischer und Aktivistin, die Personen unserer tragischen Geschichte, gehen von einem Abenteuer zum nächsten. Ihre Mission nimmt schon beinahe tragische Ausmaße an.
SCHAUSPIELER 1: Es tobt ein heftiger Wettkampf, Kosovo nähert sich der EU mit schnellen Schritten, aber Serbien nicht minder. Die ganze politische Klasse in Kosovo, Journalisten, Künstler, Markthändler, Holzfäller, Arbeiter, Jungfrauen, Greise, Räuber, Unterstützer des Terrorismus, Patrioten und noch viele andere, alle sind mobilisiert und arbeiten Tag und Nacht wie die Ameisen, um so viele Punkte wie möglich für das Europäische Kosovo zu gewinnen.
SCHAUSPIELER 2: Es herrscht Begeisterung, aber auch Angst. Was passiert – fragen die Menschen – wenn nach alledem Serbien anstelle von Kosovo der EU beitritt?
SCHAUSPIELER 3: Hoffnung und Angst haben den Himmel von Kosovo bedeckt.
SCHAUSPIELER 4: Lasst uns weiterspielen, es gibt keine Pause.
11.
Meine sehr geehrten Abgeordneten, heute möchte ich Ihnen meine Besorgnis wegen einer Katastrophe mitteilen, die dem freiheitsliebenden kosovarischen Volk zu drohen scheint. Boldemec L. A., wie Sie vermutlich wissen, ist eine Art Hormon, das Tieren gespritzt wird, damit sie an Gewicht zunehmen. Doch kürzlich bekam ich aus sicheren Quellen die Information, dass diese volksfeindliche Regierung ein chinesisches Unternehmen beauftragt hat, eine Variante des Boldemec L. A. herzustellen, die nicht nur an Tieren, sondern auch an Menschen angewendet wird Die Regierung will dieses Hormon allen Bewohnern von Kosovo, besonders den Staatsbeamten, korrupten Geschäftsleuten, Erpressern, Ungehorsamen und so weiter spritzen, damit sie sich intellektuell und psychisch verändern, zunehmen und an Qualität gewinnen, entsprechend der EU-Bürgerstandards. Ich habe den Verdacht, dass die Regierung etwas Ähnliches auch schon vor den – für sie gewonnenen – Wahlen verwendet hat. Ich habe auch einen internationalen Veterinär konsultiert und er hat mir bestätigt, dass die Anwendung des Boldemec ähnlichen Hormons bei Menschen verheerende Folgen für die Bevölkerung hätte. Sie würde sich besonders als sexuelle Impotenz, Appetitsteigerung, Husten, nächtlicher Harndrang, verzögerte Entbindung – anstatt von 9 könnten Frauen die Föten bis zu 36 Monate im Bauch behalten – und noch als eine ganze Reihe weiterer negativer Effekte auswirken.
Deswegen fordere ich im Namen der Opposition den Staatsanwalt auf, diesen Skandal zu untersuchen. Die volksfeindliche Regierung fordere ich auf, solche Experimente sofort zu unterbinden, selbst wenn der Abbruch den Verlust der historischen Chance des EU-Beitritts des Kosovo bedeuten würde.
12.
Im Schlachthof. Die einheimische Kuh frisst müde und traurig ein paar Halme Gras. Die Milka-Kuh, sauber, wohlgenährt, mit glücksstrahlenden Augen, kommt herein und geht zur einheimischen Kuh.
MILKA-KUH: Du siehst so traurig aus.
KUH: Wer spricht da?
MILKA-KUH: Ich bin die Milka-Kuh aus den Schweizer Alpen. Du hast von mir dutzende, ja vielleicht hunderte Male geträumt.
KUH: Uuaaa! Wie bist du hier reingekommen?
MILKA-KUH: Mich hält nichts auf. Ich gehe, wohin ich will. Ich bewege mich frei und kenne keine Grenzen.
KUH: Du glückliche!
MILKA-KUH: Warum bist du so traurig? Wurdest du heute nicht auf die Weide gelassen?
KUH: Noch schlimmer!
MILKA-KUH: Wurdest du zweimal am Tag gemolken?
KUH: Oh, nein – bist du naiv. Es ist noch schlimmer, das heißt viel, viel schlimmer!
MILKA-KUH: Ich verstehe nicht. Wurdest du geschlagen?
KUH: Morgen werde ich geschlachtet.
MILKA-KUH: Oh, was ist das für ein schlechter Witz?
KUH: Oh doch, Milka-Kuh, ich werde in hundert Stücke zerschnitten, mit dem großen Messer, was dort hängt.
MILKA-KUH: Oh, Gott, was für eine niederschmetternde Nachricht! Mir zittern die Knie.
KUH: Sie hätten wenigstens das verfluchte Messer wegnehmen können, damit ich es nicht vor Augen habe. Jetzt kann ich nur daran denken. Ich sehe, wie es an meinen Hals gleitet und meine schwachen Muskeln zerschneidet.
[Der Milka-Kuh wird übel.]
MILKA-KUH: Oh, was für grausame Menschen. Sag, kann ich etwas für dich tun? Wollen wir zusammen fliehen?
KUH: Ich kann nirgendwohin gehen, weil ich kein Schengen-Visum habe. Das ist mein Schicksal, liebe Traumfreundin. Das einzige, was du tun kannst, ist, mir zu helfen einzuschlafen. Erzähl mir doch ein Märchen!
MILKA-KUH: Oh, ich Arme, ich weiß kein Märchen!
KUH: Dann erzähle mir von dir, wie du lebst, wie dein Alltag aussieht, wie viel Milch du gibst, wie du behandelt wirst … Ich will nur Schönes hören, damit ich aus diesem Leben mit dem Traum scheide, dass irgendwo in der Welt, die ich verlasse, glückliche Kühe leben.
MILKA-KUH: Höre mir also zu … Schließe die Augen und lasse deine Fantasie schweifen. Ich lebe in den Wäldern oberhalb der Stadt Locarno. Die Hügel sind bedeckt mit Weiden, und ich muss nie mehr als zehn Schritte laufen, um satt zu werden. Am Fuße der Hügel befinden sich Kastanienwälder und darunter liegt die Stadt. Auf einer Seite sieht man den See und auf der anderen den Fluss. Nicht weit davon sieht man auch das Fünf-Sterne-Hotel von Behxhet Pacolli. Es ist ein märchenhafter Anblick. Außer den Weiden gibt es für mich überall auch Wasser. Ich fresse nur Bionahrung und man lässt es nicht zu, dass ich Kraftfutter fresse. Ich werde morgens gemolken, während ich den Tages-Anzeiger lese. Ich gebe normalerweise 30 Liter Milch. Die Milch wird in die Fabrik gebracht, wo daraus Schokolade hergestellt wird. Hast du mich auf dem Foto auf der Schokolade gesehen? Ja, da bin ich drauf. Ich bin glücklich und habe keine Sorgen. Ich werde liebevoll behandelt, und die Bullen ficken mich ständig, wann und wo immer ich will.
Die kosovarische Kuh schläft ein. Sie schnarcht. Die Milka-Kuh deckt sie mit einer Decke zu, schwingt leicht ihre Glocke und singt fröhlich.
Ich lebe in den Schweizer Alpen Ich kenne kein Leid und keinen Kummer Ich gehe frei spazieren und fresse Gras, wo ich will Europa ist meine Weide, o hey Ich liebe dich Locarno, ich liebe dich Der schönste Ort in der Welt Ich bin Schweizerin, Gott hat mich gesegnet Die Schweiz ist das Paradies auf Erden
13.
[In der Fleischerei. Fleischer und Aktivistin schneiden Fleisch. Ein Kunde kommt herein.]
KUNDE: Guten Tag, haben Sie Schweinefleisch?
FLEISCHER: Jein!
AKTIVISTIN: Sind Sie Moslem oder Katholik?
KUNDE: Ist das wichtig? Ich bin Buddhist.
AKTIVISTIN: Nehmen Sie uns die Frage nicht übel, aber wir leben in schweren Zeiten. Wir haben früher gar kein Schweinefleisch verkauft, aber jetzt verkaufen wir es um der nationalen Frage willen.
FLEISCHER: Alles zu seiner Zeit. Sie wollen Schweinefleisch, Sie bekommen es. Wie viel Kilo? Wir haben gerade ein leckeres Ferkel frisch geschlachtet. KUNDE: 10 Kilo.
[Der Fleischer holt das Fleisch.]
AKTIVISTIN: Ich wusste nur, dass es im Kosovo Moslems, Katholiken, Orthodoxe, Protestanten, Wahabiten, Atheisten, Derwische und sonst wen noch gibt, aber dass es auch Buddhisten gibt, das war mir nicht bekannt.
KUNDE: Ich bin erst vor kurzem zum Buddhismus konvertiert. Ohne einen nennenswerten Grund, einfach nur, um der erste buddhistische Kosovare zu sein. Früher war ich auch schon Bahaist, Katholik, Moslem, Konfuzianer und Jude.
AKTIVISTIN: Wie interessant.
[Der Fleischer kommt mit dem Fleisch in der Tüte. Der Kunde zahlt und geht. Der Inspektor kommt herein.]
FLEISCHER: Herr Inspektor, das ist nicht fair!
AKTIVISTIN: Wir sind am Ende. Wenn wir das verdammte Siegel nicht schon bald bekommen, müssen wir schließen. Die Kunden bleiben aus. Sobald sie merken, dass unser Fleisch kein Siegel hat, verlassen sie schimpfend den Laden.
INSPEKTOR: Aber warum denn gleich so pessimistisch?
FLEISCHER: Ich bin eine optimistische Natur, aber was zu viel ist, ist zu viel. Wo ist das Siegel?
AKTIVISTIN: Wir haben alle unsere Verpflichtungen erfüllt.
INSPEKTOR: Ich verstehe Sie sehr wohl. Und ich weiß auch, dass die bürokratischen Prozeduren oft nervig sind. Sie bekommen das Siegel – das garantiere ich Ihnen mit meinem Namen. Aber zunächst möchte ich Sie um einen Gefallen bitten.
FLEISCHER: Ja, sagen Sie!
INSPEKTOR: Es ist mir unangenehm, weil ich fürchte, dass Sie mich missverstehen könnten.
FLEISCHER: Sagen Sie es nur frei heraus, wir verstehen Sie schon richtig.
INSPEKTOR: Sie wissen wohl, dass der Ministerpräsident an einer seltenen Krankheit leidet!
AKTIVISTIN: Nein, noch nie was davon gehört!
INSPEKTOR: Aber, pst! Das ist ein Staatsgeheimnis. Jawohl, der Ärmste leidet an Kopfweh. Einmal in der Woche bekommt er Kopfweh und dann verliert er die Selbstkontrolle und fasst sonderbare Beschlüsse, er verschenkt Land an die Nachbarstaaten, vergibt Staatsaufträge an die eigenen Söhne, nennt den Oppositionsführer ein Pferd und lauter solche sonderbaren Dinge.
FLEISCHER: Oh weia! Diese Krankheit ist wirklich kein Spaß!
AKTIVISTIN: Oh wie schlimm! Jetzt verstehe ich, warum sich manche wichtigen politischen Prozesse so in die Länge ziehen!
INSPEKTOR: Jawohl, und er versucht aus allen Kräften, wieder gesund zu werden, aber es klappt nicht. Als er beispielsweise gestern wieder einmal Kopfweh hatte, ist er aufs Dach des Regierungsgebäudes geklettert und hat aus voller Kehle geschrien: „Ich trete nicht zurück, ich trete nicht zurück!“ Dabei hat niemand seinen Rücktritt gefordert.
FLEISCHER: Armer Bursche, und ich habe ihn auch noch gehasst. Das war ungerecht von mir, merke ich gerade. Jetzt tut er mir richtig leid.
INSPEKTOR: Ja, genau, und da wir gerade dabei sind, gestern hat er mich um etwas Ungewöhnliches gebeten. Um es kurz zu machen, der Ministerpräsident hat wegen seiner Krankheit eine Wahrsagerin konsultiert.
FLEISCHER: Wirklich?
AKTIVISTIN: Ich hoffe ja nur, dass Sie uns jetzt nicht sagen, dass wir wieder Bestechungsgeld zahlen sollen. Wir sind blank und haben nur noch unser nacktes Leben. Wir sind vollkommen ruiniert.
INSPEKTOR: Ich bitte Sie, ziehen Sie das nicht ins Lächerliche. Begreifen Sie denn nicht, dass es um die Gesundheit des Ministerpräsidenten und um die Zukunft des Landes, um Kosovo in der EU geht? Aber ich habe es gewusst, dass Sie mich missverstehen werden. Ich gehe jetzt.
FLEISCHER: Aber nicht doch! Meine Frau hat es nicht böse gemeint. Sagen Sie uns bitte, was wir für den Ministerpräsidenten tun können?
INSPEKTOR: Also gut, dann bleibe ich noch ein bisschen. Es handelt sich um etwas, was nur Sie tun können und niemand sonst in ganz Kosovo. Würden Sie das übernehmen?
FLEISCHER: Aber sicher doch, selbst um den Preis des Lebens von zehn Kühen und zwanzig Pferden!
AKTIVISTIN: Wenn es um die nationale Sache geht – ja, wir sind bereit.
INSPEKTOR: Sehr gut. Ich habe gewusst, dass Sie vertrauenswürdige Personen sind.
FLEISCHER: Was sollen wir tun?
INSPEKTOR: Die Wahrsagerin hat dem Ministerpräsidenten geraten, Giraffenfleisch zu essen. Genauer gesagt, den Giraffenhals. So wird der Ministerpräsident wieder gesund.
FLEISCHER: Wunderbar, wunderbar! Ist ja keine große Sache. Nur, wir haben ja im Kosovo keine Giraffen!
AKTIVISTIN: Richtig, mir ist auch noch nie eine aufgefallen!
INSPEKTOR: Aber vielleicht im Zoo?
FLEISCHER: Ach du Schreck, wir haben ja keinen Zoo!
INSPEKTOR: Aber in Mazedonien gibt es einen, in Skopje. Und Sie schaffen es, Sie müssen es schaffen. Sie schaffen es schon irgendwie. Skopje ist ja nicht weit. Und die Mazedonier schulden uns sowieso etwas. Sie haben uns die Geschichte gestohlen oder etwas ähnliches. Aber lassen wir die Vergangenheit. Tun Sie es! Für den Ministerpräsidenten. Er wird sich sehr freuen. In ein paar Tagen hat er Geburtstag. Wir hätten ein Geschenk für ihn. Tun Sie es – für das Wohl des Kosovo.
[Ein Schwein kommt herein.]
SCHWEIN: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber ich möchte Ihnen sagen, falls Sie keine Giraffe finden, wäre ich bereit, mich für den Ministerpräsidenten freiwillig zu opfern. Ich mag ihn sehr und ich bin sicher, dass er mich auch mögen wird.
INSPEKTOR: Oh, was für ein süßes Schwein. Kann ich es für meine Tochter Hillary geschenkt bekommen? Sie liebt Schweinchen!
[Der Inspektor geht zum Schwein, das Schwein flüchtet.]
14.
Im Schlachthof. Ein Pferd, eine Kuh, ein Schwein, eine Maus, ein Schaf und andere Tiere haben sich für ein gemeinsames Ziel versammelt.
PFERD: Sehr verehrte Kollegen, ich habe euch zu dieser außerordentlichen Versammlung eingeladen, um unsere aktuelle Lage zu diskutieren. Wir alle werden, wie hinlänglich bekannt, früher oder später geschlachtet. Dennoch ist das Geschlachtetwerden nicht unser einziges Thema. Wir leben in einer Zeit des Schreckens und des Terrors. Eine Kollegin von uns, die kluge und nette Giraffe, wurde vor ein paar Tagen aus dem Zoo in Skopje entführt und ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Wir Tiere sind nicht mehr sicher. Ich war im Nationaltheater und habe mir das Stück „Farm der Tiere“ angeschaut. Geht hin und seht euch an, wie die Menschen selbst mit den Mitteln des Theaters versuchen, unter uns Tieren Zwietracht zu säen. Deswegen habe ich diese Versammlung einberufen, um unsere Position zu klären. Heute ist der Augenblick gekommen, um uns zu vereinen.
KUH: Seit mehr als tausend Jahren werden in diesem Schlachthof Kühe geschlachtet, aber bis heute ist keine einzige solche Versammlung überliefert. Wenn schon zu keinem anderen Zweck, dann wenigstens, um über unsere gemeinsamen Sorgen zu klagen. Bravo, Pferd, bravo, dass du diese Versammlung einberufen hast!
SCHWEIN: Ja nun, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, um genau zu sein, die Versammlung haben wir gemeinsam konzipiert, ich und das Pferd. Aber das soll nicht weiter wichtig sein, weil wir euch nicht zusammengerufen haben, um geehrt und ausgezeichnet zu werden, sondern um mit euch über unsere schwierige Lage zu diskutieren. Dass ihr es wisst, auf unsere Kosten werden schmutzige und keine geringfügigen, sondern richtig große, internationale Geschäfte gemacht.
SCHAF: Wir Schafe erklären uns mit dem Standpunkt des Pferdes einverstanden, dass wir diese Praktiken verhindern müssen – wenn wir können!
MAUS: Das hat das Schwein gesagt, nicht das Pferd.
SCHAF: Autsch! Wir sind ganz aufgeregt. Wir haben noch nie an etwas so Bedeutendem teilgenommen. Wir sagen nichts mehr.
SCHWEIN: Ganz im Gegenteil, alle sollen was sagen, um unsere Befürchtungen offen auszusprechen.
PFERD: Wie ihr wisst, es wird von dem möglichen Beitritt des Kosovo in die EU gesprochen. Mir erscheint es unwahrscheinlich, aber möglich ist alles.
SCHWEIN: Bei genauerer Betrachtung können sogar wir von Kosovos EU-Beitritt profitieren. Mir ist ein EU-Dokument von 2000 Seiten in die Hand gefallen, in dem unter anderem die Rede von uns Tieren, von der Fleischindustrie und ähnlichen Dingen ist, aber ich hatte keine Zeit, es zu lesen, weil ich mich für diese Versammlung vorbereitet habe.
PFERD: Was wir über dieses Dokument mit Sicherheit wissen, ist irgendein Siegel …
KUH: Ein Siegel
SCHWEIN: Ja, leider.
SCHAF: Wir stimmen dem Gedanken des Pferdes zu!
PFERD: Laut diesem Dokument, muss das Handelsfleisch ab sofort ein Siegel tragen. Und das ist für mich beleidigend. Das ist beleidigend für unser tierisches Wesen.
SCHWEIN: Und es ist nicht nur beleidigend, es ist auch entwürdigend und erniedrigend, es ist … es ist … Aber wir sind ja Tiere, verdammt, und keine Esel, dass man uns so verhöhnt.
KUH: Oh, ich Ärmste. Nicht nur, dass sie uns schlachten und zerstückeln, sie wollen uns auch noch entehren, indem sie unser Fleisch mit dreckigen Siegeln beflecken.
MAUS: Was für eine Gemeinheit. So einen Irrsinn können sich nur die Europäer ausdenken.
PFERD: Das Fleisch einer Kuh, die beim Schlachten aus irgendeinem Grund an Migräne leidet, darf nicht verkauft werden, weil es das blöde Siegel nicht bekommt, das die sogenannte Fleischqualität garantiert.
SCHWEIN: Kurzum, ich bin gegen das Siegel, unter allen Umständen.
KUH: Ich bin auch dagegen.
SCHAF: Wenn das Pferd dagegen ist, sind auch wir Schafe dagegen.
MAUS: Moment mal, so leicht ist es auch wieder nicht. Ihr seid dagegen, na und? Was heißt das schon, dass ihr dagegen seid?
KUH: Maus, du hast kein Recht, dich einzumischen! Du wirst nicht geschlachtet. Letztendlich profitierst du von unserem Fleisch genauso wie die Menschen!
MAUS: Wie bitte? Wie kannst du überhaupt so etwas sagen? Mein Herz ist durchdrungen von Trauer um die Tiere, deren grausames Schlachten ich gesehen habe! Wie könnt ihr mich mit den Menschen vergleichen, wo ich sie doch aus tiefer Seele hasse. Durch mein Schicksal bin ich dazu verurteilt, in diesem Schlachthof zu leben, und nicht, weil ich es selber will, sondern weil es so geschrieben steht. Wenn ihr mich loswerden wollt, zeigt mir einen Ort, wo Frieden herrscht. Überall nur Gewalt, Demos, Tränengas, radioaktive Fliesen auf Stadtplätzen, Männer mit Sprengstoffgürteln, Denkmäler für Lebende und Tote mit der Waffe in der Hand …
PFERD: Schon gut, werde nicht pathetisch. Bleib hier, aber halte uns keine Moralpredigten.
SCHWEIN: Die Maus hat was Richtiges gesagt. Es reicht nicht, dagegen zu sein, sondern wir müssen unsere Haltung öffentlich machen.
KUH: Und wen kümmert unsere Haltung? Wir können doch eh nichts ändern.
PFERD: Wir müssen unsere Haltung den EU-Verantwortlichen mitteilen, die so tun, als ob sie die Rechte der Tiere und sonstigen demokratischen Schnickschnack wahren.
SCHWEIN: Gute Idee.
KUH: Einverstanden!
SCHAF: Wir Schafe erklären uns mit dem Pferd einverstanden.
SCHWEIN: Wir sollten ein Schreiben aufsetzen!
PFERD: Eine politische Denkschrift.
KUH: Können wir das vielleicht anders nennen, weil es sonst irgendwie … sehr ambitioniert klingt?
SCHWEIN: Dann also „Erklärung“! Politische Erklärung der Schlachttiere im Kosovo.
SCHAF: Nieder mit Großbritannien!
[Alle schauen es verwundert an.]
SCHAF: Wurde nicht gesagt, dass Großbritannien an diesem ganzen Durcheinander schuld ist!?
Von draußen hört man die Stimme des Fleischers, der sich wegen des Siegels beklagt. Seine Frau, die Aktivistin, hört man weinen. Der Fleischer nimmt sie in die Arme, drückt sie an seine Brust und sagt etwas wie „das verfluchte Europa“.
Die armen Tiere, die eine so wichtige Frage diskutiert haben, erschrecken sich vor diesem Unglück, vor den Flüchen des Mannes und der Frau. Traurig gehen sie auseinander.
15.
Eine Straße in Prishtina. Es regnet. Der Fleischer und die Aktivistin, müde und nass vom Regen, gehen an Graffitis vorbei. Sie bleiben stehen und lesen. „Die EU ist des Kosovo würdig!“ „Ein fauler Apfel steckt den ganzen Korb mit Äpfeln an. Nein zu Serbien in Europa.“ „Qualitätskondome – bestens getestet von Angela Merkel!“ „Nieder mit dem Kapitalismus, es lebe der Sozialismus.“
AKTIVISTIN: Und ich war so idealistisch – ich habe geglaubt, dass aus diesem Land etwas werden kann und dass am Ende alles in Ordnung kommt!
FLEISCHER: Ich verstehe nicht, warum die Vergabe des verfluchten Siegels so kompliziert sein muss!
AKTIVISTIN: Wir haben als Bestechung 15 Lämmer, 7 Kühe, 36 Schweine und die Giraffe gegeben, und trotzdem kriegen sie den Rachen nicht voll, sie wollen mehr! Aber wir geben nichts mehr! Wir zeigen sie an!
FLEISCHER: Bloß nicht! Die Anzeige kann uns noch einmal so viel kosten, wie wir schon bis jetzt ausgegeben haben, wenn nicht noch mehr! Glaubst du etwa, dass die Richter bessere Menschen sind? Sie scheren dich kahl wie ein Schaf.
AKTIVISTIN: Es ist aus mit uns, vorbei! Und an allem ist Großbritannien schuld. Wir waren so gut und alles lief. Jetzt glaube ich nicht mehr an die EU und auch sonst an nichts.
FLEISCHER: Wäre die Hure brav in der EU hocken geblieben, hätte es dieses Desaster gar nicht erst gegeben! Jetzt glaube ich auch nicht mehr an die EU und auch sonst an nichts.
Sie gehen weiter. Dann bleiben sie wieder stehen und schauen in die Fenster eines Restaurants. Drinnen sieht man den Ministerpräsidenten, den Inspektor und andere Leute beim üppigen Abendessen.
FLEISCHER: Sehen meine Augen richtig, ist das dort der Ministerpräsident?
AKTIVISTIN: Er ist es wirklich. Aber warum tanzt er auf dem Tisch?
FLEISCHER: Scheinbar feiern sie etwas. Nicht dass wir der EU beigetreten sind und wir haben es nicht gemerkt? In diesem Land finden große Ereignisse immer so schnell und irgendwie unbemerkt statt.
AKTIVISTIN: Gut möglich! Aber schau da – auf dem Tisch liegt ja der Giraffenhals! Ich kann es nicht glauben – er isst ihn gemeinsam mit der Blondine!
FLEISCHER: Und wir haben geglaubt, dass er wirklich krank ist!
AKTIVISTIN: Schau mal, wie sie auf Kosten des Volkes prassen! Na wartet, jetzt zeige ich es euch. Ich schlage die Scheibe ein und zeige es euch allen!
Die Aktivistin nimmt Anlauf, der Fleischer will sie festhalten, aber er schafft es nicht. Die Aktivistin dringt ein und fällt auf den Tisch des Ministerpräsidenten. Chaos.
MINISTERPRÄSIDENT: Attentat, Attentat!
FLEISCHER: Halt‘s Maul, du Schwein!
[Erstaunt schauen alle den Fleischer an.]
FLEISCHER: Ich meinte es nicht ernst! Berufskrankheit! Wissen Sie, Herr Ministerpräsident, ich arbeite als Fleischer und …
MINISTERPRÄSIDENT: Das ist ein Anschlag auf die Institutionen der Republik Kosovo! Wachen, Wachen …!
AKTIVISTIN: Wo ist das Siegel?
INSPEKTOR: Ich bitte Sie … Das hat doch keinen Sinn … Was ist das für eine Tücke! Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie das Siegel bekommen! Wie können Sie den Präsidenten so belästigen!
MINISTERPRÄSIDENT: Den Ministerpräsidenten!
INSPEKTOR: Meine ich ja!
FLEISCHER: Wegen dem verfluchten Siegel habe ich die Giraffe geraubt, die Sie gerade essen. Da wir gerade davon reden, kann ich ein Stück kosten? Ich habe noch nie im Leben Giraffenfleisch gegessen!
MINISTERPRÄSIDENT: Sie waren das? Sie sind mein Held. Das war der Wunsch meines Lebens. Schon als Kind wollte ich den Giraffenhals kosten. Aber bitte, Ihr Verhalten ist nicht in Ordnung, Sie behindern eine Amtsperson im Dienst. Polizei, wo ist die Polizei?
AKTIVISTIN: Das Siegel oder wir bleiben hier.
MINISTERPRÄSIDENT: Was für ein Siegel wollen die denn?
INSPEKTOR: Das ist so ein Siegel, das für das Handelsfleisch als Nachweis verlangt wird, dass es kontrolliert wurde und den Qualitätskriterien entspricht. Das ist eine Forderung aus dem Dokument „Kosovo und 3000 einfache Vorschriften für den Weg nach Europa“.
MINISTERPRÄSIDENT: Dann gebt ihnen das verfluchte Siegel endlich. Von mir aus zehn, damit sie uns in Ruhe lassen!
INSPEKTOR: Jawohl, aber in den letzten Tagen haben wir so viele EU-Kontrollen gehabt und es war einfach nicht zu schaffen, und ansonsten habe ich ihnen schon mal gesagt, dass sie es bekommen! Kommt doch morgen in mein Büro!
AKTIVISTIN: Wir sind wegen des Siegels schon zur Genüge durch die Büros gerannt. Wir wollen es jetzt!
FLEISCHER: Ja, genau! Das Siegel oder wir beschweren uns in Brüssel!
MINISTERPRÄSIDENT: SCHEISSE! IHR KÖNNT nichts außer euch beschweren! Ein unzufriedenes Volk! Gibt es in meiner Aktentasche irgendein Siegel, das wir ihnen geben können?
INSPEKTOR: Keins, nur …! MINISTERPRÄSIDENT: Nur?
INSPEKTOR: Nur das „Präsidentensiegel“!
MINISTERPRÄSIDENT: Was sucht denn das Präsidentensiegel in meiner Aktentasche? Ach! Schon o.k., jetzt fällt es mir wieder ein – wir haben es gebraucht, um die Präsidentenverdienstmedaille für unseren Freund, den Präsidenten von Uruguay, José Mujica, zu dekretieren.
INSPEKTOR: Oh ja, was für ein ausgezeichnetes Gedächtnis Sie haben, Herr Ministerpräsident.
MINISTERPRÄSIDENT: Gib ihnen das Siegel, dann sind wir sie los!
INSPEKTOR: Meinen Sie?
MINISTERPRÄSIDENT: Aber sicher, sie sollen verschwinden, und wir setzen die Party fort!
[Der Inspektor holt aus der Aktentasche ein Siegel und gibt es ihnen. Der Fleischer und die Aktivistin nehmen es und gehen wieder.]
MINISTERPRÄSIDENT: Ich hoffe nur, dass sie damit keinen Missbrauch treiben.
INSPEKTOR: Ich glaube nicht. Das sind ehrliche Leute. Sie brauchen es einfach für ihre Arbeit – um zum Verkauf den Hintern von Schweinen, Pferden und Kühen zu stempeln!
16.
Ein Traum. Das Ende eines Boxkampfes. Gleich wird der Sieger benannt. Auf der einen Seite befindet sich unser Fleischer, in der Mitte der Ringrichter, und auf der anderen Seite der serbische Gegner. Beide sehen erschöpft aus. Die sexy Moderatorin macht uns unterdessen mit den Details bekannt.
MODERATORIN: Danke für das Kompliment. Also, meine Damen und Herren, das war zweifelsfrei einer der eindrucksvollsten Kämpfe in der Boxgeschichte hier in Brüssel. Auf der einen Seite hatten wir den besten Boxer aus dem Kosovo, auf der anderen Seite den besten Boxer aus Serbien. In einigen Augenblicken kürt der Schiedsrichter der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, den Sieger. Beide Boxer, der kosovarische und der serbische, sind voller Spannung. Wie Sie wissen, ermöglicht der Sieger seinem Land den Beitritt in die EU. Wir erinnern noch einmal daran, dass es sich um einen notwendigen Wettkampf gehandelt hat, der nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU organisiert wurde.
[Der Ringrichter fasst die Gegner an der Hand.]
MODERATORIN: 5, 4, 3, 2, 1.
[Der Schiedsrichter hebt den Arm des serbischen Boxers hoch.]
MODERATORIN: Der serbische Boxer hat gewonnen. Serbien tritt der EU bei. Herzlichen Glückwunsch, Serbien, herzlichen Glückwunsch, serbisches Volk zu diesem wohlverdienten Sieg.
FLEISCHER: Hey, das ist nicht richtig. Das ist eine Verschwörung. Ich war viel besser, ich habe ihn zwölfmal zu Boden geschickt und geschleift und habe ihm den Kiefer gebrochen. Das ist ein Irrtum … Hey, hören Sie mir zu?! Sie müssen den Irrtum korrigieren!
SERBISCHER GEGNER: Diesen Sieg widme ich meinem Volk. Ich bin glücklich, dass Serbien ab morgen mit der EU vereint ist. Ich danke meiner Mutter Slavica, meinem Bruder Zoran. Meinen Schwestern Zorica und Danica und meinen beiden Katzen Zorica und Danica.
MODERATORIN: Was für ein berührender Augenblick. Herzlich willkommen, Serbien, herzlich willkommen in der EU, wo du hingehörst.
[Der Fleischer nimmt der Moderatorin das Mikro weg.]
FLEISCHER: Verschwörung! Ich werde mich beim Gericht in Straßburg beschweren. Das ist eine historische Ungerechtigkeit. Annulliert sie oder ich beginne den vierten oder den fünften Weltkrieg … Hey, wir haben alle Verpflichtungen erfüllt! Kosovo verdient es, vor Serbien der EU beizutreten. Wir haben viel mehr Punkte gewonnen. Hast du keine Augen, Europa? Die da schlagen doch immer noch ihre Frauen. Die verkaufen Fleisch ohne Siegel und ihre Polizisten kann man mit einem Eis korrumpieren. Die haben noch keine Gay-Parade, während bei uns im Kosovo die Hälfte der Parlamentarier gay sind. Hey, annulliert diesen Sieg! Treibt kein falsches Spiel mit dem armen Kosovo.
SERBISCHER GEGNER: Ein besonderer Dank gilt natürlich meinem Geliebten Filip, der mich die ganzen Jahre unterstützt hat.
MODERATORIN: Wie nett! Was für ein friedvolles Volk, diese Serben. Ich verstehe nicht, wieso sie vor ein paar Jahren von der NATO bombardiert wurden. Sie sind ja wahre Engel.
FLEISCHER: Ich fick deine Mutter, du schwule Sau.
[Der serbische Gegner wird zornig und verpasst dem Fleischer einen Kinnhaken. Der Fleischer geht zu Boden.]
FLEISCHER: Hey!!! Macht doch was! Stoppt diese Ungerechtigkeit der Hexe Europa.
Der Fleischer schreit und winselt im Schlaf. Die Aktivistin kommt herein und versucht ihn zu wecken.
FLEISCHER: Die werden Europa genauso zerstören, wie sie Jugoslawien zerstört haben. Hey, die tragen ja Russland in ihrem Herzen und Europa wollen sie nur aus Berechnung.
AKTIVISTIN: Hey! Wach auf! Du träumst. Los, die Schweinelieferung ist da.
FLEISCHER: Frau, Serbien ist der EU beigetreten!
AKTIVISTIN: Das hast du nur geträumt, wach jetzt auf.
[Der Fleischer wacht auf.]
FLEISCHER: Ach so? Habe ich das wirklich nur geträumt?
AKTIVISTIN: Natürlich! Wie konntest du hier überhaupt schlafen, auf den Fleischstücken?
FLEISCHER: Oh Gott, was für ein Alptraum!
Der Fleischer kommt langsam zu sich. Die Aktivistin stempelt ein paar Stück Fleisch mit dem Präsidentensiegel.
FLEISCHER: Ich glaube, wir haben es geschafft. Wir müssen nur noch mit den Schrecken der Vergangenheit fertig werden. Die Kunden kommen langsam wieder zurück. Super, super!
AKTIVISTIN: Wir haben viel gelitten, aber es ist wieder alles gut geworden! Selbst wenn Kosovo der EU nicht beitritt, haben wir wenigstens ein reines Gewissen und es ist nicht unsere Schuld.
FLEISCHER: Mhm! Nicht unsere Schuld. Schließlich haben wir Kosovo 20 europäische Punkte eingebracht. AKTIVISTIN: Ich kann gar nicht glauben, dass wir so toll waren. Aber Kosovo verdient noch mehr.
FLEISCHER: Mhm, noch mehr!
AKTIVISTIN: Mhm, noch viel mehr als mehr!
FLEISCHER: Lass uns was machen!
AKTIVISTIN: Was denn so?
FLEISCHER: Etwas, was wir schon lange nicht gemacht haben!
AKTIVISTIN: Machen wir es! Warum sollten wir es nicht machen? Was machen wir?
FLEISCHER: Küssen wir uns?
AKTIVISTIN: Küssen wir uns! Wir haben es verdient!
FLEISCHER: Aber ohne Kondom!
AKTIVISTIN: Ja, ja, wir riskieren es ohne Kondom!
FLEISCHER: Nach so langer Zeit haben wir uns richtig gutes Küssen verdient!
AKTIVISTIN: Ja, endlich sind wir füreinander da!
Sie wollen sich küssen. Der Kriminaltechniker kommt herein. Auf dem Rücken trägt er eine Gasflasche wie zum Besprühen von Obstbäumen.
KRIMINALTECHNIKER: Unterlassen Sie jede Aktivität! Das ist ein Befehl.
FLEISCHER: Was geht hier ab, verdammt?
AKTIVISTIN: Wer sind Sie?
[Der Kriminaltechniker sprüht im Raum herum.]
KRIMINALTECHNIKER: Ich bin Kriminaltechniker vom EU-Büro!
FLEISCHER: Mann, was suchen Sie hier? Sie haben sich wohl in der Adresse geirrt!
AKTIVISTIN: Können wir Ihnen weiterhelfen?
KRIMINALTECHNIKER: Wir haben die Information, dass hier während des Krieges illegale Nieren-, Leber- und in einigen Fällen Herz- und Magentransplantationen vorgenommen wurden.
AKTIVISTIN: Mann, ticken Sie noch richtig? Dieser Ort ist seit tausend Jahren eine Fleischerei.
FLEISCHER: Frau, ist das jetzt etwas Gutes oder Schlechtes, ich verstehe das nicht.
AKTIVISTIN: Mein Herr, Sie wurden falsch informiert, das ist eine reguläre Fleischerei. Das hier verkaufte Fleisch erfüllt alle Standards. Schauen Sie – jetzt haben wir auch das Siegel!
FLEISCHER: Hey, was verspritzen Sie da?
KRIMINALTECHNIKER: Ich prüfe, ob es Blutspuren gibt. Wenn ja, haben Sie ein Problem. Dieser Schlachthof wird geschlossen.
AKTIVISTIN: Aber natürlich gibt es Blutspuren. Wir verkaufen hier Fleisch. Im anderen Raum hinten ist der Schlachthof, wo Tiere geschlachtet werden. Dort im Schlachthof habe ich sogar meine Jungfräulichkeit verloren.
FLEISCHER: Erklär mir das bitte, Frau, was ist hier los?
AKTIVISTIN: Er beschuldigt uns der Kriegsverbrechen, des Organhandels und was weiß ich noch!
FLEISCHER: Sag bitte diesem Herrn, dass wir die Opfer sind und dass er die Kriegsverbrecher woanders findet. Gehen Sie nach Serbien, mein Herr. Dort haben Sie was zu tun, nicht hier.
KRIMINALTECHNIKER: Lassen Sie mich bitte meine Arbeit machen. Und, werter Kollege, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass das, was Sie gerade gesagt haben, nicht im Text steht. Hüten Sie Ihre Zunge und achten Sie darauf, was Sie sagen.
FLEISCHER: Ist mir doch egal.
AKTIVISTIN: Das können Sie doch nicht machen. Wir lassen es nicht zu, dass Sie uns so behandeln.
Der Fleischer stürzt sich auf den Kriminaltechniker. Er besprüht den Fleischer und danach auch die Frau. Beide laufen kopflos umher, weil sie nichts sehen.
FLEISCHER: Ich bin blind, ich kann nicht sehen. Hilfe …!
AKTIVISTIN: Wir verdienen den EU-Beitritt, hey …! Das ist unfair. Oh Europa, du alte Hexe!
FLEISCHER: Wie sollen wir diesem Schwein erklären, dass wir neuerdings auch Schweinefleisch verkaufen?
AKTIVISTIN: Und wir verkaufen es nicht nur, wir essen es auch.
FLEISCHER: Hilfe …
AKTIVISTIN: Hilfe …
Aus dem Schlachthof kommen Kuh, Pferd, Schaf … Es entsteht Chaos. Dann fallen alle, Menschen und Tiere, zu Boden. Es wird still. Der Kriminaltechniker lässt das Spritzen, zieht sich weiße Handschuhe an und sucht nach Blutspuren.
KRIMINALTECHNIKER: Blutspuren! Hier auch. Überall. Handfeste Beweise begangener Verbrechen. Dieser Ort muss für die nächsten zehn Jahre geschlossen bleiben, bis die Verbrechen vollständig aufgeklärt sind. Die Untersuchungen werden fortgesetzt.
Gleich danach öffnet sich die Tür des Schlachthofes. Das Schwein kommt heraus. Der Kriminaltechniker und das Schwein sehen einander an. [Das Schwein holt ein Blatt hervor und liest.]
SCHWEIN: Denkschrift, oder einfacher gesagt, Erklärung. Erklärung der vereinigten Schlachttiere im Kosovo Eingedenk der aktuellen politischen Krise in Europa, eingedenk des guten Willens des Kosovo, Europa aus der Krise zu retten, erklären wir, die vereinigten Schlachttiere im Kosovo: Wir unterstützen vorbehaltlos den Weg Kosovos in die EU, wie wir auch vorbehaltlos den Weg der EU in den Kosovo unterstützen; Wir sind einverstanden, auf jegliche Art geschlachtet zu werden, die die EU für die beste und würdigste für uns erachtet; Wir fordern, dass bei unserer Schlachtung unbedingt ein EU-Beamter anwesend ist; Wir fordern Großbritannien auf, in die EU zum Wohle der Menschen und insbesondere zum Wohle der armen britischen Tiere zurückzukehren; Wir begrüßen die Gründung der Union der vereinigten Tiere der Türkei und begrüßen die Wahl des Vater-Schweins zum Vorsitzenden; Wir beten um Frieden auf der ganzen Welt und sind gegen Gewalt; Wir sind dagegen, dass unser Fleisch vor dem Verkauf gestempelt wird. Vor allem sind wir dagegen, dass das „Präsidentensiegel“ verwendet wird. Dennoch sind wir der historischen Prozesse wegen bereit, mit der Regierung von Kosovo und mit offiziellen Vertretern aus Brüssel in einen Dialog zu treten.
Gezeichnet Großes Schwein Vorsitzender
[Der Raum füllt sich mit Rauch. Aus dem Hintergrund hört man andere Tiere, die das Lied singen, das eine vereinfachte Variante von Carmina Burana – „O Fortuna“ – darstellt. Falls das Lied nicht gesungen werden soll, kann das Stück auch mit dem Original von Carmina Burana enden.]
CHOR DER TIERE
O, Fortuna Wir sind in der Krise Es geht uns schlecht Wir haben keine Arbeit Wir haben keine Visa Wer hat uns verflucht Wer hat uns betrogen Wir ertragen es nicht mehr, nein, wir ertragen es nicht Jede Regierung Hat uns verarscht Und in die Tiefe gestoßen Wir wissen nicht, ob es noch schlimmer werden kann Genug der Lügen Genug des Verrats Wir fressen kein Gras Nieder mit dieser Regierung Wir ertragen es nicht mehr, wir ertragen es nicht Mit dem Update von Status Protestieren wir auf Facebook Wacht auf, Männer Wacht auf, Frauen Wacht auf, Hühner Wacht auf und legt euch wieder hin Klopf-klopf-klopf-klopf Europa, mach uns die Tür auf, Lass uns nicht draußen Nimm uns wieder an deine Brust Wir haben genug gelitten Wir haben uns genug gefürchtet Das war es Wir machen Schluss, weil wir müde sind Und wenn euch das Stück nicht gefallen hat Geht doch nach Brüssel und beschwert euch Beschwert euch
Ende
Prishtina – Ulcinj, Juni – August, 2016
© S. Fischer Verlag 2016