Hier ist es also. Im äußersten Norden der wunderschönen Stadt Amsterdam, direkt an der „Waterfront“. Man blickt auf die Tanker im Hafen, hat den Wind auf der Haut und das Meersalz in der Nase – ausgerechnet hier spielt das Stück „Anne“ nach dem legendären Tagebuch der Anne Frank, dem vielleicht bedeutendsten literarischen Dokument des Holocaust. Eine Industriehalle wurde eigens für diese Produktion in einen Glaspalast mit schlanken Portalsäulen und allem erdenklichen Schnickschnack einschließlich Restaurant umgebaut. Man erreicht diesen spektakulären Ort, der sich schlicht Theater Amsterdam nennt, per Linienbus mit anschließendem Fußmarsch oder aber – was natürlich viel schöner ist – per Bootstransfer vom Bahnhof aus. Widerspricht der Glamour dieser Lokalität nicht extrem dem Anlass, dem nun siebzig Jahre alten Tagebuch der 14-, 15-jährigen Anne Frank und dem traurigen Schicksal der Autorin, dem Tod in Bergen-Belsen, nachdem ihr Versteck im Hinterhaus eines Gebäudes an der Amsterdamer Prinsengracht im Sommer 1944 verraten worden war?
Man muss solche Bedenken hintanstellen und sich zunächst einmal der Vorlage für den Theaterabend zuwenden, denn die Wiederlektüre nach langer Zeit offenbart Überraschendes. Anne Frank sei bis heute die bedeutendste holländische Schriftstellerin, ließen die Skriptautoren Jessica Durlacher und Leon de Winter verlauten – man begreift beim Lesen, dass...