Theater der Zeit

Gespräch

Mit der Maschine sprechen

Kris Verdonck über die Unheimlichkeit der uns umgebenden Apparate

von Sebastian Kirsch und Kris Verdonck

Erschienen in: Arbeitsbuch: Bild der Bühne, Vol. 2 / Setting the Stage, Vol. 2 – 17 Bühnenbildner:innen im Porträt (06/2015)

Assoziationen: Kostüm und Bühne Akteure

STILLS Margarita Production for stilllab, 2006.
STILLS Margarita Production for stilllab, 2006.Foto: Foto: A Two Dogs Company

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Kris Verdonck, in Ihren Räumen, Installationen und Theaterarbeiten stößt man beständig auf bizarre Maschinen und Apparate. Aber diese Maschinenwelt ist zugleich auch eine Welt von Geistererscheinungen, Doppelgängern und Zwischenwesen. Wie hängen diese beiden Seiten für Sie zusammen?

Zunächst einmal interessiert mich das Theater als eine Traummaschine. Der ganze Theaterapparat ist eine einzige große Maschine, die uns zum Beispiel fliegen machen kann, mit der man Doppelgängern begegnen kann, Halluzinationen er­leben und viele andere Dinge. Doch hinter alledem steckt immer die Maschine – selbst wenn man auf der Bühne kein Theater spielen will, muss man mit ihrer Hilfe dem Publikum aktiv zu verstehen geben, dass man kein Theater spielt. Nun hat aber diese Theatermaschine zu uns mehr oder weniger dasselbe Verhält­nis wie so viele andere Maschinen und Medien, die wir im Alltag benutzen, und darum macht es so viel Spaß, mit ihr zu spielen. Sie birgt so viele Möglichkeiten, die etwas über unser tägliches Leben sagen.

Der Spaß an den Traumeffekten der Maschine ist das eine, aber Ihre Arbeiten haben ja auch einen recht finsteren Hintergrund. Im Kontext Ihrer Produktion „END“ haben Sie einmal die Atombombe als Geburtsstunde der Performancekunst bezeichnet. Wie ist das gemeint?

Bis zur Atombombe konnten wir als menschliche Wesen nicht den Planeten zerstören. Wir konnten uns umbringen und viele andere Dinge tun, in denen wir gut waren – und in denen wir noch immer gut sind –, aber wir waren nicht in der Lage, wirklich den ganzen Planeten zu zerstören. Mit der Atombombe begannen viele Leute zu denken, dass es nun eine sehr seltsame Idee geworden sei, auf Dauer angelegte Statuen, Bilder, Texte und Ähnliches zu produzieren. Zu versuchen, Dinge zu erschaffen, die für immer halten sollen, ist einfach sinnlos, wenn man weiß, dass wir alles zerstören könnten und dass die ganze Geschichte nicht durch einen apokalyptischen Gott oder einen Meteoriten ihr Ende finden könnte, sondern durch uns. Bis dahin hatten in den Künsten Objekte und Körper immer zusammengehört. Und nun gab es plötzlich einen Bruch ­zwischen diesen beiden, zwischen der Welt und uns. In dieser Zeit kamen Künstler wie Yves Klein mit „Full Powers“ oder „With the Void“, und dann die ersten Performances, zum Beispiel 1955 „Challenging Mud“ von dem Japaner Kazuo Shiraga, der nichts anderes tat, als im Schlamm zu kriechen und zu warten, bis es regnete, so dass der Schlamm abgewaschen wurde.

Bei Ihren Arbeiten fällt mir Wolfgang von Kempelen ein, der Kon­strukteur des berühmten Schachautomaten, in dem in Wahrheit ein Zwerg versteckt war. Vor allem eine Geschichte über Kempelen scheint mir in die Kris-Verdonck-Welt zu passen: Als junger Mann erkannte Edgar Allan Poe, dass der Schachautomat ein Trick war, denn seiner Meinung nach bewegte er sich etwas zu maschinenhaft. Er sagte: Wenn es so maschinell ist, muss da irgendwo ein menschliches Wesen stecken …

Das erinnert auch an das Phänomen, das der japanische Philosoph Masahiro Mori „uncanny valley“ nennt und das umso stärker wird, je menschenähnlicher Maschinen werden. Wenn sie sich zu sehr wie menschliche Wesen verhalten, dann beginnen sie, halb zu leben, und das wollen wir nicht. Im Freud’schen Sinn des Wortes gibt es immer eine „Unheimlichkeit“ um diese Maschinen. Zum Beispiel war Kafkas Odradek-Figur einer der ersten sublimen „unheimlichen“ Charaktere, halb Mensch und halb Ding. Im Theater kann man wirklich mit dieser Zone der Unheimlichkeit spielen.

Odradek kommt auch in Ihrem Kafka-Parcours „K, a society“ vor, einer Ihrer Arbeiten, die literarische Kosmen in Installationen und Räume übersetzen, ähnlich wie es auch Ihre Produktion „M, a reflection“ mit Texten Heiner Müllers macht. Wie gehen Sie bei einer solchen Arbeit vor?

Ich habe bisher in allem, was ich gemacht habe, mit Texten gearbeitet. Samuel Beckett, Franz Kafka, Heiner Müller. Der nächste wird Daniil Charms sein, den ich ebenfalls ganz unglaublich finde. Mich interessiert allerdings mehr, mit dem Zustand zu arbeiten, in dem sich diese Autoren bewegen, oder mit ihren Persönlichkeiten. Bei Kafka hatte ich zum Beispiel immer große Schwierigkeiten, ihn zu begreifen – falls man ihn begreifen kann. Sein Werk ist so hermetisch, und es war niemals wirklich zum Veröffentlichen gedacht. Ich ­finde es meistens auch schrecklich, wenn seine Texte auf die Bühne gebracht werden. Immer wenn ich eine Kafka-Produktion sehe, glaube ich es einfach nicht. Doch natürlich ist das, was man vielleicht das „System Kafka“ nennen könnte, in dem von uns gelebten Alltag äußerst lebendig. Man kann die Denkart eines Autors nehmen und nach Anschlüssen im täglichen Leben suchen. Bei Charms sind das jetzt zum Beispiel absurde Erfahrungen wie das plötzliche Gewahrwerden, dass man Teil eines Plans ist, oder der kontrollierende Ausdruck eines Gesichts, das die Dinge in seiner Umgebung beschaut. Bei Heiner Müller haben wir uns hingegen das Thema „Zwei“ genommen, das in seinem Werk eine enorme Rolle spielt, von dort haben wir angefangen zu arbeiten und Texte zu suchen, die sich um dieses Thema herum ergeben. Wir spielen nicht wirklich Heiner Müller, sondern Aspekte, ähnlich wie bei den Kafka-Räumen, „Gossip“, oder dem Raum mit diesen sehr seltsamen Gestalten, den Opernsängern, oder auch bei den traumartigen Bildern von jemandem, der nicht aufhört zu ertrinken.

Es gibt diese schöne Bemerkung von Walter Benjamin, dass Kafka in geradezu naturalistischer Weise Gesten beschreibt, die aber keinen Rahmen, kein Bezugssystem haben. Daran musste ich bei „K“ stark denken.

Damit haben wir tatsächlich gearbeitet. Kafka hat großartige Gesten. Zum Beispiel wenn er beschreibt, wie jemand stürzt und sich dabei gleichzeitig auf die Stirn schlägt. Oder die Sache mit dem Gerede, das für „Gossip“ eine Rolle spielte. Im „Prozess“ wissen alle ­Bescheid – mit Ausnahme von Josef K., der gar nichts weiß. Ich war einmal in Ruanda; ein solches Über-jemanden-Reden ist dort gewissermaßen Nationalsport. Man tut es ständig. Aber man tut es direkt vor jemandem. Und wenn man das seltsam findet, heißt es: „Aber wir reden doch nur über dich, wo ist das Problem?“ Es ist sehr eigentümlich. Darum dachte ich: Das ist es, ich nehme einerseits diesen unheimlichen Gruppengedanken, der sich bei Kafka findet: eine Masse gegen einen. Und dann kopple ich das mit etwas Alltäglichem, mit all diesen gut angezogenen Menschen, die aus einer Industriegesellschaft stammen.

Zu Kafkas Zeit waren die Maschinen riesig, aber mit der Digitalisierung werden sie immer kleiner. Was bedeutet das für Sie?

Es bedeutet, dass wir mehr und mehr zu ihnen werden. Die Maschinen werden sehr cugly (englischer Slangausdruck, der cute und ugly zusammenzieht; S.K.). In den 1980er Jahren wäre die Vorstellung unmöglich gewesen, einen Computer mit ins Bett zu nehmen – jetzt ist es ganz normal, so sehr sind wir an dieses Ding angeschlossen. Wenn sich in Kafkas Zeit eine Garage von selbst geöffnet hätte, wäre das verrückt gewesen, wirklich „unheimlich“. In ein paar Jahren haben wir vielleicht nicht einmal mehr dieses Unheimlichkeitsgefühl, weil wir so daran gewöhnt sind, nicht nur mit Maschinen zu reden, sondern alles Mögliche mit ihnen zu machen. In Kafkas Werk kann man eine gewaltige Fremdheit gegenüber den Apparaten fühlen, und jetzt haben wir uns einfach an sie gewöhnt – die Maschinen kriechen in uns hinein.

In Ihrer Garteninstallation „Exote“ wird vor allem die Frage der Ökologie reflektiert. Was interessiert Sie an diesem Aspekt?

Mich interessiert der Gedanke, dass wir den ­Planeten zerstören, ihn einfach aussaugen, aber nicht unsere Lebensweise ändern und weniger Energie ­verbrauchen wollen. Lieber erfinden wir andere Maschinen, die weniger Energie benötigen, so dass wir uns nicht verändern müssen. Und es könnte ja sogar sein, dass wir es so in den Griff kriegen – nur: Jede Maschine hat ihre weiße und ihre schwarze Seite, das ist immer der Fall.
Dieser „Exote“-Garten ist ein Garten, in den lauter fremdartige Pflanzen und Wesen eingedrungen sind, die verschmutzten Boden lieben. Das ist der eine Aspekt der Arbeit. Und der andere ist: Wir sind es nicht einfach als Menschen, die das Ökosystem verändern. Tiere und Pflanzen tun das von selbst, allerdings ist es ein sehr langsamer Prozess, und wir beschleunigen ihn. Wir drängen sie geradewegs hinein. Zum Beispiel weil wir „Micky-Maus-Gärten“ mögen, Gärten mit großen Blumen, großen Fröschen und farbenfrohen Vögeln. Wir kaufen solche Wesen, setzen sie in die Gärten, und dann beschweren wir uns über die entstehenden Probleme. Zum Beispiel fressen die großen Frösche die anderen Tiere – aber letztlich geschieht das nur, weil wir solche Frösche haben wollen. Also versuchen wir, die Frösche zu töten, dann wollen wir das aber auch wieder nicht, und schließlich ist man bei diesem postmodernen menschlichen Wesen, das immer nur versucht, seinen eigenen Dreck wegzumachen. Der Dreck muss weggemacht werden, aber wir haben keine Ahnung, wie. Das ist es, was wir die ganze Zeit betreiben. //

 

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