Theater der Zeit

SCORES – Insert Tanzquartier Wien

uncanny valley

von Paul Wenninger, Peter Jakober, Kabinett ad Co. und Andreas Spiegl

Erschienen in: Theater der Zeit: Jürgen Holtz – Schauspieler und Scharfdenker (04/2015)

Assoziationen: Österreich Tanz

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Ein Stück, das sich mit Krieg auseinandersetzt, dem Krieg den Krieg erklärt, kommt nicht umhin, sich der Frage nach dem Bild vom Krieg zu stellen, einem Kriegsbild nachzuspüren als gäbe es ein Abbild des Krieges. Als Abbild wäre es nur der Schein von Krieg, ein Illusionieren des Schreckens im Licht einer Ästhetisierung von Wunden und Tod. Wenn ein Krieg wie der Erste Weltkrieg, den das Stück uncanny valley motivisch ins Bild nimmt, sich selbst einer Maschinerie von Bildern bedient, um die Schlacht auf den Feldern mit propagandistischen Bildern nochmals auszuschlachten, um dem realen Sterben ein letztes Mal die Illusion einer Begründung des Todes zur Seite zu stellen – das Epos von Helden, den Appell ans Nationale, ans Gewissen im Glauben an die Souveränität, dann ergibt sich für ein Stück die Möglichkeit, diesen Bildern auf Augenhöhe ins Gesicht zu schauen, den Bildern Bilder entgegenzusetzen. In diesem Sinne war die Illusionsmaschinerie des Ersten Weltkriegs ein kriegerisches Mittel und damit Teil eines Kriegs, der sich selbst als Krieg von Illusionen zu erkennen gibt: Was den Weltkrieg begleitete, war ein Krieg von Weltbildern und ein Bilderkrieg.

Der begehbare Blick

Die Inszenierung von uncanny valley basiert auf der Inszenierung von Bildern und greift dafür auf das Diorama zurück: auf eine Geschichte der Verbildlichung von Raum, auf das Diorama als den Prototyp eines 3D-Verfahrens aus dem 19. Jahrhundert. In der Kombination von Bild und Räumlichkeit wird ein Bildraum suggeriert, der den Betrachter räumlich ins Bild nimmt, den dreidimensionalen Raum des Betrachters perspektivisch in den Bildraum verlängert, um dem Eindruck eines ›begehbaren Blicks‹ Ausdruck zu verleihen. Im Diorama hat man die Illusion nicht als Gegenüber vor sich, sondern man wird Teil des Bildes, nimmt imaginär Teil am Geschehen. Die Effekte bedienen das Affektive, das den Abstand genauso minimiert wie die kritische Distanz. Der Eindruck, Teil zu haben am Geschehen, appelliert an die Anteilnahme, an das emotionale Band zwischen Vorbild und Abbild, die zur Distanzlosigkeit verbunden werden.

Die Illusion des Desillusionierens

Die Kritik an der Konstruktion von Wirklichkeitsbildern, an der Illusion von Sinn, ist so alt wie die Verknüpfung von Realität und Bild. Um die Realität in ihrer unhaltbaren Form zu kritisieren, galt es implizit, das Band von Realität und Bild zu durchschneiden, zu trennen den Schein vom Sinn. Schon vor dem Ersten Weltkrieg sprachen Marx’ Gespenster davon, die Reden vom bloßen Schein des Überbaus. Um die Realität zu verändern, mussten die Bilder verändert werden, zerstört die Illusion. Desillusionierend war die expressionistische Kritik am Menschenbild, illusionskritisch die impressionistische Fassung des Bilds als reales Konstrukt. Die Dadaisten, schon Zeitgenossen des ersten Weltkriegsgeschehens, zerlegten die Illusion in Fragmente von Sinn, in Bruchstücke, das zersprungene Spiegelbild. Das Vorführen der Vorstellungsmaschinerie zielte aufs Desillusionieren, mithin auf die Hoffnung, die Welt real zu sehen. Das moderne Theater schreckte nicht davor zurück, die Konstruktionsmaschinerie des Illusionismus’ auf die Bühne zu holen, sie vorzuführen, um den Sinn als ideologisches Requisit zu entstellen. Im Entziffern der Illusion gründete sich die Hoffnung auf ein wahres Bild. Von diesem nahm die Kritik ihre Kraft, die Apparaturen des Scheins zu entlarven, bloßzustellen das Konstrukt. Die Geschichte reicht von Brecht und Gropius bis zu Godard und das Motiv vom Bild im Bild, das seinen Bildcharakter offenlegt, sich selbst als Bild entlarvt. Was sich anschickt, Schein zu produzieren, entpuppt sich als Maskerade, nicht um unrealistisch zu erscheinen, sondern um dem Scheinhaften selbst Realität zu verleihen. Der Schein ist zugleich Trugbild und als Trugbild das einzig wahre Bild.

Heldentod der Kritik

In uncanny valley wird die Inszenierung eines Bildes von Kriegsschauplätzen offenkundig vorgeführt: hier der Schützengraben, da die Szene für den Stacheldraht, hier der Morast, dort Schlamm und Grabdeckel für den Heldentod. Daneben spielen die Apparaturen für den Schein ihre Rolle, spielen auf Augenhöhe mit: der Schminktisch, die Kamera, die Motorik für die Illusion, die Schauspieler und das Team, das die Inszenierung begleitet, Wunden aufklebt, Musik und Sound intoniert, um das Konstrukt von Schein zu perfektionieren. Vereint bilden das Bild und die Herstellung des Bildes das Stück, das Abbild vom Konstrukt. Was dabei aber erscheint, ist nicht nur das Offenlegen der Konstruktion von Illusion, sondern das Bloßstellen wird selbst als Stück aufgeführt, die einstige Kritik in die Inszenierung von Kritik transformiert. Was sich darin zeigt, ist die Illusion von Kritik, die kritische Methode von einst als neues Requisit für eine Renaissance des Scheins. Der kritische Hinweis auf die Konstruktion von Illusion entpuppt sich selbst als illusionistischer Glanz. Das ist neben dem Heldentod der zweite Tod, der Kadaver einer Kritik, der Tod eines Widerspruchs, der hier dargestellt wird – wenn man so will, eine multiple Sterblichkeit als zeitgenössische Form auf den Krieg zu blicken, auf das Bild einer Kritik der Kritik.

Ein subkutaner Tanz (zwischen Poren und Pupillen)

Die Tänzer bewegen sich wie in Zeitlupe, von Pose zu Pose so langsam, dass die Bewegung fast dem Blick entgeht. Sie generieren die Gesten zur Genese eines Standbilds, schon zur Paraphrase eines Films, der dem gleichnamigen Stück vorauseilt. Im Tempo der verlangsamten Bilder schreibt sich die mediale Spur in den Tanz selbst ein. Was der Tanz hier leistet, ist die Darstellung eines Körpers aus der Perspektive eines medialen Blicks. Man fühlt sich angehalten, an Zeitlupe zu denken, um doch nur die reale Performance zu sehen. Drehung um Drehung eilen Gewehrkugeln im Schneckentempo ihrem Ziel entgegen, um die Wunde zu reißen, sich im blutenden Loch in der Zeit zu verlieren. Die Analogie zum Blick aufs Mediale überformt den Augenschein des Realen, präfiguriert die Figur des Sehens. Das Schauspiel und das Bild vom Schauspiel fusionieren zur ununterscheidbaren Differenz. Verschieden und doch ununterscheidbar verwischen sie die Grenzen zwischen Medien und Realität. Was von der Realität bleibt, ist nur ihr medialer Charakter, der Paarungsakt von Wahrnehmung und Täuschung. Von der Beziehung zwischen diesen beiden spricht der Titel des Stücks, das uncanny valley, das nach der Frage der Glaubhaftigkeit von Animationen Ausschau hält. Eine Kamera, die das Geschehen begleitet, liefert Bilder, die synchron und vielleicht auch nicht am Schirm erscheinen: dokumentarisch der Zeugenschaft verbunden werden sie durch Bilder perforiert, die aus anderen Quellen und Zeiten stammen. Die mediale Zeugenschaft wackelt, erinnert an die bloße Montage von Objektivität. Der Krieg, der hier erscheinen soll, erklärt nur der Wahrnehmung den Krieg. Was sich hier verdichtet, ist ob aller Sichtbarkeit der Zweifel am Sichtbaren, das sich in den Körper zurückzieht, sich versteckt unter der Uniform, die dem Subjektiven und Individuellen den Krieg erklärt. Die Tänzer sind angehalten, den Tanz ins Subkutane zu verlagern, in die Amplitude des Innehaltens.

 

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