Theater der Zeit

SCORES – Insert Tanzquartier Wien

Levée (2014)

von César Vayssié und Boris Charmatz

Erschienen in: Theater der Zeit: Die Bibliothek des Körpers – Der Tänzer-Choreograf Ismael Ivo (03/2015)

Assoziationen: Österreich Tanz

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Als eine labyrinthartige Performance, konstruiert auf der Grundlage eines ausgedehnten Kanons von derivativen Gesten, ist Levée des conflits von Boris Charmatz unmöglich in Totalität zu rekonstruieren: ein Schnappschuss von 25 simultanen Gesten, die das Auge nicht mit einem einzigen Blick erfassen kann. César Vayssié hat daher weniger versucht, etwas von dieser perzeptiven Erfahrung zu bewahren, er entschied sich vielmehr für einen unklassifizierbaren Film, zwischen einer abstrakten Vogelperspektive, einem Dokumentar- und einem Genrefilm. Gedreht wurde auf der Halde Haniel im Ruhrgebiet, einem riesigen spiralförmigen Plateau. Hier treibt der Film den Tanz in eine unbestimmte Zone, irgendwo zwischen Science Fiction und Anthropologie.

Die TänzerInnen sind in dieser Mondlandschaft gestrandet, sie scheinen von einer entropischen Bewegung getragen zu werden, gefangen in einer Abwärtsspirale von Emotionen: Ermüdung, Wiederholung, ein bitterer Kampf mit dem gestischen Material erscheinen wie unter einem Vergrößerungsglas und erzeugen ein Chaos, ein Nebeneinander von körperlichen Verfassungen. Durch den Kohlestaub beeinträchtigt, sucht die Kameralinse ihren Weg durch die sich bewegende Masse und enthüllt fragmentarisch die AkteurInnen als Partizipierende in einer seltsamen Zeremonie, die keinen anderen Zweck hat als die Erschöpfung von Formen und den Abbau von Kraft. Was ist zu sehen? Welche Perspektive ist einzunehmen? Ist es ein live aufgezeichnetes Ritual, ein extremer Flashmob, eine Minenarbeiterbewegung, ein vergängliches Monument, das nur von oben zu sehen ist? In einem Prozess von Verwirrung zur Vogelperspektive, von Schweiß zu Struktur, gewährt uns die Kamera Einblicke in die organische und mathematische Maschine, wie sie sich Boris Charmatz vorstellt: »ein permanenter und endloser Tanz auf dem dunklen Hügel der Halde Haniel, für den Mensch, der ihn kreiert hat.«
(Gilles Amalvi)

 

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