Gespräch
Was macht das Theater, Virginija Vitkienė?
von Thomas Irmer und Virginija Vitkienė
Erschienen in: Theater der Zeit: Volksbühne Neu (11/2021)
Assoziationen: Europa Akteure Dossier: Was macht das Theater...?
Das Programm für die Kulturhauptstadt Kaunas im nächsten Jahr richtet sich sehr stark auf die Geschichte der Stadt und ihre modernistische Architektur aus den 1920er und 1930er Jahren aus, als Kaunas die Hauptstadt Litauens war. Wie kommen Theater und Performance dazu?
Es gibt insgesamt sieben Programmlinien, eine davon besteht aus Tanz und Theater bzw. Performance. Schon im letzten Jahr hat das Litauische Zentrum für Tanz damit begonnen, in Zusammenarbeit mit dem Fernsehen Tanzprojekte an fünf eigens ausgewählten Orten der von Ihnen angesprochenen Architektur zu veranstalten. Der zeitgenössische Tanz ist so mit der modernen Architektur von Kaunas verbunden, und das wird sich im Hauptprogramm nächstes Jahr fortsetzen. Für die Architektur wird es ganz spezielle Stadtführungen geben, aber man kann sie eben auch mit dem Tanz auf besondere Weise erleben. Und wir wollen natürlich auch für die weniger bekannten Seiten der Stadt interessieren und zu Entdeckungen einladen.
Wie ist das litauische Theater in das Programm eingebunden?
Wir waren von Anfang an bestrebt, die Zeit vor Kaunas 2022 für die Entwicklung neuer Veranstaltungen und Festivals zu nutzen. Das Ganze folgt einer Strategie für insgesamt zehn Jahre, beginnend mit der erfolgreichen Bewerbung und für fünf Jahre nach dem Hauptstadtjahr. Es geht also sehr stark um die sogenannten Nachhaltigkeitseffekte. Für den Theaterbereich wurde deshalb 2019 ConTempo gegründet, ein Festival für ungewöhnliche Theaterformen, in dem vor allem auch die freie Szene des Landes vorgestellt wird, neue Gruppen, die sich anders organisieren und präsentieren als das bisher in Litauen üblich war. Der erste Jahrgang von ConTempo war sehr international ausgerichtet, was für das folgende Jahr wegen der Corona-Reisebeschränkungen nicht mehr so zu gestalten war. In der diesjährigen Ausgabe im August konnten wieder einige internationale Künstler präsentiert werden. Der litauische Teil von ConTempo 2022 ergibt sich aus einer Auswahl von Bewerbungen, die also durchaus Wettbewerbscharakter hat und damit neue Gruppen wie das Kosmos Theater in Kaunas zum Beispiel ins Programm holt und für ein größeres Publikum entdeckt. Nächstes Jahr wird es über 100 Veranstaltungen geben, und zwar nicht nur in Kaunas, sondern auch in der gesamten die Stadt umgebenden Region gleichen Namens, das heißt viele der einheimischen Produktionen werden im ländlichen Raum gezeigt. Die Grundidee des gesamten Programms besteht indes darin, dass die litauische Szene in einem internationalen Kontext präsentiert wird, was dann hoffentlich weitere Entwicklungen anstößt. Das Nationaltheater Kaunas wiederum koproduziert mit dem luxemburgischen Esch – neben dem serbischen Novi Sad die dritte Kulturhauptstadt nächstes Jahr – ein Stück über den Philosophen Emmanuel Lévinas, der aus Kaunas stammt und dessen Haus als Teil der Architekturführungen besichtigt werden kann. Außerdem wird auch an die spezifisch litauische Kultur des Widerstands in Sowjetzeiten erinnert, etwa mit dem 50. Jahrestag der Selbstverbrennung von Romas Kalanta, die im Mai 1972 anti-sowjetische Proteste der Jugend in Kaunas auslöste, die heute als Vorboten der Unabhängigkeitsbewegung gelten und schließlich mit zu 1989/90 geführt haben.
An großen Namen fehlt es nicht: Robert Wilson wird eine Adaption von Oscar Wildes „Dorian Gray“ inszenieren, Marina Abramović kommt, und das Werk von Yoko Ono, darunter auch Videos von ihren Performances, wird in einer Retrospektive gezeigt.
Außerdem William Kentridge mit einer großen Ausstellung, der, was viele nicht wissen, familiäre Wurzeln in Litauen hat und der hier selbst seine „Drawing Lessons“ als lecture performance präsentieren wird. Sie können international aber auch etwas entdecken, wie beispielsweise den Zirkus von Roberto Magro, dessen Temperament uns Litauern nahesteht und der auch Theaterfans völlig überraschen kann.
Was aber, wenn Corona mal wieder alles infrage stellt?
Inzwischen sind wir erfahren mit den Maßnahmen, und ein großer Teil des Theaterprogramms wird im Sommer und Herbst gezeigt. Wir sind natürlich Optimisten. Aber wenn es wieder Einschränkungen der Platzkapazität geben sollte, so wird das sicher dadurch ausgeglichen, dass viele Produktionen im Repertoire ihrer jeweiligen Institutionen verankert sind und noch lange nach dem Kulturhauptstadtjahr gezeigt werden. Das entspricht ja dem Prinzip der Nachhaltigkeit unter diesen besonderen Umständen.
Die Fragen stellte Thomas Irmer