Theater der Zeit

Gespräch

Was macht das Theater, Mable Preach?

von Mable Preach und Natalie Fingerhut

Erschienen in: Theater der Zeit: Das große Kegeln – Zur Machtdebatte am Theater (06/2021)

Assoziationen: Dossier: Was macht das Theater...? Kampnagel

Mable Preach
Mable PreachFoto: privat

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Mable Preach, Sie arbeiten gerade mit Branko Šimić und Sophia Hussain als ­Regietrio an „Escape the Room 2.0 – ­Unlearn Racism“, einer Produktion für das Krass Kultur Crash Festival auf Kampnagel Hamburg. Wie der Name erahnen lässt, ist es bereits Ihr zweites Escape-Room-­Projekt, das erste fand unter dem Titel ­„Escape the Room: Fight the Power“ 2020 statt. Wie kam die Kombination eines ­Escape Rooms mit dem Thema Rassismus zustande?

Eva Maria Stüting von den Kulturagenten für kreative Schulen und der Dramaturg Nikola Duric kamen 2020 mit dem Escape-Room-Konzept zum Thema Rassismus auf mich zu. Ich fand die Idee anfangs spannend, bekam dann aber Zweifel: Stopp, wait a moment! Escape Racism? Ich als schwarze Frau werde Rassismus nie entkommen können – ebenso wenig wie die meisten Jugendlichen, mit denen ich arbeite. Als ich den Jugendlichen das Konzept aber vorstellte, wollten sie es trotzdem machen, obwohl schon die Behauptung – Escape Racism – nicht ungefährlich ist. Wir entschieden uns, Erfahrungsräume zu bauen, in denen Menschen, die Rassismus normalerweise nicht ausgesetzt sind, vielleicht fünf Prozent von dem empfinden können, was wir täglich erleben. Das Problem: Das Publikum, das in der Regel zu meinen Stücken kommt, bildet Hamburg ab, wie es ist: nämlich sehr divers – viele junge schwarze Menschen sind dabei. Was wird bei denen getriggert? Also fiel die Entscheidung, dass die Räume zwei Dinge können müssen: das Publikum, das so ist wie wir, empowern und für die anderen Rassismus erlebbar machen.

Wie haben Sie das Konzept in Ihrer ersten Version umgesetzt?

Das Konzept steht und fällt mit den Spieler:innen und deren Umgangston. Wir ­haben überlegt, welche Ansprache wir erfahren, zum Beispiel in einer Behörde, in der Schule, im Alltag. Genau so sollten unsere Darsteller:innen dem Publikum begegnen: nicht unfreundlich, aber auch nicht freundlich. Schwarzen Besucher:innen gegenüber sollten sie extrem nett sein, fast schon musicalhaft. Anhand dieses Konzepts haben wir Situationen gebaut, die das Publikum durchlief, etwa einen Behördengang oder Ähnliches. Es gab auch einen „This-shit-is-for-us-Raum“, in dem nur schwarze Besucher:innen tolle Musik hören konnten, etwas zu trinken und Süßes bekamen und so weiter. Der Rest des Publikums konnte nur erahnen, was darin vor sich ging. Am Ende stand ein Einbürgerungstest, den die Zuschauer:innen unter extremem Zeitdruck auf iPads absolvieren mussten.

Wie hat das Publikum damals auf diese Erfahrung von Alltagsrassismus reagiert? Gab es danach Raum für Gespräche?

Wir haben nach anfänglichen Überlegungen entschieden, es nicht zu tun. Weil es doch alles wieder weichzeichnet. Es sollte an diesem Ort erst einmal ums Zuhören gehen. Trotzdem gab es Menschen, die sich unbedingt äußern wollten und auch den Weg zu mir gesucht haben. Ich habe dazu immer nur gesagt: „Ihr habt jetzt 45 Minuten einen kleinen Teil dessen erfahren, was Rassismus bedeutet, und könnt diese Situation verlassen. Stellt euch bitte vor, wie es für jemanden ist, der genau das nicht kann.“ Ich habe keine Ressourcen, den Raum für solche Gespräche zu bieten. Dafür gibt es Bücher und Coaches. Ich hingegen bin Künstlerin. Und deswegen mache ich Kunst. Ich bin kein Coach für Antirassismus.

War Ihre Arbeit immer politisch?

Meine ersten Stücke schon. Dann habe ich für mich beschlossen, dass ich in erster Linie jungen Menschen eine Plattform geben und sie ins Theater bringen möchte. Warum gehen sie nicht hin? Weil sie sich selbst nicht sehen. Also habe ich versucht, das zu verändern, eine Mischung zu finden zwischen Entertainment und Education. Aber nach meiner ersten großen Produk­tion mit fünfzig Darsteller:innen auf der Bühne kam das erste Mal Kritik: Wie es sein könne, dass ich als schwarze Frau nicht politisch sei? Gegenfrage: Warum kann eine weiße Künstlerin Fotos von, sagen wir, Federn machen und muss das in keinen Kontext setzen, ich hingegen schon? Inzwischen bemerke ich aber, dass die jungen Menschen, mit denen ich arbeite, an politischen Inhalten Interesse haben. Und da mir das, worüber sie sprechen und was sie zeigen wollen, immer wichtig ist, machen wir es. Ich habe irgendwann für mich selbst gelernt, dass es nicht meine Aufgabe ist, andere weiterzubilden. //

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