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Virtuos gebaut
Peter Michalzik HORVÁTH HOPPE HITLER. 1926 bis 1938. Das Zeitalter der Masse. Aufbau, Berlin 2022, 303 Seiten, zahlreiche Abb., 26 Euro
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Thema Ukraine: Serhij Zhadan „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ (04/2022)
Assoziationen: Buchrezensionen Peter Michalzik
„Ein Buch wie eine Ausstellung“, eröffnet Peter Michalzik das Vorwort. Ende der 1990er Jahre, während der Arbeit an einer Biografie von Gustaf Gründgens hat er die hochbetagte Marianne Hoppe noch kennenlernen können. Sie sprach überraschend viel von Horváth, und das war wohl die Keimzelle für dieses rund zwei Jahrzehnte später entstandene Buch, das in seiner Gliederung und den einzelnen Fokussierungen tatsächlich an eine Ausstellung erinnert. Chronologisch aufgebaute Abteilungen, ausführliche Bildanalysen, das Ausstellen von Parallelen, Querverbindungen und Gegensätzlichkeiten in einem besonderen Zeitabschnitt.
Drei Biografien, die jeweils auf ihrem Feld im Aufstieg begriffen sind. Die junge Marianne Hoppe, die 1928 ans Deutsche Theater von Max Reinhardt engagiert wird, dort bereits in kleinen Rollen Beachtung findet und nach 1933 als Filmstar der UFA eine große Karriere vor sich hat. Ausgewählte Porträtfotos analysiert Michalzik nicht nur als Entwicklung ihrer Biografie, sondern liest in ihnen auch den Zeitgeist als „Bild der Frau“ in den eruptiven Zwanzigerjahren und nachfolgend vor allem als Filmfigur. Ihr gegenüber der als Dramatiker erfolgreiche Ödön von Horváth mit seinen frühen Volksstücken über Verlorene und Verführte als Teil einer neuen Masse. Ein Begriff, den Michalzik einerseits aus der Kultur der damaligen Zeit, andererseits spezifischer von Elias Canetti her entwickelt. Und mit diesem Thema kommt der Dritte ins Spiel: Hitler, der zu Massen spricht, sie in seinen Reden förmlich zur Vermassung treibt auf dem Weg zur totalen Macht. Die ersten drei Bilder sind also ein Kinderbild von Horváth mit seinen dunklen Augen, eine geradezu strahlende 20-jährige Hoppe und Hitler als Mann in der Masse in dem berühmten Foto vom Münchner Odeonsplatz zu Kriegsbeginn 1914 (dessen Echtheit heute aber bezweifelt wird).
In dieser Dramaturgie der aufeinander bezogenen Montagen kürzerer Kapitel gelingt Michalzik eine faszinierende Erzählung als dokumentarisches Panorama. Das erlaubt ihm dabei auch, die literarische Entwicklung Horváths hin zu wenig bekannten Details zu erklären. Etwa dessen bis heute nicht gänzlich erforschte Beteiligung an Filmprojekten und die in diesem Zusammenhang noch schwieriger zu beurteilende Haltung in einem vom Juni 1934 datierten Schreiben an den Reichsdramaturgen Rainer Schlösser, dem Horváth in einem zu vermutenden Selbstrettungsopportunismus die Mitarbeit am „Wiederaufbau Deutschlands“ anbietet. Michalzik verurteilt ihn nicht dafür. „Das Feld war unübersichtlich.“ Über Marianne Hoppe, die in diesem Dreieck die Einzige ist, die die jeweils anderen beiden persönlich kannte, ist von ihrer beruflichen Nähe zur NS-Macht schon einiges gesagt worden. Bei Horváth, der bis heute im Theater in erster Linie über seine kritischen Volksstücke („Italienische Nacht“, „Wiener Wald“, „Kasimir und Karoline“) rezipiert wird, ist da nicht so viel bekannt. Michalzik erkennt einen anderen Horváth.
Auch sucht der Autor nach Parallelen zu heute. Natürlich ist der Populismus für enttäuschte Massen da ein lohnender Hinweis (indes seine Bemerkung, die DDR-Bürgerrechtler hätten den Begriff Volk mit dem Protestruf „Wir sind das Volk!“ zu rehabilitieren versucht, in die Irre geht). Nein, die aktuelle Situation für Künstler liefert den brisanten Echoraum für sein glänzend geschriebenes Buch. //