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Feministische Ökonomie
Regisseurin Bérénice Hebenstreit will durch ihr Theater Gesellschaft verändern und ist Aktivistin bei Attac
Erschienen in: Theater der Zeit: Deutsche Zustände – Intendanten über ein neues politisches Selbstverständnis (10/2019)
Assoziationen: Vorarlberger Landestheater
Feministische Ökonomie ist ein Forschungszweig, der den unbezahlten Teil der Wirtschaftsleistung ausfindig macht – welchen traditionell Frauen erbringen – und der sich generell mit geschlechtsspezifischer Arbeitsbewertung befasst. Am systematisch niedrig gehaltenen Marktwert von Frauen laboriert die Gesellschaft nach wie vor. Dafür interessiert sich Bérénice Hebenstreit. Die 32-jährige Wiener Regisseurin ist grundsätzlich von gesellschaftspolitischen Fragestellungen angetrieben.
2017 inszenierte sie den bitteren Satireroman „Superheldinnen“ von Barbi Marković. Er handelt von drei mit Superkräften ausgestatteten Frauen aus Ex-Jugoslawien, die versuchen, in Wien in die Mittelschicht aufzusteigen. Weil das Theater solche Stoffe selten verarbeitet, wie Hebenstreit findet, griff sie zu diesem Roman und hat ihn (mit Andrea Zaiser) dramatisiert. Es gelang ihr so gut, dass die Inszenierung für das nachtkritik-Theatertreffen 2018 nominiert wurde.
Wie aber verhandelt man Fragen nach wirtschaftlichen Gefügen auf der Bühne, ohne dabei gleich schwerfällig zu werden? Das ist eine zentrale Frage in Hebenstreits Regiearbeit. Schließlich will sie Theater nicht durch Politdiskussionen oder wissenschaftliche Vorträge ersetzen. Das Ringen um Sinnlichkeit, zumal bei scheinbar trockenen Themen, ist eine Gratwanderung, die bei ihr Abstraktes mit Konkretem verbindet. Immer wieder fungiert Musik als Dialogpartner. Und der Raum wird zum offenen Buch.
Mit Raum hat sich Bérénice Hebenstreit schon befasst, da war das Theater noch weit weg. Ihre erste Berufsausbildung war Grafikdesignerin. Die Beschäftigung mit Fotografie und Tanz führte sie dann zum Theater. Nach einem Theaterwissenschaftsstudium in Wien und Montréal tauchte sie schließlich als Regieassistentin in die Praxis ein und ist gerade dabei, eine der produktivsten jungen Regisseurinnen Österreichs zu werden.
Auch abseits der Bühne ist Hebenstreits Stimme wichtig. Eine ihre Forderungen lautet, den tradierten Dramenkanon neu zu erforschen, um vergessene Werke von Autorinnen sichtbarer zu machen. Da dafür vorerst das Geld und der politische Wille fehlen, geht Hebenstreit selbst auf die Suche nach Bühnentexten und trifft dabei immer eine bemerkenswerte Wahl. Zuletzt hat sie mit „Watschenmann“ einen Roman von Karin Peschka dramatisiert, der urbane Überlebenskünstlerinnen und -künstler aus der Wiener Nachkriegsdepression versammelt. Im Herbst bringt sie mit „Vevi“ den Roman einer schändlich vergessenen österreichischen Autorin am Vorarlberger Landestheater auf die Bühne: Erica Lillegg (1907–1988).
Bérénice Hebenstreits Anliegen ist es, gesellschaftspolitische Veränderungen voranzutreiben. Die Regisseurin ist Autorin beim Online-Nachrichtenportal mosaik-blog.at und seit einigen Jahren auch Aktivistin bei Attac, wo sie in Arbeitsgruppen und bei politischen Aktionen tätig ist. Die konkrete Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen nährt auch Hebenstreits inhaltliche Schwerpunkte am Theater. Wie weit etwa die Marginalisierung von Frauen am Theater reicht, hat sie im Vorjahr gemeinsam mit Michael Isenberg bei einem auf österreichische Bühnen bezogenen Rechercheprojekt eruiert: „Die Spielplan“, zu sehen am Volkstheater Wien. Zwar gibt es in Österreich (noch) keine dem Verein Pro Quote vergleichbare Initiative, aber zumindest eine Vorfeldgruppe, die ihre Forderungen dem zuständigen Ministerbüro bereits unterbreitet hat. Bérénice Hebenstreit ist da mit dabei. //