Theater der Zeit

Anzeige

Auftritt

Konzert und Theater St. Gallen/Theater Marie: Du bist ein Schatz

„Zwei Herren von Real Madrid“ von Leo Meier (SEA) – Regie Manuel Bürgin, Bühne Beni Küng, Kostüme Gwendolyn Jenkins, Choreografie Elias Kurth

Eine Produktion von Konzert und Theater St. Gallen und Theater Marie, in Koproduktion mit dem Kurtheater Baden und der Bühne Aarau

von Elisabeth Feller

Assoziationen: Theaterkritiken Europa Leo Meier Bühne Aarau Kurtheater Baden Theater Marie Theater St. Gallen

„Wohin schauen Sie, wenn Sie ein Tor machen, wenn ich fragen darf?“ Manuel Bürgin inszeniert die Schweizer Uraufführung von Leo Meiers „zwei herren von real madrid".
„Wohin schauen Sie, wenn Sie ein Tor machen, wenn ich fragen darf?“ Manuel Bürgin inszeniert die Schweizer Uraufführung von Leo Meiers „zwei herren von real madrid". Foto: Bettina Diel

Anzeige

Leise Melancholie umweht die Erzählerin (Anja Tobler), die Leo Meier in seinem Stück „Zwei Herren von Real Madrid“ auftreten lässt. Rasselt ihre Rüstung, fühlt man sich sofort an den „Ritter der traurigen Gestalt“, Don Quijote, erinnert. Fehlt noch wer? Sancho Panza. Allerdings gibt es weder einen Don Quijote noch einen Sancho Panza in Meiers Stück und dennoch kommt uns dieses Duo dauernd in den Sinn, obwohl wir es mit einem Stürmer (Manuel Herwig) und einem Mittelfeldspieler (Josef Mohamed) zu tun haben. Beide spielen beim dreifachen Champions-League-Gewinner Real Madrid – kennen sich aber nicht. Das holen sie nun auf eine Weise nach, dass man die anfängliche Aufforderung der Erzählerin – „Seien Sie zärtlich zu diesem Stück“ - zu verstehen beginnt.

Also: Zwei junge, erfolgreiche Fußballer begegnen einander im Wald, wo sie Stille suchen. Das Gespräch entwickelt sich behutsam; sie unterhalten sich über die Angst vorm Sterben und Pokale – jedoch nicht bleischwer, sondern leichthin und intuitiv wissend, dass Pausen mehr über das Gegenüber verraten (können) als süffige Rhetorik. Die beiden, immer höflich beim Sie bleibenden jungen Herren, sind sich sympathisch. Und dies so sehr, dass der Stürmer den Mittelfeldspieler zum Weihnachtsfest bei seinen Eltern einlädt. Der Angesprochene kommt gerne und bringt sogar einen selbstgebackenen Bananenkuchen mit, den die Mutter (Eleni Haupt) genüßlich verzehrt. Bloß stirbt sie daran, weil sie an einer bislang unentdeckten Allergie leidet.

Ist das schlimm? So würden wohl die meisten Menschen empfunden, doch Leo Meier sieht alles anders und deshalb läuft in seinem Stück auch alles anders ab. Nach dem Tod der Mutter ist ihr nervendes Gurren „Na, ihr Turteltäubchen“ nicht mehr zu hören, weshalb stattfinden darf, was in der knallharten Profi-Fußballwelt tabuisiert ist: Stürmer und Mittelfeldspieler verlieben sich und schon erfolgt das, worauf man sehnlichst wartet: ein Kuss.  Ein nicht enden wollender dazu, vor einem riesigen Mond. „Und ach, sein Kuss!“, schwärmte schon Fausts Gretchen in Schuberts Lied „Gretchen am Spinnrad“. Wir könnten ihr ewig zuhören und ewig zuschauen könnten wir dem Stürmer und dem Mittelfeldspieler. Nur macht uns die Paterin einen Strich durch die Rechnung. Sie fotografiert nach dem Trauergottesdienst diesen Kuss und verkauft das Bild an die Boulevardpresse. Damit ist der „Skandal“ lanciert; eine Medienkonferenz muss her, wo sich das schwule Paar outet. Eine schwierige Situation, aber da kommt den beiden der Fußballer Sergio Ramos (Martin Butzke) mit Lebensphilosophie zu Hilfe, worauf das Liebesmärchen fortgesetzt werden kann - allerdings nur bis zu jenem Punkt, wo ein aberwitziges Millionenangebot den Stürmer nach Paris lockt.

„Schau mir in die Augen, Kleines“, sagt Humphrey Bogart zu Ingrid Bergman im Film „Casablanca“ am Ende. So romantisch ist der Stürmer nicht, wenngleich ihn die Emotionen beim Abschied im Flughafen zu überwältigen drohen. Doch anstatt mit gefühlvollen Worten wird der Geliebte mit einer Nagelschere beschenkt: Ausgang der Lovestory offen, wozu uns die Erzählerin explizit auffordert.

Ist das eine schräge Geschichte? Ja. Und erst noch eine, die ein Thema wie Homosexualität im Profifußball ganz ungespannt aufgreift und mit anderen Lebensthemen derart kunterbunt mischt, dass wir nicht wissen, wie wir diese ebenso absurde, groteske, witzige und zarte Geschichte benennen sollen. Egal. Hauptsache, sie wird so in Szene gesetzt wie von Manuel Bürgin. Könnte man seine Inszenierung vermenschlichen, würde man sie drücken und ihr ins Ohr hauchen: „Du bist ein Schatz.“

Bürgin und sein Bühnenbildner Beni Küng setzen auf zwei – links und rechts stehende – schiefe Häuser, was ein treffliches Bild für Meiers schräge Geschichte ist sowie auf einen Laufsteg, auf oder hinter dem sich das Meiste abspielt. Anderes wie ein von Elias Kurth choreografiertes Fußballspiel hinter einem Gazevorhang wirkt wie eine Traumsequenz; eine dicke Wolke verweist auf den Himmel (wohin die Mutter gezogen ist) und der wie ein gigantischer Fußball erscheinende Mond, bescheint das Liebespaar mit nächtlichem Sternenhimmel.

Einer aber glänzt durch Abwesenheit: der Hausdrache des Mittelfeldstürmers. Sein Erscheinen auf der Bühne wäre wohl schlicht des Guten zu viel gewesen, denn auch so sind die optischen Reize überwältigend, was insbesondere den Kostümen von Gwendolyn Jenkins zu verdanken ist. Da ist eine Kostümbildnerin in ihrem Element: Jenkins lässt sich von allen Stilen und Zeiten von der Barockzeit bis zur Gegenwart inspirieren. Farbenprächtig ist das allemal. Bloß einer fällt auf: der Mittelfeldspieler trägt immer schwarze Kleidung und einen großen, schwarzen Hut. Also doch ein Don Quijote? Wundersam ist jedenfalls der Zusammenklang zwischen Schwarz und Farbenvielfalt – und wundersam mutet auch das Zusammenspiel aller Beteiligten, insbesondere aber von Manuel Herwig und Josef Mohamed an. Wie liebevoll sie doch miteinander, auch in der bisweilen zögerlichen Wortwahl umgehen; wie scheu sie sich ansehen; wie zart ihre Berührungen sind. Und wie trefflich erfolgen doch die Kontrapunkte der Mitspieler im Wechsel von Ironie und Komik. Ja, es fällt nicht schwer, zärtlich zu sein: einerseits zu Leo Meiers Stück und anderseits zu Manuel Bürgins so wunderbar die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Verspieltheit haltenden Inszenierung.          

Erschienen am 2.5.2025

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Offen! internationals figurentheater
Die „bunte Esse“, ein Wahrzeichen von Chemnitz