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Auferstanden aus der Pankower Heide
Das NaturTheaterKollektiv erinnerte in einer Raum-Klang-Performance an einen vergessenen Fundort Berliner Theatergeschichte
Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)
Assoziationen: Akteure Berlin Performance Freie Szene

Wer kennt noch das „Heidetheater“ in Berlin-Pankow? Selbst von den Ureinwohnern Pankows dürfte das nur noch bei ganz wenigen der Fall sein. Zum 60. Jahrestag des Mauerbaus ist es Anfang September 2021 wieder auferstanden aus Ruinen, zumindest in seiner imaginären Gestalt. Andrea Koschwitz und das NaturTheaterKollektiv NordOst (es besteht neben Koschwitz aus Christine Boyde, Klaus Dobbrick, Wolf Koschwitz, Wolfgang Rindfleisch und Laura-Sophia Schulz) haben es wieder zum Leben erweckt. Und das geschah mit so einfachen wie genialen Mitteln.
Das Freilichttheater in Pankow existierte von 1957 bis – im Grunde – 1961, es wurde durch den Mauerbau und die Nähe zur Grenze nach Westberlin zu Fall gebracht, allerdings erst 1963 offiziell geschlossen. Aufgebaut wurde es durch die unbezahlte gemeinnützige Arbeit der Bürger und Bürgerinnen Pankows selbst im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerks“ (NAW); für das Sandschippen gab es für die Beteiligten stundenweise Klebemarken, die man sammelte, um dann eine Anstecknadel zu bekommen oder eine gute Beurteilung auf dem Schulzeugnis. Auf der Freilichtbühne fanden ursprünglich 2500 Zuschauer und Zuschauerinnen Platz, heute stehen davon nur noch ein paar Treppenstufen und einige Säulen für die technische Versorgung der einstigen Vorstellungen. Eröffnet wurde damals mit Shakespeares „Maß für Maß“, gespielt vom Hans-Otto-Theater Potsdam. Daneben gab es wohl alles im Heidetheater, was gefällt: Shakespeare, Goethe, Amateurtheater und Operetten, Estradenprogramme und Tanz nach Amiga-Schallplatten; es trat auch das Kabarett Die Distel auf. Es sollten noch weitere Berliner Theater auftreten; Wolfgang Langhoff hatte seine Schirmherrschaft zugesagt, viele Theater der DDR waren zu Kooperationen bereit. Ulli Zelle in seiner rbb-Sendereihe „Geheimnisvolle Orte“ kommt neben dem Verein Chronik Pankow e. V. das Verdienst zu, als Erster wieder eine breitere Öffentlichkeit an diesen Bau erinnert zu haben. Nun ist er also in einer fantastischen Gestalt wiederbelebt worden.
Das NaturTheaterKollektiv hat das Areal des ehemaligen Theaters mit Flatterband gekennzeichnet, die Besucherinnen und Besucher mit Kopfhörern ausgestattet, und so spazierte man über die Hügel der Schönholzer Heide, die noch Zeugnis ablegen vom einstigen Freilufttheater. Im September 2021 begannen drei Vorstellungen zunächst mit Livemusik von Schülerinnen und Schülern der Pankower Musikschule Béla Bartòk, die man als Kooperationspartner gewonnen hatte. Hier erstaunte übrigens noch immer die ausgezeichnete Akustik. Über Kopfhörer gab es dann ein großartig gemachtes Feature von Andrea Koschwitz und Klaus Dobbrick zu hören, das die Geschichte des Heidetheaters durch Interviews mit Zeitzeugen; Ausschnitte aus Operetten, wie sie hier gespielt wurden; historischen Tondokumente und Musiktiteln der Zeit präsentierte und ein wenig auch die Stimmung der Zeit, den Enthusiasmus der Aufbauaktion und die Depression danach erinnerte. Dann konnte man in den drei Vorstellungen jeweils ein Hörspiel in der Regie von Wolfgang Rindfleisch erleben: Heiner Müllers „Hamletmaschine“ mit Blixa Bargeld und den Einstürzenden Neubauten aus dem Jahr 1990 (toll); zur Vorstellung um 15 Uhr das Kinderhörspiel „Bogumil, Riese sucht“ von Melanie Peter und schließlich „Ein Dolch ohne Stiel auf dem die Klinge fehlt. Die Hühner des Fürsten Alexandrowitsch Potemkin“ von J. W. Walther. Alle drei waren sehr gut anzuhören, während man so bei gutem Wetter durch den schattigen Wald wanderte – ein ganz besonderes und wunderschönes Erlebnis. Schade, dass so wenige davon wussten. Hoffentlich kann die Arbeit des NaturTheaterKollektivs in diesem Jahr fortgesetzt werden. //