Gespräch
Die Aufregung des Repräsentativen
Ein Gespräch zwischen Beate Absalon, Sebastian Köthe und Arne Vogelgesang über gegenwärtige Gesichterpolitiken
Regisseur und Schauspieler Arne Vogelgesang hat 2018 seine Video-Lecture-Performance „Flammende Köpfe“ im Schauspiel Dortmund auf die Bühne gebracht, in der er digitale Gesichter- und Maskenpolitiken als Propagandaformen der Gegenwart analysiert. Beate Absalon und Sebastian Köthe sprachen mit ihm über die Neue Rechte, das Gesicht als Verpackung und die Zukunft des Theaters.
von Sebastian Köthe, Beate Absalon und Arne Vogelgesang
Erschienen in: double 38: Face-Off – Politiken von Gesicht und Maske (11/2018)
Assoziationen: Praxiswissen Akteure Puppen-, Figuren- & Objekttheater Theater Dortmund
Was passiert eigentlich, wenn man sich maskiert – sowohl in politischen Kontexten als auch auf der Bühne?
Ob per Balaclava oder Theatermaske – in dem Moment, wo ich mein Gesicht verhülle, bin ich erstmal geschützt. Deswegen kann eine Maske auch potenzielle Gefahr kennzeichnen. Maske auf – und erstmal haben alle ein bisschen Angst vor mir oder es ist unangenehm mit mir zu reden. Darauf stellen auch viele der Burka-Diskussionen ab.
Im Theater hat die Maske als zweites Gesicht natürlich eine lange Tradition. Welche Typen kann sie darstellen? Wann fängt sie an, sich in der Puppe zu individualisieren? Ästhetisch formulierte Fragen nach Identität oder Unverwechselbarkeit spiegeln auch das Selbstverständnis einer Gesellschaft wider. Deswegen können Masken in einer Gruppe, ob bei einer Demo oder auf der Bühne, Zugehörigkeiten definieren. Das reicht von der ikonischen Guy-Fawkes-Maske bis zum stereotypen Mimikvokabular.
Welchen Einsatz von Gesichtern beobachtest Du auf digitalen Bühnen wie YouTube?
Fazialität ist komplizierter geworden. Die Nahaufnahme des Gesichts als Werbeoberfläche für Emotionen und Botschaften hat sich auf YouTube verbunden mit Politik, wenn einem „ganz normale Menschen ganz authentisch“ erzählen, dass „die Ausländer“ oder „die Regierung“ ganz schlimm wären. Videobotschaften sind unter Linken kaum, bei neuerwachten Patrioten aber sehr populär. Das Gesicht ist hier ein Kapital: individuelle Verpackung für überindividuelle Inhalte. Das ist in der Propaganda der sogenannten Neuen Rechten viel gemacht worden: Close-up aufs Gesicht, Blick in die Kamera, also direkt in deine Augen, und sagen: „Ich habe Angst" oder sowas. Das Gesicht bedeutet dann nicht viel mehr als: „Ich bin ein Mensch. Hallo! Ich bin ein Mensch." Und wenn Du zehn davon zeigst, heißt das: Wir sind eine Masse. Wir sind repräsentativ. Genau wie im „klassischen“ Theater.
Du thematisierst in Deinen Arbeiten die rechte Initiative der „Unsterblichen“, bei der kleine Gruppen weißmaskierter Rechtsextremer nachts mit Fackeln aufmarschierten, um propagandafähiges Videomaterial zu erzeugen. Warum gehen sie mit weißen Theatermasken auf die Straße?
Die Unsterblichkeitskampagne war eine Kopie der linken „Überflüssigen“-Kampagne gegen Hartz IV. Wurde Peter Hartz ein Preis mit anwesender Presse überreicht, erzielten die Aktivist*innen ein eindrucksvolles Bild, wenn sie gleichmaskiert die Veranstaltung störten – und waren gleichzeitig auf den Pressebildern anonymisiert, geschützt. Das war auch der Unterschied zur Nazikampagne. Die haben nachts Flashmobs mit Fackeln gemacht, da war sonst niemand, ihre Bilder haben sie selbst produziert. Ein Vorteil der Masken war für sie, dass sie über den Filmschnitt suggerieren konnten, es wären total viele vor Ort gewesen. Wieder dieser Repräsentationsanspruch: Wir stehen für alle.
Das Morbide an der „Unsterblichen“-Kampagne, die ihre Blütezeit 2011/12 hatte, war ihr Slogan: „Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass Du Deutscher gewesen bist." Werde unsterblich - dieses Heldenpathos. Der herkömmliche Held ist aber ein einzelner, mit einzigartiger Maske. Den erkennst Du, der sieht genau so und nicht anders aus. Mit der Maske als Massenanfertigung wirst du vergessen. Was bleibt, ist der angeblich deutsche Körper.
Wie würdest du den ästhetischen Effekt der weißen Masken beschreiben?
Der Witz liegt auf der Hand: weiße Maske, weiße Rasse. Vor allem ist die klassische neutrale Plastikmaske funktional: billig, leicht zu tragen, leicht zu erkennen – Du kannst sehr viele davon bestellen und musst sie nur aufsetzen. Sie versucht möglichst wenig zu sagen, außer: menschliches Gesicht. Sie ruft auch die Totenmaske auf, die blutlose Gesichtsform. Das macht das Bedrohliche und Geisterhafte an den Umzügen der „Unsterblichen“ aus.
Die weiße Maske ist aber ebenso beliebt bei Schultheatern.
Du kannst damit ein beliebtes Spiel spielen: Das bedeutungsvolle Abnehmen der Maske. Die Verstellung ist zu Ende. Jetzt zeigt sich das wahre Ich: „Schau, das bin ich – ich bin auch ein Mensch. Und genauso unverwechselbar wie alle anderen.“ Im Theater, wenn Du nicht von vornherein Maskentheater machst, geht es, wenn Du Masken benutzt, immer um Verhüllung – und Du weißt, dahinter ist dann das „echte Gesicht". Gleichzeitig wird die Echtheit dadurch in Frage gestellt. Du nimmst noch eine ab und noch eine und noch eine ...
Noch einmal zur Neuen Rechten. Gibt es dort auch dezidierte Gesichterpolitiken?
Leute wie die Identitären setzen ihre ganze Politik aufs Gesicht. Die stimmen alles darauf ab, strategisch ihr Gesicht zu zeigen: „Wir sind mit uns selber identisch und wir sind die letzten, die das noch sind und wir müssen dafür kämpfen.“ Sie versuchen immer wieder diese Erzählung ihrer angeblichen Heldenhaftigkeit aufzurufen: „Wie der Luther vor dem Reichstag! Der stellt sich einfach hin mit offenem Visier – wir machen nichts anderes. Ich zeige mein Gesicht, ich bin einfach nur Deutscher, darf man das nicht mehr sein?“
Wie verstehst Du diese Gleichzeitigkeit von Maskierung und Insistenz auf dem Gesicht?
Die Hemmschwelle, mit Neonazi-Inhalten auf die Straße zu gehen, sinkt natürlich, wenn Du maskiert bist. Auch 2011 fanden neben maskierten Nazi-Flashmobs zum Beispiel die guten alten Dresden-Gedenkdemos statt, wo alle ihr Gesicht zeigten. 2011 war aber auch das Jahr der sogenannten Selbstenttarnung des NSU. In dem Moment, wo die „Unsterblichen“ ihre Kampagne über den Volkstod starteten, gab es also gleichzeitig diese Untergrundterrorgeschichte, in der das Gesicht auf dem Verhandlungsplakat und in allen Zeitungen zur Maske des Terrors wurde. Natürlich musste in dem Moment eine rechtsradikale Haltung ganz anders maskiert werden.
Als klar wurde, dass der Staat nicht nur kein Interesse an einer systematischen Aufklärung rechten Terrors hatte, sondern in ihn verstrickt war, blieb das Maskentragen der Rechten bloß ein theatrales Zwischenspiel. Diese Episode hatte schon etwas vorher mit dem Kopieren linksautonomer Codes begonnen: der Übernahme von Black-Block-Ästhetik mit schwarzer Kleidung und Vermummung durch die „autonomen Nationalisten“. Das hatte mit polizeilichen Repressionen zu tun und dem Coolness-Faktor, den man durch diese Uniformität als Mobilisierungskapital einbringen kann. Und das hat vielleicht auch damit zu tun, dass spätestens seit den 80ern alle so furchtbar kreativ sein müssen. Seitdem musst Du zu politischen Inhalten ästhetische Innovation bieten.
So eine Art ästhetischer Kapitalismus der neuen Rechten?
Das betrifft alle. Dass der Martin Sellner, ein Mitglied der rechtsextremen „Identitären Bewegung Österreich“, dazu auffordert Straßentheater zu machen, kommt ja nur daher, dass auch er Bücher über zivilen Ungehorsam als Bildpolitik gelesen hat. Identitäre machen sich über theatrale Aktionen, wie jene des Zentrums für politische Schönheit, lustig, weil das gleichzeitig ihr eigenes Vorbild ist. Das ist der Fluch der Konservativen, dass sie immer einen Schritt hinterher sind. Trotzdem ist es ein Wettbewerb um Repräsentationsmacht. Über die Erzählung einer schweigenden Mehrheit, für die man spricht, sollen jene Massen mobilisiert werden, die den Rechtsruck vollziehen, von dem man gleichzeitig ausgeht – nicht um die eigene kleine Blase zu sichern, sondern das gesamte politische Klima zu ändern. Die theatralen Aktionen zielen darauf, nicht von denen vor Ort gesehen zu werden, sondern von den potentiellen Millionen, die nicht da waren. Die neuen Medien sind die eigentliche Bühne. Das ist das eigentliche politische Theater der Gegenwart, nicht Kunstveranstaltungen für 50 Leute in einem Raum und sonst niemanden! (lacht) Das wäre in der politischen Arbeit absurd.
Wie kann das Theater damit umgehen, wenn alle anderen auch theatral sind und Masken benutzen?
So lange man etwas macht, was noch Theater heißt, nicht Happening oder Performance, besteht der Auftrag im Versuch, einen Teil von Wirklichkeit zu repräsentieren. Und dann muss ich mich damit beschäftigen, dass das, was ich hier mache, die Leute draußen auch tun. Die Selbsterzählung von einem ästhetischen Vorsprung, also dass Künstler*innen Spezialist*innen darin sind, zugespitzt darzustellen, was Wirklichkeit ist, ist prekärer geworden. Mediale Massentechnologien stehen jedem zur Verfügung und alle sind damit beschäftigt, Repräsentationsarbeit zu verrichten, unter welcher Maske auch immer. Das dann noch einmal im Theater zu zeigen, kann redundant sein.
Beobachtest du im Theaterbereich Bewegungen, die darauf zu reagieren versuchen?
Es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahren Theaterformen die größte Erotik hatten, die intervenieren. Je konkreter, desto besser. Weil das realer ist als ein paar Tanzbewegungen im öffentlichen Raum und alle gehen vorbei und denken: "Hö? Die sehen aber komisch aus". Das ist vorbei. Das „Mehr“, das man zu brauchen glaubt, sind reale Folgen.
Ich kenne das von Konferenzen, wenn Theaterleute, ich eingeschlossen, mit neidvoller Begeisterung vor den Aktivist*innen, beispielsweise des Peng-Kollektivs, stehen. Aktivistisch reinszenierte Realität ist die spektakulärere Kunst. Eine Zeit lang war die Oper das Spektakel, neben dem das reale Leben nicht so hübsch aussah. Wenn jetzt aber die Realität auch noch besser aussieht oder wirkt als das Theater, also mehr Aufregung des Repräsentativen bietet, dann lohnt die Frage, was ich als Theatermacher*in noch leisten kann. Wenn ich nicht mehr spektakulärer bin, und wenn ich auch nicht mehr erzählen kann als die Realität selbst, weil wir in einer Gesellschaft permanenter Selbsterzählung leben - was genau ist dann der Bereich, in dem ich eigentlich noch arbeite? – vogelgesang.internil.net