Theater der Zeit

Thema

Liebeserklärung von einem Bot

Das Forschungsprojekt The Answering Machine an der Zürcher Hochschule der Künste und das Mannheimer Institut für Digitaldramatik

von Elisabeth Maier

Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)

Assoziationen: Dramatik Wissenschaft Baden-Württemberg Schweiz Dossier: Digitales Theater Nationaltheater Mannheim

Beim Themenwochenende der Stipendiat:innen vom Institut für Digitaldramatik am Nationaltheater Mannheim.
Beim Themenwochenende der Stipendiat:innen vom Institut für Digitaldramatik am Nationaltheater Mannheim.Foto: Maximilian Bochardt

Anzeige

Anzeige

Der digitale Wandel verändert die Sprache des Theaters radikal. Für das junge Publikum, das mit Smartphones und Computerspielen aufgewachsen ist, reicht die klassische Formensprache nicht mehr. In Zeiten von Chatbots und Avataren nehmen Menschen ihre Umwelt anders wahr als in früheren Jahrzehnten. Künstliche Intelligenz prägt den Alltag. Doch der Bühnen-Guckkasten hält da nur bedingt Schritt. So suchen Theaterwissenschaft und Bühnenpraxis nach neuen Möglichkeiten. Virtuelle Bühnenformate zu erforschen, reizt Künstler:innen und Wissenschaftler: innen ebenso wie die Entwicklung einer Dramaturgie für den digitalen Raum. Auf diesem Weg zu einer zeitgemäßen Theatersprache wagen das Forschungsprojekt The Answering Machine zur Künstlichen Intelligenz an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und das Institut für Digitaldramatik am Nationaltheater Mannheim besonders spannende Experimente.

Was fühlt eine Schauspielerin, wenn sie eine Liebeserklärung von einem Bot bekommt? Das ist eine der Fragen, die der Improvisateur, Psychologe und Theaterwissenschaftler Gunter Lösel in seinem interdisziplinären Forschungsprojekt The Answering Machine aufwirft: „Uns interessiert, welche Reaktionen der direkte Austausch mit der Künstlichen Intelligenz hervorruft.“ Das vierjährige Projekt hat der Forscher an der Zürcher Hochschule der Künste mit Kolleg:innen aus der Computerlinguistik, der Medienwissenschaft und der Psychologie angestoßen. Finanziert wird das Forschungsvorhaben von der Volkswagen-Stiftung.

Ausgangspunkt ist die Bühnenpraxis: Der Wissenschaftler Gunter Lösel, der an der ZHdK den Studiengang Performative Praxis leitete, untersucht nun die spontane Interaktion von Menschen und Maschinen auf der Bühne. Lösel, der selbst als Schauspieler auf der Bühne improvisiert und unter anderem künstlerischer Leiter des Bremer Improtheaters ist, möchte ergründen, was das Spiel mit einem Bot mit den Theaterprofis macht. Wie verändern sich da die Spielweisen? „Das wollen wir in Zusammenarbeit mit deutschsprachigen Bühnen herausfinden.“

Der Blick der Theaterwissenschaft allein ist Gunter Lösel da aber zu verengt. Deshalb hat er sich den Psychologen Stefan Scherbaum von der Technischen Universität Dresden, die Medienwissenschaftlerin Susanne Marschall (Universität Tübingen) und den Informatiker Jonas Kuhn (Universität Stuttgart) ins Boot geholt. Als Schauspieler reizt ihn besonders die Frage, ob eine Maschine improvisieren kann. „Es geht uns darum zu erforschen, ob die Defizite der Maschine auf der Bühne durch die Interaktion mit den Schauspieler:innen ausgeglichen werden kann.“ Wichtig ist es Gunter Lösel dabei aber vor allem, das Experiment nicht allein auf das Theater zu reduzieren. „Wir wollen damit zum Diskurs über die Interaktion von Mensch und Maschine in der Gesellschaft beitragen.“ Die Grenzen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz zu erkennen, beflügelt das Erkenntnisinteresse in dem Projekt.

Als Uraufführungshaus hat sich das Nationaltheater Mannheim schon seit Schillers „Die Räuber“ im Jahr 1782 einen Namen gemacht. Das Konzept mit Hausautor:innen und einem Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Dramatik denkt Schauspielintendant Christian Holtzhauer mit seinem Team konsequent weiter: „Wir brauchen eine neue Dramatik, die dem digitalen Wandel gerecht wird.“ Federführend haben Sascha Hargesheimer und Lena Wontorra das Institut für Digitaldramatik (IDD) entwickelt und aufgebaut. Wie der digitale Raum das dramatische Schreiben verändert, untersuchen Theatermacher und ausgewählte Autor:innen. „Unser Ziel ist es, im gemeinsamen Werkstattprozess das Schreiben für den digitalen Raum zu erforschen“, bringt Lena Wontorra das Konzept des Instituts auf den Punkt. Dabei habe man in der ersten Runde bewusst nach Stipendiat:innen gesucht, die ein breites Spektrum digitaler Theaterarbeiten abdecken. Mit Hypertexten, programmierten Bots, Augmented Reality oder Games erreichen die Bühnen ein neues, jüngeres Publikum.

Die Stipendien sind mit 5000 Euro dotiert, damit die Künstler:innen „frei und ergebnisoffen“ an ihren Projekten arbeiten können, sagt Sascha Hargesheimer. Den Mannheimer Dramaturg:innen ist es wichtig, Dramatik nicht nur als gesprochenen Text zu denken. „Wir möchten erforschen, was Autor:innenschaft im digitalen Raum bedeutet“, sagt Sascha Hargesheimer. „Workshops mit Theatermachern und Wissenschaftlern erweitern den Horizont für das eigene Schreiben“, sagt Lena Wontorra. Für die junge Dramaturgin ist es die zentrale Aufgabe der Zukunft, sich dem Wandel der Sehgewohnheiten nicht zu versperren. Die Frage, ob dramatisches Schreiben in den digitalen Raum übertragen werden kann, oder ob es da „einen ganz neuen Kanon“ braucht, reizt Wontorra.

Das digitale Experiment im dicht getakteten Stadttheaterbetrieb zu schultern, hat die Mannheimer herausgefordert. „Die Pandemie und die damit verbundene lange Zwangspause haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, digitale Theaterformen zu entwickeln“, ist Sascha Hargesheimer überzeugt. Deshalb hat das Institut für Digitaldramatik in seinen Augen hohe Priorität. Mit einer Instagram-Performance hat die Schauspielerin Vassilissa Reznikoff Arthur Schnitzlers angestaubten Monolog „Fräulein Else“ in die bunte Welt der Storys und Hashtags übersetzt. Die erotisch durchtränkte Sprache des österreichischen Literaten gerade einem jungen Publikum übers eigene Smartphone zu vermitteln, entfaltete selbst im flüchtigen „Insta“-Format einen großen Reiz. Schnitzlers sinnliche Worte hat die junge Schauspielerin in eine Mimik und Gestik übersetzt, die durch die Detailgenauigkeit des Kameraauges Nähe hergestellt hat in einer Zeit, die ganze Gesellschaften weltweit zur Distanz zwang.

Lust am sprachlichen Experiment prägt die ersten Textentwürfe, die im Rahmen des IDD entstanden sind. „Der Albdruck“ heißt das Kurzdrama des Regisseurs und Dramatikers Wilke Weermann: „Die Geschichte eines verfluchten 3D-Druckers, erzählt in Service E-Mails“ nennt er den Text, der die Sprache der Gebrauchsanweisungen aufgreift und in gewisser Weise sprengt. Maschinell generierte E-Mails offenbaren die Sprachlosigkeit zwischen Menschen und Maschine. Wenn die Spracherkennung scheitert, klingt das im Netz so: „das doch einfach ich hab das na Tür ich geh Google hast du mal in Betracht gezogen das dein Drucker depressiv sein könnte …“ Aus der Gefangenschaft der Maschine befreit sich der Mensch dann aber im dramatischen Text: „Wenn nur einmal etwas käme, das mich total überfordern würde, was nicht für meine Augen bestimmt wäre, was ich einfach nicht begreifen könnte. Na ja, das wäre toll.“

Klug hinterfragt Weermann, der an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg Regie studiert hat, da die Grenzen der Wahrnehmung. Ausgangspunkt dieser starken Reflexion eines Innenlebens ist der 3D-Drucker, der schon kurz nach dem Kauf das Leben der Akteure durcheinanderbringt. Darf man einen gedruckten Zahn selbst einsetzen oder nicht? Weermanns Menschen haben ihr Leben zunehmend ins Digitale verlagert. Doch die Sehnsucht nach starken Gefühlen bleibt. In seinen Regiearbeiten experimentiert der junge Regisseur mit Avataren und mit Computerspielen. Das Institut für Digitaldramatik bietet auch ihm als Grenzgänger die Chance, dramatisches Schreiben im Digitalen zu denken.

Einen Chatbot lässt Seda Keskinkılıç-Brück in ihrem Text „Tunnelbau“ sprechen. Nach ihrem Studium der Sprachwissenschaft und der Philosophie arbeitet sie am Nationaltheater Mannheim. Mit ihrer klaren, technisch verknappten Sprache lässt sie die Grenzen zwischen der menschlichen Gedankenwelt und dem technischen Gedächtnis verschwimmen. Mit jedem Satz gräbt sich ein Stück mehr Sinnlichkeit in den Text. Denn fühlen, das kann der Chatbot nicht. Diese schwindelerregende Reise hat einen großen Reiz: „Bitte hilf mir, das alles zu verstehen. Schritt für Schritt. Ich habe gelernt, dass alles nur schrittweise geht. Und dann morgen, helf ich dir. Morgen such ich dir ein Hotel heraus. Morgen sag ich dir, was du heute kochen kannst, morgen zeige ich dir den Weg zu Rudi Martens Rooftop-Party …“

Mit dem IDD leistet das Nationaltheater Mannheim Pionierarbeit. Zum ersten Jahrgang gehören außerdem Ralph Tharayil, Zelal Yeşilyurt, Niels Wehr, das Kollektiv FEELINGS mit Jil Dreyer und Josef Mehling, Jchj V. Dussel und Lars Werner. Dass sich die Künstler:innen in den Werkstätten begegnen und auch über das Stipendienprogramm hinaus die digitale Dramatik weiterdenken, ist Lena Wontorra ein großes Anliegen. Eine Spielwiese darf das Projekt aus ihrer Sicht nicht bleiben. „Wir wünschen uns, dass sich die digitale Dramatik möglichst bald in den Spielplänen durchsetzt.“ Was die Ausstattung mit digitalen Medien angeht, sieht Sascha Hargesheimer da an vielen Bühnen aber auch finanzielle Grenzen. Da neue und finanzierbare Wege zu finden, betrachtet er als Herausforderung. Schon die Anschaffung von VR-Brillen, die den Zuschauer:innen virtuelle Räume erschließen, bringt nicht allein kleine Theater an finanzielle Limits.

Das Videoportal TikTok unterstützt das Förderprogramm des Nationaltheaters mit 100 000 Euro. Mithilfe von weiteren Sponsoren hat die Mannheimer Bühne dann den Kraftakt geschafft. Auf dem TikTok-Kanal digitaldramatik.ntm gibt es Einblicke in die Videoarbeiten. Da präsentiert sich der Autor Lars Werner, wie er in der Küche Alufolie in der Pfanne brät. Sein verführerisches Lächeln korrespondiert mit der seicht-fröhlichen Hintergrundmusik. Kopfnickend im Popmusik-Takt werben Lena Wontorra und Sascha Hargesheimer im neuen Studio für eine Internet-Präsentation. Vor dem blauen Hintergrund sieht das richtig cool aus. Mit kurzen Clips öffnen die Autor:innen ihr Studio für ein Publikum, das ansonsten wohl kaum den Weg ins Theater finden würde. Ob auch der Brückenschlag zum Theaterpublikum gelingt, wird das nachhaltig angelegte Experiment des Mannheimer Nationaltheaters zeigen. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Pledge and Play"