Theater der Zeit

Auftritt

Frankfurt: Das Gefängnis ist das Leben

MOUSONTURM „The Golden Cage“ von Hakan Topal. Regie Hakan Topal, Performance Hakan Topal, Festival „Bodies, un-protected“

von Björn Hayer

Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)

Assoziationen: Freie Szene Performance Theaterkritiken Hessen Künstlerhaus Mousonturm

Vögel in Analogie zu Geflüchteten: Hakan Topals Performance „The Golden Cage“ am Künstlerhaus Mousonturm in Rahmen von „Bodies, un-protected“.
Vögel in Analogie zu Geflüchteten: Hakan Topals Performance „The Golden Cage“ am Künstlerhaus Mousonturm in Rahmen von „Bodies, un-protected“.Foto: Golden Cage | Hakan Topal

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Was unter dem Stichwort ‚Identitätspolitik‘ abstrakt verhandelt wird, nimmt auf Ebene des Körpers konkrete Formen an. Er muss sich behaupten in einer Welt der Gewalt und trägt die Wunden davon, die beispielsweise Missbrauch hinterlässt. Allzu oft unterschätzt, etwa als Hülle der Seele, rückte just das Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm dessen Bedeutung im Rahmen eines ganzen Festivals in den Vordergrund. Unter dem Titel „Bodies, un-protected“. Forum zu Körper, Kunst und Schutz befassten sich zahlreiche Formate – von Installationen, über Workshops bis zu Konzerten – mit unserem physischen In-der-Welt-Sein. Während sich unser Denken weder an Raum noch Zeit gebunden sieht, stößt der Körper immer wieder an Grenzen.

Deutlich wird diese Beschränkung etwa in Hakan Topals Performance „The Golden Cage“, allerdings nicht so sehr am Menschen als vielmehr an Vögeln, genauer: am sogenannten Kelaynak (Waldrapp). Wie verschiedene Videoaufnahmen in mehreren Räumen dokumentieren, befinden sich viele Vertreter dieser Art derzeit in Gefangenschaft. Nachdem die ISIS Palmyra eroberte, flohen auch die Vögel vom afrikanischen Nordosten nach Syrien. Sicher waren sie dort nicht. Überleben kann vor allem, wen die Käfige in teils abgelegenen Wüstengebieten behüten. Symbolisch aufgeladen spiegeln die Tiere das Schicksal unzähliger Migrant:innen wider, die auf ihren Fluchten mal in Auffanglagern landen oder verzweifelt vor Schlagbäumen dahinvegetieren.

So polyphon die zu hörenden Stimmen der gefiederten Zeitgenossen ausfallen, so vielstimmig erweist sich auch die Darbietung von Topals Text. Verteilt auf diverse Sprecher: innen (u. a. Doris Deckinger und Lussineh Schahramanyan), die nach jedem Abschnitt den Standort wechseln, werden wir ihm in unterschiedlichen Übersetzungen gewahr. Dadurch entsteht ebenso Poetik der Globalisierung. Während Kriege und Protektionismus den Planeten in hermetische Zonen aufteilen, Völker und Familien spalten, so scheint die Sprache in ihrer vielstimmigen Ausprägung über den Nationalismus zu triumphieren. Selbst wenn wir nicht sämtliche Versionen des Textes an diesem Abend verstehen, gibt es die Darsteller:innen und Zuschauer:innen verbindende Elemente. So etwa den bisweilen ähnlichen Klang der Worte oder die vergnüglichen Imitationen der Vogellaute durch die Performer:innen selbst.

Offenbart dieses Werk noch einen ästhetisch ambitionierten Charakter, sucht man diesen in der One-Woman-Show „Objectification and Abuse (Tokenised Silence)“ der ugandischen Spoken-Word-Künstlerin Carolyne M. Acen vergeblich. Vor rot beleuchtetem Hintergrund erzählt uns die Dichterin von der Instrumentalisierung des weiblichen Körpers in den Medien, von patriarchaler Repression und traumatischen Kindheitserfahrungen. Begleitet wird der Text durch ein Trommeln der Autorin, das mal dramatisch beschleunigt und wachrüttelt, mal meditativ verlangsamt und abebbt. Hier erzählt jemand seine Biografie und scheut nicht vor einer offensiven Anklage einer männerdominierten Ordnung zurück. Was sich indessen als Kunst gebärdet, ist letztlich aber vor allem Camouflage eines feministischen Aktivismus. Ungeachtet seiner Notwendigkeit und Dringlichkeit – als Aufführungsidee taugt dieses magere und sowohl im Gestus als auch der Bildlichkeit einfallslose Konzept nicht.

Die Qualität der Beiträge des Festivals fällt somit heterogen aus. Gemeinsam ist ihnen allerdings die Einsicht, dass sich das vermeintlich neutrale Phänomen Körper als durch und durch politisch versteht. Insbesondere in Zeiten von Krieg, Vertreibung und Unterdrückung kommt er einem Archiv gleich, dessen Narben nie verschwindende Erinnerungen entsprechen. Sie zu lesen, die Geschichten darunter aufzudecken, erfordert ein spezielles Sensorium. Für einige Tage wurde der Mousonturm zu einer Schule jener besonderen Weise des Einfühlens. Sie zeigte, wie jede große Barriere schon im intersubjektiven Miteinander genommen werden kann. Und gehört diese Erfahrung nicht zum Wundervollsten, was Bühne ermöglichen kann? //

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